Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Liebe der Menschen.
8.

Jn der allgemeinen Gleichheit wie wir
sie erkläret haben/ gründet sich die allgemeine
Liebe/ die alle Menschen mit einander in so weit
verbindet/ daß sie einander gleichmäßig tracti-
ren/ und einer dem andern/ er sey wer er wolle/
das jenige erweise/ was er in gleichen Fällen von
ihm erwiesen haben wolte.

9.

Gleichwie aber dieses gantze Capitel zei-
gen wird/ daß diese Gleichheit der Gemüther sich
nicht sehr weit erstrecke/ sondern der geringste
Grad derselben sey/ auch mehr ein Mangel des
Hasses und Vermeidung der Gemüths-Unruhe
als eine wahre Gemüths-Ruhe und Liebe zu
nennen sey/ indem selbige auff gewisse Art auch
unter denen unvernünfftigen Thieren anzutreffen
ist; Also weiset auch die tägliche Erfahrung/ daß
die absonderlichen Gleichheiten unter denen
Menschen eine viel stärckere Vereinigung ver-
ursache/ die viel stärckere Wirckung hat/ und
also den Titel der Liede in diesen Ansehen mehr
verdienet.

10.

Jedoch ist unter denen obenangeführten
absonderlichen Gleichheiten der Menschen auch
in Betrachtung derer daraus herrührenden Ver-
einigungen ein mercklicher Unterscheid. Die
Gleichheit des Alters/ Standes/ Vermö-
gens/ der Profession, der Landes-Art/ des Ver-
standes/ wenn sie nicht mit der Gleichheit der
Tugend und Weißheit vergesellschafftet sind/ sind
entweder nur der Grund einer Schein Liebe/

oder
N 5
Liebe der Menſchen.
8.

Jn der allgemeinen Gleichheit wie wir
ſie erklaͤret haben/ gruͤndet ſich die allgemeine
Liebe/ die alle Menſchen mit einander in ſo weit
verbindet/ daß ſie einander gleichmaͤßig tracti-
ren/ und einer dem andern/ er ſey wer er wolle/
das jenige erweiſe/ was er in gleichen Faͤllen von
ihm erwieſen haben wolte.

9.

Gleichwie aber dieſes gantze Capitel zei-
gen wird/ daß dieſe Gleichheit der Gemuͤther ſich
nicht ſehr weit erſtrecke/ ſondern der geringſte
Grad derſelben ſey/ auch mehr ein Mangel des
Haſſes und Vermeidung der Gemuͤths-Unruhe
als eine wahre Gemuͤths-Ruhe und Liebe zu
nennen ſey/ indem ſelbige auff gewiſſe Art auch
unter denen unvernuͤnfftigen Thieren anzutreffen
iſt; Alſo weiſet auch die taͤgliche Erfahrung/ daß
die abſonderlichen Gleichheiten unter denen
Menſchen eine viel ſtaͤrckere Vereinigung ver-
urſache/ die viel ſtaͤrckere Wirckung hat/ und
alſo den Titel der Liede in dieſen Anſehen mehr
verdienet.

10.

Jedoch iſt unter denen obenangefuͤhrten
abſonderlichen Gleichheiten der Menſchen auch
in Betrachtung derer daraus herruͤhrenden Ver-
einigungen ein mercklicher Unterſcheid. Die
Gleichheit des Alters/ Standes/ Vermoͤ-
gens/ der Profeſſion, der Landes-Art/ des Ver-
ſtandes/ wenn ſie nicht mit der Gleichheit der
Tugend und Weißheit vergeſellſchafftet ſind/ ſind
entweder nur der Grund einer Schein Liebe/

oder
N 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0233" n="203[201]"/>
          <fw place="top" type="header">Liebe der Men&#x017F;chen.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>8.</head>
            <p>Jn der <hi rendition="#fr">allgemeinen Gleichheit</hi> wie wir<lb/>
&#x017F;ie erkla&#x0364;ret haben/ gru&#x0364;ndet &#x017F;ich <hi rendition="#fr">die allgemeine<lb/>
Liebe/</hi> die alle Men&#x017F;chen mit einander in &#x017F;o weit<lb/>
verbindet/ daß &#x017F;ie einander <hi rendition="#fr">gleichma&#x0364;ßig</hi> <hi rendition="#aq">tracti-</hi><lb/>
ren/ und einer dem andern/ er &#x017F;ey wer er wolle/<lb/>
das jenige erwei&#x017F;e/ was er in gleichen Fa&#x0364;llen von<lb/>
ihm erwie&#x017F;en haben wolte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>9.</head>
            <p>Gleichwie aber die&#x017F;es gantze Capitel zei-<lb/>
gen wird/ daß die&#x017F;e Gleichheit der Gemu&#x0364;ther &#x017F;ich<lb/>
nicht &#x017F;ehr weit er&#x017F;trecke/ &#x017F;ondern der gering&#x017F;te<lb/>
Grad der&#x017F;elben &#x017F;ey/ auch mehr <hi rendition="#fr">ein Mangel des<lb/>
Ha&#x017F;&#x017F;es</hi> und Vermeidung der Gemu&#x0364;ths-Unruhe<lb/>
als eine wahre Gemu&#x0364;ths-Ruhe und Liebe zu<lb/>
nennen &#x017F;ey/ indem &#x017F;elbige auff gewi&#x017F;&#x017F;e Art auch<lb/>
unter denen unvernu&#x0364;nfftigen Thieren anzutreffen<lb/>
i&#x017F;t; Al&#x017F;o wei&#x017F;et auch die ta&#x0364;gliche Erfahrung/ daß<lb/>
die <hi rendition="#fr">ab&#x017F;onderlichen Gleichheiten</hi> unter denen<lb/>
Men&#x017F;chen eine <hi rendition="#fr">viel &#x017F;ta&#x0364;rckere</hi> Vereinigung ver-<lb/>
ur&#x017F;ache/ die viel &#x017F;ta&#x0364;rckere Wirckung hat/ und<lb/>
al&#x017F;o den Titel der Liede in die&#x017F;en An&#x017F;ehen mehr<lb/>
verdienet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>10.</head>
            <p>Jedoch i&#x017F;t unter denen obenangefu&#x0364;hrten<lb/>
ab&#x017F;onderlichen Gleichheiten der Men&#x017F;chen auch<lb/>
in Betrachtung derer daraus herru&#x0364;hrenden Ver-<lb/>
einigungen ein mercklicher Unter&#x017F;cheid. <hi rendition="#fr">Die<lb/>
Gleichheit des Alters/ Standes/ Vermo&#x0364;-<lb/>
gens/</hi> der <hi rendition="#aq">Profe&#x017F;&#x017F;ion,</hi> der <hi rendition="#fr">Landes-Art/</hi> des <hi rendition="#fr">Ver-<lb/>
&#x017F;tandes/</hi> wenn &#x017F;ie nicht mit der Gleichheit der<lb/>
Tugend und Weißheit verge&#x017F;ell&#x017F;chafftet &#x017F;ind/ &#x017F;ind<lb/>
entweder nur der Grund einer <hi rendition="#fr">Schein Liebe/</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 5</fw><fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203[201]/0233] Liebe der Menſchen. 8. Jn der allgemeinen Gleichheit wie wir ſie erklaͤret haben/ gruͤndet ſich die allgemeine Liebe/ die alle Menſchen mit einander in ſo weit verbindet/ daß ſie einander gleichmaͤßig tracti- ren/ und einer dem andern/ er ſey wer er wolle/ das jenige erweiſe/ was er in gleichen Faͤllen von ihm erwieſen haben wolte. 9. Gleichwie aber dieſes gantze Capitel zei- gen wird/ daß dieſe Gleichheit der Gemuͤther ſich nicht ſehr weit erſtrecke/ ſondern der geringſte Grad derſelben ſey/ auch mehr ein Mangel des Haſſes und Vermeidung der Gemuͤths-Unruhe als eine wahre Gemuͤths-Ruhe und Liebe zu nennen ſey/ indem ſelbige auff gewiſſe Art auch unter denen unvernuͤnfftigen Thieren anzutreffen iſt; Alſo weiſet auch die taͤgliche Erfahrung/ daß die abſonderlichen Gleichheiten unter denen Menſchen eine viel ſtaͤrckere Vereinigung ver- urſache/ die viel ſtaͤrckere Wirckung hat/ und alſo den Titel der Liede in dieſen Anſehen mehr verdienet. 10. Jedoch iſt unter denen obenangefuͤhrten abſonderlichen Gleichheiten der Menſchen auch in Betrachtung derer daraus herruͤhrenden Ver- einigungen ein mercklicher Unterſcheid. Die Gleichheit des Alters/ Standes/ Vermoͤ- gens/ der Profeſſion, der Landes-Art/ des Ver- ſtandes/ wenn ſie nicht mit der Gleichheit der Tugend und Weißheit vergeſellſchafftet ſind/ ſind entweder nur der Grund einer Schein Liebe/ oder N 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/233
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 203[201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/233>, abgerufen am 21.11.2024.