Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 3. Hauptst. von der vernünfftigen
jemahlen ein Philosophus mit Ernst die gröste
Glückseligkeit in einer viehischen Liebe der
Wollust
gesuchet habe/ ob man schon dieses
dem Epicuro und Aristippo beymisset. Gleiches
können wir auch von der Ehre und Reichthum
sagen/ weil diese Dinge allesamt kein ruhiges
Vergnügen geben/ das ohne empfindliche Freu-
de und Schmertzen wäre.

64.

So haben wir auch einen mercklichen
Vortheil/ wenn wir das Mittel die wahre
Glückseligkeit zu erlangen in der vernünfftigen
Liebe suchen/ als wenn wir uns hierzu des dun-
ckeln und zweydeutigen Worts der Tugend
bedienet hätten. Denn wir dürffen uns so dann
nicht mit anderen Philosophen herum beissen/ ob
wir dieses gröste Gut per habitum oder actio-
nem virtutis
erlangen. Man muß Meister in
der Liebe seyn/ und die Liebe ist nicht müßig/
sondern sie hat allezeit etwas zu thun. Zuge-
schweigen daß bey Beschreibung der Tugend
die dabey erforderte Mittel-Masse theils sehr
dunckel/ theils vielen Zancke unterworffen ist.
Aber die Liebe ist das rechte Maaß aller
Tugenden/
und ohne dieselbe ist die Tugend
tod. Ja wo Liebe ist/ bekümmere ich mich umb
keine Mittel-Masse. Z. e. wenn ich umb ein ei-
teles Ehr-Ansehen mich auch einer geringen Ge-
fahr/ der ich noch wohl gewachsen bin/ unter
werffe/ bin ich mehr tollkühne als tapffer;
wenn ich aber aus Liebe meinen Freund zu ret-

ten

Das 3. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen
jemahlen ein Philoſophus mit Ernſt die groͤſte
Gluͤckſeligkeit in einer viehiſchen Liebe der
Wolluſt
geſuchet habe/ ob man ſchon dieſes
dem Epicuro und Ariſtippo beymiſſet. Gleiches
koͤnnen wir auch von der Ehre und Reichthum
ſagen/ weil dieſe Dinge alleſamt kein ruhiges
Vergnuͤgen geben/ das ohne empfindliche Freu-
de und Schmertzen waͤre.

64.

So haben wir auch einen mercklichen
Vortheil/ wenn wir das Mittel die wahre
Gluͤckſeligkeit zu erlangen in der vernuͤnfftigen
Liebe ſuchen/ als wenn wir uns hierzu des dun-
ckeln und zweydeutigen Worts der Tugend
bedienet haͤtten. Denn wir duͤrffen uns ſo dann
nicht mit anderen Philoſophen herum beiſſen/ ob
wir dieſes groͤſte Gut per habitum oder actio-
nem virtutis
erlangen. Man muß Meiſter in
der Liebe ſeyn/ und die Liebe iſt nicht muͤßig/
ſondern ſie hat allezeit etwas zu thun. Zuge-
ſchweigen daß bey Beſchreibung der Tugend
die dabey erforderte Mittel-Maſſe theils ſehr
dunckel/ theils vielen Zancke unterworffen iſt.
Aber die Liebe iſt das rechte Maaß aller
Tugenden/
und ohne dieſelbe iſt die Tugend
tod. Ja wo Liebe iſt/ bekuͤmmere ich mich umb
keine Mittel-Maſſe. Z. e. wenn ich umb ein ei-
teles Ehr-Anſehen mich auch einer geringen Ge-
fahr/ der ich noch wohl gewachſen bin/ unter
werffe/ bin ich mehr tollkuͤhne als tapffer;
wenn ich aber aus Liebe meinen Freund zu ret-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0222" n="190"/><fw place="top" type="header">Das 3. Haupt&#x017F;t. von der vernu&#x0364;nfftigen</fw><lb/>
jemahlen ein <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophus</hi> mit Ern&#x017F;t die gro&#x0364;&#x017F;te<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit <hi rendition="#fr">in einer viehi&#x017F;chen Liebe der<lb/>
Wollu&#x017F;t</hi> ge&#x017F;uchet habe/ ob man &#x017F;chon die&#x017F;es<lb/>
dem <hi rendition="#aq">Epicuro</hi> und <hi rendition="#aq">Ari&#x017F;tippo</hi> beymi&#x017F;&#x017F;et. Gleiches<lb/>
ko&#x0364;nnen wir auch von der <hi rendition="#fr">Ehre</hi> und <hi rendition="#fr">Reichthum</hi><lb/>
&#x017F;agen/ weil die&#x017F;e Dinge alle&#x017F;amt kein ruhiges<lb/>
Vergnu&#x0364;gen geben/ das ohne empfindliche Freu-<lb/>
de und Schmertzen wa&#x0364;re.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>64.</head>
            <p>So haben wir auch einen mercklichen<lb/>
Vortheil/ wenn wir das Mittel die wahre<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit zu erlangen in der vernu&#x0364;nfftigen<lb/>
Liebe &#x017F;uchen/ als wenn wir uns hierzu des dun-<lb/>
ckeln und zweydeutigen Worts <hi rendition="#fr">der Tugend</hi><lb/>
bedienet ha&#x0364;tten. Denn wir du&#x0364;rffen uns &#x017F;o dann<lb/>
nicht mit anderen <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophen</hi> herum bei&#x017F;&#x017F;en/ ob<lb/>
wir die&#x017F;es gro&#x0364;&#x017F;te Gut <hi rendition="#aq">per habitum</hi> oder <hi rendition="#aq">actio-<lb/>
nem virtutis</hi> erlangen. Man muß <hi rendition="#fr">Mei&#x017F;ter</hi> in<lb/>
der Liebe &#x017F;eyn/ und die Liebe i&#x017F;t <hi rendition="#fr">nicht mu&#x0364;ßig/</hi><lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ie hat allezeit etwas zu thun. Zuge-<lb/>
&#x017F;chweigen daß bey Be&#x017F;chreibung der Tugend<lb/>
die dabey erforderte <hi rendition="#fr">Mittel-Ma&#x017F;&#x017F;e</hi> theils &#x017F;ehr<lb/>
dunckel/ theils vielen Zancke unterworffen i&#x017F;t.<lb/>
Aber die <hi rendition="#fr">Liebe i&#x017F;t das rechte Maaß aller<lb/>
Tugenden/</hi> und ohne die&#x017F;elbe i&#x017F;t die Tugend<lb/>
tod. Ja wo Liebe i&#x017F;t/ beku&#x0364;mmere ich mich umb<lb/>
keine Mittel-Ma&#x017F;&#x017F;e. Z. e. wenn ich umb ein ei-<lb/>
teles Ehr-An&#x017F;ehen mich auch einer geringen Ge-<lb/>
fahr/ der ich noch wohl gewach&#x017F;en bin/ unter<lb/>
werffe/ bin ich mehr <hi rendition="#fr">tollku&#x0364;hne</hi> als <hi rendition="#fr">tapffer;</hi><lb/>
wenn ich aber aus Liebe meinen Freund zu ret-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0222] Das 3. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen jemahlen ein Philoſophus mit Ernſt die groͤſte Gluͤckſeligkeit in einer viehiſchen Liebe der Wolluſt geſuchet habe/ ob man ſchon dieſes dem Epicuro und Ariſtippo beymiſſet. Gleiches koͤnnen wir auch von der Ehre und Reichthum ſagen/ weil dieſe Dinge alleſamt kein ruhiges Vergnuͤgen geben/ das ohne empfindliche Freu- de und Schmertzen waͤre. 64. So haben wir auch einen mercklichen Vortheil/ wenn wir das Mittel die wahre Gluͤckſeligkeit zu erlangen in der vernuͤnfftigen Liebe ſuchen/ als wenn wir uns hierzu des dun- ckeln und zweydeutigen Worts der Tugend bedienet haͤtten. Denn wir duͤrffen uns ſo dann nicht mit anderen Philoſophen herum beiſſen/ ob wir dieſes groͤſte Gut per habitum oder actio- nem virtutis erlangen. Man muß Meiſter in der Liebe ſeyn/ und die Liebe iſt nicht muͤßig/ ſondern ſie hat allezeit etwas zu thun. Zuge- ſchweigen daß bey Beſchreibung der Tugend die dabey erforderte Mittel-Maſſe theils ſehr dunckel/ theils vielen Zancke unterworffen iſt. Aber die Liebe iſt das rechte Maaß aller Tugenden/ und ohne dieſelbe iſt die Tugend tod. Ja wo Liebe iſt/ bekuͤmmere ich mich umb keine Mittel-Maſſe. Z. e. wenn ich umb ein ei- teles Ehr-Anſehen mich auch einer geringen Ge- fahr/ der ich noch wohl gewachſen bin/ unter werffe/ bin ich mehr tollkuͤhne als tapffer; wenn ich aber aus Liebe meinen Freund zu ret- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/222
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/222>, abgerufen am 21.11.2024.