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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe anderer Menschen überhaupt.
35.

Aber hierauff ist zu wissen/ daß zwar an
dem sey/ daß man die Liebe oder Freundschafft
ohne Bezeugung des Leibes nicht erkennen
könne/ weil der Mensch des andern Menschen sei-
ne Seele oder Gedancken ohne einen äußerlichen
Zeichen niemahln begreiffen/ noch ihm so zu sa-
gen ins Hertze sehen kan. Und ob schon die Re-
de und Worte dem Menschen gegeben sind seine
Gedancken dem andern mitzutheilen/ so gelten
doch diese Zeichen mehr in denen Gedancken/ die
zum Verstande des Menschen/ als zu dessen Wil-
len gehören. Denn bey diesen gilt ein einiges
Thun mehr als tausend Worte/ wiewohl ge-
meiniglich Worte vor denen Thaten vorher zu-
gehen pflegen. Nichts destoweniger aber wird
man hierans in geringsten nicht schliessen können/
daß die vernünfftige Liebe hauptsächlich oder
eben so wohl in Vereinigung des äußerlichen
Thuns/
als in Vereinigung der Seelen und des
Willens bestehe.

36.

Denn es ist ein grosser Unterscheid unter
dem Wesen eines Dinges/ und unter dem Zei-
chen
oder Bild desselbigen. Dieses ist allezeit
etwas/ das mit dem Wesen nichts zu thun hat/
sondern nach demselbigen folget oder sich darnch
richtet. Und also hat auch die Bezeugung des
äußerlichen Thun und Lassens nichts mit der
Vereinigung der Seelen an sich selst zu thun/
sondern sie folget auff dieselbige/ und gibt so wohl

in
Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt.
35.

Aber hierauff iſt zu wiſſen/ daß zwar an
dem ſey/ daß man die Liebe oder Freundſchafft
ohne Bezeugung des Leibes nicht erkennen
koͤnne/ weil der Menſch des andern Menſchen ſei-
ne Seele oder Gedancken ohne einen aͤußerlichen
Zeichen niemahln begreiffen/ noch ihm ſo zu ſa-
gen ins Hertze ſehen kan. Und ob ſchon die Re-
de und Worte dem Menſchen gegeben ſind ſeine
Gedancken dem andern mitzutheilen/ ſo gelten
doch dieſe Zeichen mehr in denen Gedancken/ die
zum Verſtande des Menſchen/ als zu deſſen Wil-
len gehoͤren. Denn bey dieſen gilt ein einiges
Thun mehr als tauſend Worte/ wiewohl ge-
meiniglich Worte vor denen Thaten vorher zu-
gehen pflegen. Nichts deſtoweniger aber wird
man hierans in geringſten nicht ſchlieſſen koͤnnen/
daß die vernuͤnfftige Liebe hauptſaͤchlich oder
eben ſo wohl in Vereinigung des aͤußerlichen
Thuns/
als in Vereinigung der Seelen und des
Willens beſtehe.

36.

Denn es iſt ein groſſer Unterſcheid unter
dem Weſen eines Dinges/ und unter dem Zei-
chen
oder Bild deſſelbigen. Dieſes iſt allezeit
etwas/ das mit dem Weſen nichts zu thun hat/
ſondern nach demſelbigen folget oder ſich darnch
richtet. Und alſo hat auch die Bezeugung des
aͤußerlichen Thun und Laſſens nichts mit der
Vereinigung der Seelen an ſich ſelſt zu thun/
ſondern ſie folget auff dieſelbige/ und gibt ſo wohl

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[173/0205] Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt. 35. Aber hierauff iſt zu wiſſen/ daß zwar an dem ſey/ daß man die Liebe oder Freundſchafft ohne Bezeugung des Leibes nicht erkennen koͤnne/ weil der Menſch des andern Menſchen ſei- ne Seele oder Gedancken ohne einen aͤußerlichen Zeichen niemahln begreiffen/ noch ihm ſo zu ſa- gen ins Hertze ſehen kan. Und ob ſchon die Re- de und Worte dem Menſchen gegeben ſind ſeine Gedancken dem andern mitzutheilen/ ſo gelten doch dieſe Zeichen mehr in denen Gedancken/ die zum Verſtande des Menſchen/ als zu deſſen Wil- len gehoͤren. Denn bey dieſen gilt ein einiges Thun mehr als tauſend Worte/ wiewohl ge- meiniglich Worte vor denen Thaten vorher zu- gehen pflegen. Nichts deſtoweniger aber wird man hierans in geringſten nicht ſchlieſſen koͤnnen/ daß die vernuͤnfftige Liebe hauptſaͤchlich oder eben ſo wohl in Vereinigung des aͤußerlichen Thuns/ als in Vereinigung der Seelen und des Willens beſtehe. 36. Denn es iſt ein groſſer Unterſcheid unter dem Weſen eines Dinges/ und unter dem Zei- chen oder Bild deſſelbigen. Dieſes iſt allezeit etwas/ das mit dem Weſen nichts zu thun hat/ ſondern nach demſelbigen folget oder ſich darnch richtet. Und alſo hat auch die Bezeugung des aͤußerlichen Thun und Laſſens nichts mit der Vereinigung der Seelen an ſich ſelſt zu thun/ ſondern ſie folget auff dieſelbige/ und gibt ſo wohl in

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/205>, abgerufen am 21.11.2024.