Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 2. Hauptst. von der grösten dasselbige etwas böses wäre/ oder aus einerallzufrühzeitigen Begierde/ andere allzuge- schwinde von allen Unvollkommenheiten zu rei- nigen/ herrühret; so wollen wir dieses wieder- umb nicht unter den Mangel der grösten Glück- seeligkeit/ sondern dem Mangel eines Zierraths derselben nur zurechnen/ als wenn einer aus jetzo angeführten Ursachen alle Leute dutzen/ und für keinen Menschen das Haupt entblösen wolte. 110. So ist auch leichtlich abzunehmen/ was 111. So ferne aber dieselbe von vergange- ches
Das 2. Hauptſt. von der groͤſten daſſelbige etwas boͤſes waͤre/ oder aus einerallzufruͤhzeitigen Begierde/ andere allzuge- ſchwinde von allen Unvollkommenheiten zu rei- nigen/ herruͤhret; ſo wollen wir dieſes wieder- umb nicht unter den Mangel der groͤſten Gluͤck- ſeeligkeit/ ſondern dem Mangel eines Zierraths derſelben nur zurechnen/ als wenn einer aus jetzo angefuͤhrten Urſachen alle Leute dutzen/ und fuͤr keinen Menſchen das Haupt entbloͤſen wolte. 110. So iſt auch leichtlich abzunehmen/ was 111. So ferne aber dieſelbe von vergange- ches
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Das 2. Hauptſt. von der groͤſten
daſſelbige etwas boͤſes waͤre/ oder aus einer
allzufruͤhzeitigen Begierde/ andere allzuge-
ſchwinde von allen Unvollkommenheiten zu rei-
nigen/ herruͤhret; ſo wollen wir dieſes wieder-
umb nicht unter den Mangel der groͤſten Gluͤck-
ſeeligkeit/ ſondern dem Mangel eines Zierraths
derſelben nur zurechnen/ als wenn einer aus jetzo
angefuͤhrten Urſachen alle Leute dutzen/ und fuͤr
keinen Menſchen das Haupt entbloͤſen wolte.
110. So iſt auch leichtlich abzunehmen/ was
es mit der Schamhafftigkeit fuͤr eine Be-
wandniß habe. Dieſe wird entweder von kuͤnff-
tigen oder vergangenen Thaten geſaget. Jn
dem erſten Gebrauch iſt ſie nichts anders/ als
ein Vorſatz in tugendhafften und indifferenten
Dingen nach dem decoro zu leben/ und hat die
Unſchamhaſftigkeit als ein Laſter entgegen ge-
ſetzt: wannenhero von dieſen Gebrauch nichts
weiter zu erinnern iſt.
111. So ferne aber dieſelbe von vergange-
nen Dingen geſaget wird/ heiſſet ſie eine Reue
uͤber eine wider das decorum anſtoſſende ge-
ſchehene That/ mit dem Vorſatz kuͤnfftig der-
gleichen nicht mehr zu thun/ und die Unſcham-
hafftigkeit iſt ein Mangel dieſer Reue. Ob
nun wohl auch die Unſchamhafftigkeit eine An-
zeigung iſt/ daß einer die groͤſte Gluͤckſeeligkeit
oder die Gemuͤths-Ruhe nicht beſitze/ ſo darff
man doch nicht dafuͤr halten/ daß die ihr entge-
gen geſetzte Schamhafftigkeit ein weſentli-
ches
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/136>, abgerufen am 04.03.2025. |