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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 14. H. von der Unzulängligkeit
werden/ bey denen der uns beherrschende Af-
fect
zwar auch die Oberhand hat/ aber diesel-
ben solchen nicht in so äusserlich grobe Thaten/
vielleicht wegen einer andern Mixtur ausbrechen
lassen. Oder wenn es hoch kommt/ werden wir
auf solche Gesellschafft fallen/ bey denen unser
anderer lasterhaffter
Affect die Oberhand
hat/ und unser Oberster die andere Stelle ver-
tritt.

10. Ja wie wollen wir vermögend seyn/
durch Ubung tugendhaffter Thaten die
vernünfftige Liebe zu erheben/
da wir noch
nicht tugendhafft sind/ sondern von denen La-
stern beherrschet werden/ und durch solche Tha-
ten erst tugendhafft werden/ und den herrschen-
den Affect dadurch bestreiten wollen. Dieses
heisset ja die Pferde hinter den Wagen gespan-
net. Wer wolte den Rath eines Medici für ver-
nünfftig und practicabel halten/ wenn er einem
Patienten/ der an dem Podagra starck laborire-
te/ rathen wolte/ er solte immer allmählig sich
üben/ daß er auf seine Füsse trete/ und in der
Stuben herum gehe/ oder der einem Krancken/
der einen sehr verderbten Magen hätte/ riethe/
er solte noch bey herrschender Kranckheit sich im-
mer nach und nach angewehnen/ z. e. ein gut
Stücke Rindfleisch oder rohen Schincken zu
essen? Würde er nicht dadurch übel ärger ma-
chen/ und alle gute Cur verderben?

11. Dan-

Das 14. H. von der Unzulaͤngligkeit
werden/ bey denen der uns beherrſchende Af-
fect
zwar auch die Oberhand hat/ aber dieſel-
ben ſolchen nicht in ſo aͤuſſerlich grobe Thaten/
vielleicht wegen einer andern Mixtur ausbrechen
laſſen. Oder wenn es hoch kommt/ werden wir
auf ſolche Geſellſchafft fallen/ bey denen unſer
anderer laſterhaffter
Affect die Oberhand
hat/ und unſer Oberſter die andere Stelle ver-
tritt.

10. Ja wie wollen wir vermoͤgend ſeyn/
durch Ubung tugendhaffter Thaten die
vernuͤnfftige Liebe zu erheben/
da wir noch
nicht tugendhafft ſind/ ſondern von denen La-
ſtern beherrſchet werden/ und durch ſolche Tha-
ten erſt tugendhafft werden/ und den herrſchen-
den Affect dadurch beſtreiten wollen. Dieſes
heiſſet ja die Pferde hinter den Wagen geſpan-
net. Wer wolte den Rath eines Medici fuͤr ver-
nuͤnfftig und practicabel halten/ wenn er einem
Patienten/ der an dem Podagra ſtarck laborire-
te/ rathen wolte/ er ſolte immer allmaͤhlig ſich
uͤben/ daß er auf ſeine Fuͤſſe trete/ und in der
Stuben herum gehe/ oder der einem Krancken/
der einen ſehr verderbten Magen haͤtte/ riethe/
er ſolte noch bey herrſchender Kranckheit ſich im-
mer nach und nach angewehnen/ z. e. ein gut
Stuͤcke Rindfleiſch oder rohen Schincken zu
eſſen? Wuͤrde er nicht dadurch uͤbel aͤrger ma-
chen/ und alle gute Cur verderben?

11. Dan-
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[506/0518] Das 14. H. von der Unzulaͤngligkeit werden/ bey denen der uns beherrſchende Af- fect zwar auch die Oberhand hat/ aber dieſel- ben ſolchen nicht in ſo aͤuſſerlich grobe Thaten/ vielleicht wegen einer andern Mixtur ausbrechen laſſen. Oder wenn es hoch kommt/ werden wir auf ſolche Geſellſchafft fallen/ bey denen unſer anderer laſterhaffter Affect die Oberhand hat/ und unſer Oberſter die andere Stelle ver- tritt. 10. Ja wie wollen wir vermoͤgend ſeyn/ durch Ubung tugendhaffter Thaten die vernuͤnfftige Liebe zu erheben/ da wir noch nicht tugendhafft ſind/ ſondern von denen La- ſtern beherrſchet werden/ und durch ſolche Tha- ten erſt tugendhafft werden/ und den herrſchen- den Affect dadurch beſtreiten wollen. Dieſes heiſſet ja die Pferde hinter den Wagen geſpan- net. Wer wolte den Rath eines Medici fuͤr ver- nuͤnfftig und practicabel halten/ wenn er einem Patienten/ der an dem Podagra ſtarck laborire- te/ rathen wolte/ er ſolte immer allmaͤhlig ſich uͤben/ daß er auf ſeine Fuͤſſe trete/ und in der Stuben herum gehe/ oder der einem Krancken/ der einen ſehr verderbten Magen haͤtte/ riethe/ er ſolte noch bey herrſchender Kranckheit ſich im- mer nach und nach angewehnen/ z. e. ein gut Stuͤcke Rindfleiſch oder rohen Schincken zu eſſen? Wuͤrde er nicht dadurch uͤbel aͤrger ma- chen/ und alle gute Cur verderben? 11. Dan-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/518>, abgerufen am 26.04.2024.