Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

eigentlich beschrieben werden müssen.
zerstreueten und angetriebenen Geistergen zu-
schreibet; so müssen wir doch abermahls die Em-
pfindungen des Verstandes und Bewegungen der
Geistergen in den Senn-Adern von den Neigun-
gen des Willens/ und Bewegungen des Geblüts
wohl entscheiden. Es ist kein Zweiffel/ daß z. e.
der Blitz durch seine Eindrückung ins Gehirne
nicht solte alsobald auch durch diese Eindrückung
aus dem Gehirne in die andern Nerven des Lei-
bes/ auch in die Nerven des Hertzens fortfahren/
und ein allgemeines Zittern der Glieder und Hertz-
klopffen verursachen können/ welches man Er-
schrecken nennet.
Aber gleichwie dieses Er-
schrecken nichts anders als eine Erschütterung des
Leibes ist/ die der Mensch mit den Thieren ge-
mein hat; also ist die Empfindung desselben im
Verstande der Seelen und nicht im Willen. Ja
das Erschrecken ist so wenig eine Gemüths-
leidenschafft/
als die Wollust oder Schmertzen/
weil sie eben auch so wenig auff das zukünfftige
und abwesende ihr Absehen hat/ als die Lust und
Schmertzen: ob sie schon einen affect zu erwecken
pfleget/ z. e. Furcht oder Zorn u. s. w. Denn
daß die Furcht mit dem Erschrecken nichts ge-
mein hat/ ist daher abzunehmen/ daß auch der
hertzhaffteste Mann sich des Erschreckens nicht
erwehren kan/ der doch Meister der Furcht ist/
und bey dem an Statt der Furcht das Schrecken
den Zorn erreget.

65. So
G 3

eigentlich beſchrieben werden muͤſſen.
zerſtreueten und angetriebenen Geiſtergen zu-
ſchreibet; ſo muͤſſen wir doch abermahls die Em-
pfindungen des Verſtandes uñ Bewegungen der
Geiſtergen in den Senn-Adern von den Neigun-
gen des Willens/ und Bewegungen des Gebluͤts
wohl entſcheiden. Es iſt kein Zweiffel/ daß z. e.
der Blitz durch ſeine Eindruͤckung ins Gehirne
nicht ſolte alſobald auch durch dieſe Eindruͤckung
aus dem Gehirne in die andern Nerven des Lei-
bes/ auch in die Nerven des Hertzens fortfahren/
und ein allgemeines Zittern der Glieder und Hertz-
klopffen verurſachen koͤnnen/ welches man Er-
ſchrecken nennet.
Aber gleichwie dieſes Er-
ſchrecken nichts anders als eine Erſchuͤtterung des
Leibes iſt/ die der Menſch mit den Thieren ge-
mein hat; alſo iſt die Empfindung deſſelben im
Verſtande der Seelen und nicht im Willen. Ja
das Erſchrecken iſt ſo wenig eine Gemuͤths-
leidenſchafft/
als die Wolluſt oder Schmertzen/
weil ſie eben auch ſo wenig auff das zukuͤnfftige
und abweſende ihr Abſehen hat/ als die Luſt und
Schmertzen: ob ſie ſchon einen affect zu erwecken
pfleget/ z. e. Furcht oder Zorn u. ſ. w. Denn
daß die Furcht mit dem Erſchrecken nichts ge-
mein hat/ iſt daher abzunehmen/ daß auch der
hertzhaffteſte Mann ſich des Erſchreckens nicht
erwehren kan/ der doch Meiſter der Furcht iſt/
und bey dem an Statt der Furcht das Schrecken
den Zorn erreget.

65. So
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="101"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">eigentlich be&#x017F;chrieben werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</hi></fw><lb/>
zer&#x017F;treueten und angetriebenen Gei&#x017F;tergen zu-<lb/>
&#x017F;chreibet; &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir doch abermahls die Em-<lb/>
pfindungen des Ver&#x017F;tandes un&#x0303; Bewegungen der<lb/>
Gei&#x017F;tergen in den Senn-Adern von den Neigun-<lb/>
gen des Willens/ und Bewegungen des Geblu&#x0364;ts<lb/>
wohl ent&#x017F;cheiden. Es i&#x017F;t kein Zweiffel/ daß z. e.<lb/>
der Blitz durch &#x017F;eine Eindru&#x0364;ckung ins Gehirne<lb/>
nicht &#x017F;olte al&#x017F;obald auch durch die&#x017F;e Eindru&#x0364;ckung<lb/>
aus dem Gehirne in die andern Nerven des Lei-<lb/>
bes/ auch in die Nerven des Hertzens fortfahren/<lb/>
und ein allgemeines Zittern der Glieder und Hertz-<lb/>
klopffen verur&#x017F;achen ko&#x0364;nnen/ <hi rendition="#fr">welches man Er-<lb/>
&#x017F;chrecken nennet.</hi> Aber gleichwie die&#x017F;es Er-<lb/>
&#x017F;chrecken nichts anders als eine Er&#x017F;chu&#x0364;tterung des<lb/>
Leibes i&#x017F;t/ die der Men&#x017F;ch mit den Thieren ge-<lb/>
mein hat; al&#x017F;o i&#x017F;t die Empfindung de&#x017F;&#x017F;elben im<lb/>
Ver&#x017F;tande der Seelen und nicht im Willen. Ja<lb/><hi rendition="#fr">das Er&#x017F;chrecken i&#x017F;t &#x017F;o wenig eine Gemu&#x0364;ths-<lb/>
leiden&#x017F;chafft/</hi> als die Wollu&#x017F;t oder Schmertzen/<lb/>
weil &#x017F;ie eben auch &#x017F;o wenig auff das zuku&#x0364;nfftige<lb/>
und abwe&#x017F;ende ihr Ab&#x017F;ehen hat/ als die Lu&#x017F;t und<lb/>
Schmertzen: ob &#x017F;ie &#x017F;chon einen <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">affect</hi></hi> zu erwecken<lb/>
pfleget/ z. e. Furcht oder Zorn u. &#x017F;. w. Denn<lb/>
daß <hi rendition="#fr">die Furcht</hi> mit dem <hi rendition="#fr">Er&#x017F;chrecken</hi> nichts ge-<lb/>
mein hat/ i&#x017F;t daher abzunehmen/ daß auch der<lb/>
hertzhaffte&#x017F;te Mann &#x017F;ich des Er&#x017F;chreckens nicht<lb/>
erwehren kan/ der doch Mei&#x017F;ter der Furcht i&#x017F;t/<lb/>
und bey dem an Statt der Furcht das Schrecken<lb/>
den Zorn erreget.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">G 3</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">65. So</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0113] eigentlich beſchrieben werden muͤſſen. zerſtreueten und angetriebenen Geiſtergen zu- ſchreibet; ſo muͤſſen wir doch abermahls die Em- pfindungen des Verſtandes uñ Bewegungen der Geiſtergen in den Senn-Adern von den Neigun- gen des Willens/ und Bewegungen des Gebluͤts wohl entſcheiden. Es iſt kein Zweiffel/ daß z. e. der Blitz durch ſeine Eindruͤckung ins Gehirne nicht ſolte alſobald auch durch dieſe Eindruͤckung aus dem Gehirne in die andern Nerven des Lei- bes/ auch in die Nerven des Hertzens fortfahren/ und ein allgemeines Zittern der Glieder und Hertz- klopffen verurſachen koͤnnen/ welches man Er- ſchrecken nennet. Aber gleichwie dieſes Er- ſchrecken nichts anders als eine Erſchuͤtterung des Leibes iſt/ die der Menſch mit den Thieren ge- mein hat; alſo iſt die Empfindung deſſelben im Verſtande der Seelen und nicht im Willen. Ja das Erſchrecken iſt ſo wenig eine Gemuͤths- leidenſchafft/ als die Wolluſt oder Schmertzen/ weil ſie eben auch ſo wenig auff das zukuͤnfftige und abweſende ihr Abſehen hat/ als die Luſt und Schmertzen: ob ſie ſchon einen affect zu erwecken pfleget/ z. e. Furcht oder Zorn u. ſ. w. Denn daß die Furcht mit dem Erſchrecken nichts ge- mein hat/ iſt daher abzunehmen/ daß auch der hertzhaffteſte Mann ſich des Erſchreckens nicht erwehren kan/ der doch Meiſter der Furcht iſt/ und bey dem an Statt der Furcht das Schrecken den Zorn erreget. 65. So G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/113
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/113>, abgerufen am 27.04.2024.