kung den Lauf der Säfte und der Geister, die sich als- denn von den Theilen entziehen, welche nur durch sie ihre bewegende Kraft haben. Daher entsteht der Trieb, wovon die Ruhe und Erschlaffung eine Folge ist. Aber auch in der Seele läßt der Trieb, sich unthätig zu ma- chen, sich erklären. Sie fühlt die Schwäche und Er- starrung ihres Körpers, und die Schmerzen, wenn sie ihre Bestrebungen fortsetzen will. Sie muß also noth- wendig in eine andere Richtung sich zu bringen suchen, wo sie jenen Gefühlen ausweicht. Dadurch kommt sie von selbst in diejenige, in der sie den Körper zur Ruhe bringt. Hat nun dieß neue Bestreben seine Wirkung, entziehen sich die Reizungen der Sinne und der Phanta- sie: so fühlt sie diesen Erfolg in sich, und in ihrem Kör- per den neuen Zustand, der zu seinem Wohlbefinden gehöret und mit einer innigen Lust verbunden ist, ob- gleich während der Empfindung die Empfindung selbst an Stärke abnimmt und auslöscht. Ohne Zweifel kom- men nun die associirten Jdeen von der Erholung, und der darauf folgenden größern Munterkeit hinzu, und verstärken die Sehnsucht nach der Ruhe. Aber die Ruhe ist doch von Natur schon angenehm, und wird es nicht blos durch die Verknüpfung mit neuen Erwar- tungen.
8.
Ohne Rücksicht auf das allgemeine Princip des Vergnügens kann die Beziehung der Vervollkommnung des Menschen auf seine Glückseligkeit bestimmt werden, wenn solches bey den verschiedenen Arten der angeneh- men Empfindungen, die als Bestandtheile des gesamm- ten menschlichen Wohls zu betrachten sind, einzeln ge- schieht. Wenn nicht alle Vergnügungen in gleicher Maße von der Vollkommenheit abhangen, so muß der verhältnißmäßige Werth derer, die näher sich auf sie beziehen, gegen andere festgesetzt werden. Dieß ist ein
wesentli-
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
kung den Lauf der Saͤfte und der Geiſter, die ſich als- denn von den Theilen entziehen, welche nur durch ſie ihre bewegende Kraft haben. Daher entſteht der Trieb, wovon die Ruhe und Erſchlaffung eine Folge iſt. Aber auch in der Seele laͤßt der Trieb, ſich unthaͤtig zu ma- chen, ſich erklaͤren. Sie fuͤhlt die Schwaͤche und Er- ſtarrung ihres Koͤrpers, und die Schmerzen, wenn ſie ihre Beſtrebungen fortſetzen will. Sie muß alſo noth- wendig in eine andere Richtung ſich zu bringen ſuchen, wo ſie jenen Gefuͤhlen ausweicht. Dadurch kommt ſie von ſelbſt in diejenige, in der ſie den Koͤrper zur Ruhe bringt. Hat nun dieß neue Beſtreben ſeine Wirkung, entziehen ſich die Reizungen der Sinne und der Phanta- ſie: ſo fuͤhlt ſie dieſen Erfolg in ſich, und in ihrem Koͤr- per den neuen Zuſtand, der zu ſeinem Wohlbefinden gehoͤret und mit einer innigen Luſt verbunden iſt, ob- gleich waͤhrend der Empfindung die Empfindung ſelbſt an Staͤrke abnimmt und ausloͤſcht. Ohne Zweifel kom- men nun die aſſociirten Jdeen von der Erholung, und der darauf folgenden groͤßern Munterkeit hinzu, und verſtaͤrken die Sehnſucht nach der Ruhe. Aber die Ruhe iſt doch von Natur ſchon angenehm, und wird es nicht blos durch die Verknuͤpfung mit neuen Erwar- tungen.
8.
Ohne Ruͤckſicht auf das allgemeine Princip des Vergnuͤgens kann die Beziehung der Vervollkommnung des Menſchen auf ſeine Gluͤckſeligkeit beſtimmt werden, wenn ſolches bey den verſchiedenen Arten der angeneh- men Empfindungen, die als Beſtandtheile des geſamm- ten menſchlichen Wohls zu betrachten ſind, einzeln ge- ſchieht. Wenn nicht alle Vergnuͤgungen in gleicher Maße von der Vollkommenheit abhangen, ſo muß der verhaͤltnißmaͤßige Werth derer, die naͤher ſich auf ſie beziehen, gegen andere feſtgeſetzt werden. Dieß iſt ein
weſentli-
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
kung den Lauf der Saͤfte und der Geiſter, die ſich als-
denn von den Theilen entziehen, welche nur durch ſie ihre
bewegende Kraft haben. Daher entſteht der Trieb,
wovon die Ruhe und Erſchlaffung eine Folge iſt. Aber
auch in der Seele laͤßt der Trieb, ſich unthaͤtig zu ma-
chen, ſich erklaͤren. Sie fuͤhlt die Schwaͤche und Er-
ſtarrung ihres Koͤrpers, und die Schmerzen, wenn ſie
ihre Beſtrebungen fortſetzen will. Sie muß alſo noth-
wendig in eine andere Richtung ſich zu bringen ſuchen,
wo ſie jenen Gefuͤhlen ausweicht. Dadurch kommt ſie
von ſelbſt in diejenige, in der ſie den Koͤrper zur Ruhe
bringt. Hat nun dieß neue Beſtreben ſeine Wirkung,
entziehen ſich die Reizungen der Sinne und der Phanta-
ſie: ſo fuͤhlt ſie dieſen Erfolg in ſich, und in ihrem Koͤr-
per den neuen Zuſtand, der zu ſeinem Wohlbefinden
gehoͤret und mit einer innigen Luſt verbunden iſt, ob-
gleich waͤhrend der Empfindung die Empfindung ſelbſt
an Staͤrke abnimmt und ausloͤſcht. Ohne Zweifel kom-
men nun die aſſociirten Jdeen von der Erholung, und
der darauf folgenden groͤßern Munterkeit hinzu, und
verſtaͤrken die Sehnſucht nach der Ruhe. Aber die
Ruhe iſt doch von Natur ſchon angenehm, und wird es
nicht blos durch die Verknuͤpfung mit neuen Erwar-
tungen.
8.
Ohne Ruͤckſicht auf das allgemeine Princip des
Vergnuͤgens kann die Beziehung der Vervollkommnung
des Menſchen auf ſeine Gluͤckſeligkeit beſtimmt werden,
wenn ſolches bey den verſchiedenen Arten der angeneh-
men Empfindungen, die als Beſtandtheile des geſamm-
ten menſchlichen Wohls zu betrachten ſind, einzeln ge-
ſchieht. Wenn nicht alle Vergnuͤgungen in gleicher
Maße von der Vollkommenheit abhangen, ſo muß der
verhaͤltnißmaͤßige Werth derer, die naͤher ſich auf ſie
beziehen, gegen andere feſtgeſetzt werden. Dieß iſt ein
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 814. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/844>, abgerufen am 21.11.2024.
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