Hang des Verstandes zu genau bestimmten Begriffen und zum Eindringen in den Zusammenhang der Kennt- nisse kann in seiner ganzen Größe bestehen und sich bey andern Objekten thätig beweisen.
5.
Zwo Anmerkungen begegnen mir hier, denen ich nicht ausweichen will. Da alle Kenntnisse, die von den alten und neuern Erfindern zuerst gelehret sind, von ihren Nachfolgern gesammlet, leichter geordnet, faßli- cher gemacht, und endlich kurz gefaßt in die neuern Lehr- bücher gebracht sind: so kann derjenige, dem es nur um die Kenntnisse selbst zu thun ist, wenig Ursachen haben zu den ersten Quellen zurückzugehen. Sollte es also nunmehr zu nichts nützen, die Schriften der ersten Er- finder selbst zu lesen? Ohne Zweifel ist solches in man- cher Hinsicht unnöthig. Denn warum soll ich mit meh- rerer Mühe und Weitläuftigkeit da Kenntnisse holen, wo sie mit Jrrthümern und Vorurtheilen vermischt, zer- streut und in Unordnung liegen, wenn ich sie anders- wo beysammen, geläutert und in einer lichtvollen Ver- bindung haben kann, wofern es nicht etwa meine Ab- sicht ist die Geschichte der Kenntnisse zu studiren? Aber man würde sich gar sehr irren, wenn man glau- ben wollte, daß dorten in den ältern Schriften nichts zurückgeblieben sey, was man nicht von den Neuern auch erlernen könnte. Der spürende Geist der Erfin- der ist zurückgeblieben. Wer diesen kennen, etwas da- von einziehen, oder die natürliche Anlage dazu verstär- ken will, muß sie selbst studiren. Das Eigene in ih- rer Art die Sachen zu denken, zu verbinden, von dem einem zum andern überzugehen, dasjenige eben was es oft schwer macht sie zu verstehen, nöthiget den, der ihnen nachdenket, zu mancherley Verstandeshätigkei- ten, die er sonsten nicht gebraucht hätte, und zuweilen
zu
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Hang des Verſtandes zu genau beſtimmten Begriffen und zum Eindringen in den Zuſammenhang der Kennt- niſſe kann in ſeiner ganzen Groͤße beſtehen und ſich bey andern Objekten thaͤtig beweiſen.
5.
Zwo Anmerkungen begegnen mir hier, denen ich nicht ausweichen will. Da alle Kenntniſſe, die von den alten und neuern Erfindern zuerſt gelehret ſind, von ihren Nachfolgern geſammlet, leichter geordnet, faßli- cher gemacht, und endlich kurz gefaßt in die neuern Lehr- buͤcher gebracht ſind: ſo kann derjenige, dem es nur um die Kenntniſſe ſelbſt zu thun iſt, wenig Urſachen haben zu den erſten Quellen zuruͤckzugehen. Sollte es alſo nunmehr zu nichts nuͤtzen, die Schriften der erſten Er- finder ſelbſt zu leſen? Ohne Zweifel iſt ſolches in man- cher Hinſicht unnoͤthig. Denn warum ſoll ich mit meh- rerer Muͤhe und Weitlaͤuftigkeit da Kenntniſſe holen, wo ſie mit Jrrthuͤmern und Vorurtheilen vermiſcht, zer- ſtreut und in Unordnung liegen, wenn ich ſie anders- wo beyſammen, gelaͤutert und in einer lichtvollen Ver- bindung haben kann, wofern es nicht etwa meine Ab- ſicht iſt die Geſchichte der Kenntniſſe zu ſtudiren? Aber man wuͤrde ſich gar ſehr irren, wenn man glau- ben wollte, daß dorten in den aͤltern Schriften nichts zuruͤckgeblieben ſey, was man nicht von den Neuern auch erlernen koͤnnte. Der ſpuͤrende Geiſt der Erfin- der iſt zuruͤckgeblieben. Wer dieſen kennen, etwas da- von einziehen, oder die natuͤrliche Anlage dazu verſtaͤr- ken will, muß ſie ſelbſt ſtudiren. Das Eigene in ih- rer Art die Sachen zu denken, zu verbinden, von dem einem zum andern uͤberzugehen, dasjenige eben was es oft ſchwer macht ſie zu verſtehen, noͤthiget den, der ihnen nachdenket, zu mancherley Verſtandeshaͤtigkei- ten, die er ſonſten nicht gebraucht haͤtte, und zuweilen
zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0430"n="400"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIV.</hi> Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt</hi></fw><lb/>
Hang des Verſtandes zu genau beſtimmten Begriffen<lb/>
und zum Eindringen in den Zuſammenhang der Kennt-<lb/>
niſſe kann in ſeiner ganzen Groͤße beſtehen und ſich bey<lb/>
andern Objekten thaͤtig beweiſen.</p></div><lb/><divn="4"><head>5.</head><lb/><p>Zwo Anmerkungen begegnen mir hier, denen ich<lb/>
nicht ausweichen will. Da alle Kenntniſſe, die von<lb/>
den alten und neuern Erfindern zuerſt gelehret ſind, von<lb/>
ihren Nachfolgern geſammlet, leichter geordnet, faßli-<lb/>
cher gemacht, und endlich kurz gefaßt in die neuern Lehr-<lb/>
buͤcher gebracht ſind: ſo kann derjenige, dem es nur um<lb/>
die Kenntniſſe ſelbſt zu thun iſt, wenig Urſachen haben<lb/>
zu den erſten Quellen zuruͤckzugehen. Sollte es alſo<lb/>
nunmehr zu nichts nuͤtzen, die Schriften der erſten Er-<lb/>
finder ſelbſt zu leſen? Ohne Zweifel iſt ſolches in man-<lb/>
cher Hinſicht unnoͤthig. Denn warum ſoll ich mit meh-<lb/>
rerer Muͤhe und Weitlaͤuftigkeit da Kenntniſſe holen,<lb/>
wo ſie mit Jrrthuͤmern und Vorurtheilen vermiſcht, zer-<lb/>ſtreut und in Unordnung liegen, wenn ich ſie anders-<lb/>
wo beyſammen, gelaͤutert und in einer lichtvollen Ver-<lb/>
bindung haben kann, wofern es nicht etwa meine Ab-<lb/>ſicht iſt die Geſchichte der Kenntniſſe zu ſtudiren?<lb/>
Aber man wuͤrde ſich gar ſehr irren, wenn man glau-<lb/>
ben wollte, daß dorten in den aͤltern Schriften nichts<lb/>
zuruͤckgeblieben ſey, was man nicht von den Neuern<lb/>
auch erlernen koͤnnte. Der ſpuͤrende Geiſt der Erfin-<lb/>
der iſt zuruͤckgeblieben. Wer dieſen kennen, etwas da-<lb/>
von einziehen, oder die natuͤrliche Anlage dazu verſtaͤr-<lb/>
ken will, muß ſie ſelbſt ſtudiren. Das Eigene in ih-<lb/>
rer Art die Sachen zu denken, zu verbinden, von dem<lb/>
einem zum andern uͤberzugehen, dasjenige eben was<lb/>
es oft ſchwer macht ſie zu verſtehen, noͤthiget den, der<lb/>
ihnen nachdenket, zu mancherley Verſtandeshaͤtigkei-<lb/>
ten, die er ſonſten nicht gebraucht haͤtte, und zuweilen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zu</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[400/0430]
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Hang des Verſtandes zu genau beſtimmten Begriffen
und zum Eindringen in den Zuſammenhang der Kennt-
niſſe kann in ſeiner ganzen Groͤße beſtehen und ſich bey
andern Objekten thaͤtig beweiſen.
5.
Zwo Anmerkungen begegnen mir hier, denen ich
nicht ausweichen will. Da alle Kenntniſſe, die von
den alten und neuern Erfindern zuerſt gelehret ſind, von
ihren Nachfolgern geſammlet, leichter geordnet, faßli-
cher gemacht, und endlich kurz gefaßt in die neuern Lehr-
buͤcher gebracht ſind: ſo kann derjenige, dem es nur um
die Kenntniſſe ſelbſt zu thun iſt, wenig Urſachen haben
zu den erſten Quellen zuruͤckzugehen. Sollte es alſo
nunmehr zu nichts nuͤtzen, die Schriften der erſten Er-
finder ſelbſt zu leſen? Ohne Zweifel iſt ſolches in man-
cher Hinſicht unnoͤthig. Denn warum ſoll ich mit meh-
rerer Muͤhe und Weitlaͤuftigkeit da Kenntniſſe holen,
wo ſie mit Jrrthuͤmern und Vorurtheilen vermiſcht, zer-
ſtreut und in Unordnung liegen, wenn ich ſie anders-
wo beyſammen, gelaͤutert und in einer lichtvollen Ver-
bindung haben kann, wofern es nicht etwa meine Ab-
ſicht iſt die Geſchichte der Kenntniſſe zu ſtudiren?
Aber man wuͤrde ſich gar ſehr irren, wenn man glau-
ben wollte, daß dorten in den aͤltern Schriften nichts
zuruͤckgeblieben ſey, was man nicht von den Neuern
auch erlernen koͤnnte. Der ſpuͤrende Geiſt der Erfin-
der iſt zuruͤckgeblieben. Wer dieſen kennen, etwas da-
von einziehen, oder die natuͤrliche Anlage dazu verſtaͤr-
ken will, muß ſie ſelbſt ſtudiren. Das Eigene in ih-
rer Art die Sachen zu denken, zu verbinden, von dem
einem zum andern uͤberzugehen, dasjenige eben was
es oft ſchwer macht ſie zu verſtehen, noͤthiget den, der
ihnen nachdenket, zu mancherley Verſtandeshaͤtigkei-
ten, die er ſonſten nicht gebraucht haͤtte, und zuweilen
zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/430>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.