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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
empfunden werden kann, als sonsten, wenn er zuerst
in die Nase kommt, und daß wir auch nicht völlig die
nämliche materielle Geruchsidee aus dieser Empfindung
von ihr erhalten. Dasselbige zeiget sich in vielen an-
dern Empfindungen, bey allen Sinnen, am meisten
aber bey den niedern Sinnen des Geruchs, des Ge-
schmacks und des Gefühls. Jede wird etwas geändert
durch die, welche unmittelbar oder doch nicht lange vor-
hergegangen sind, und von deren Eindruck noch etwas
zurück ist. Man kann daraus zwar nicht geradezu
schließen, daß die Eindrücke auf ebendieselbige Fiber
fallen, weil jener Einfluß derselben in einander auch aus
ihrer Verbindung wohl begreiflich ist. Aber dennoch
möchte ich, nach diesen Beobachtungen allein zu urthei-
len, es für wahrscheinlicher halten, daß mehrere Ein-
drücke auf einerley Fiber kommen, als das Gegentheil.
Hat sich die Empfindung der Rose gänzlich verloren,
so erhalten wir die Jmpression von der Nelke unver-
mischter und reiner; allein man weiß auch, wie wenig
die Reproduktion einer Geruchsempfindung zu bedeuten
habe, wenn sie mit einer Empfindung verglichen wird.
Wenn man die Beyspiele aus den Gesichtsempfindun-
gen hernimmt, so bestätiget es die Erfahrung mehr als
zu viel, wie leicht die Einbildungen sich mit den gegen-
wärtigen Jmpressionen verbinden, und dadurch unreine
Eindrücke hervorbringen. Dieß führet gleichfalls mehr
auf die Vermuthung, daß dieselbige Fiber mehrere
Jmpressionen aufnehme, als daß jede ihre eigene
habe.

5.

Bis hieher gehen die ersten Gründe des bonneti-
schen Systems, bey deren letztern diejenige Zuverläs-
sigkeit nicht mehr ist, die der scharfsinnige Mann ihm
zuschrieb. Aber nun ist die Hauptsache noch zurück.

Denn

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
empfunden werden kann, als ſonſten, wenn er zuerſt
in die Naſe kommt, und daß wir auch nicht voͤllig die
naͤmliche materielle Geruchsidee aus dieſer Empfindung
von ihr erhalten. Daſſelbige zeiget ſich in vielen an-
dern Empfindungen, bey allen Sinnen, am meiſten
aber bey den niedern Sinnen des Geruchs, des Ge-
ſchmacks und des Gefuͤhls. Jede wird etwas geaͤndert
durch die, welche unmittelbar oder doch nicht lange vor-
hergegangen ſind, und von deren Eindruck noch etwas
zuruͤck iſt. Man kann daraus zwar nicht geradezu
ſchließen, daß die Eindruͤcke auf ebendieſelbige Fiber
fallen, weil jener Einfluß derſelben in einander auch aus
ihrer Verbindung wohl begreiflich iſt. Aber dennoch
moͤchte ich, nach dieſen Beobachtungen allein zu urthei-
len, es fuͤr wahrſcheinlicher halten, daß mehrere Ein-
druͤcke auf einerley Fiber kommen, als das Gegentheil.
Hat ſich die Empfindung der Roſe gaͤnzlich verloren,
ſo erhalten wir die Jmpreſſion von der Nelke unver-
miſchter und reiner; allein man weiß auch, wie wenig
die Reproduktion einer Geruchsempfindung zu bedeuten
habe, wenn ſie mit einer Empfindung verglichen wird.
Wenn man die Beyſpiele aus den Geſichtsempfindun-
gen hernimmt, ſo beſtaͤtiget es die Erfahrung mehr als
zu viel, wie leicht die Einbildungen ſich mit den gegen-
waͤrtigen Jmpreſſionen verbinden, und dadurch unreine
Eindruͤcke hervorbringen. Dieß fuͤhret gleichfalls mehr
auf die Vermuthung, daß dieſelbige Fiber mehrere
Jmpreſſionen aufnehme, als daß jede ihre eigene
habe.

5.

Bis hieher gehen die erſten Gruͤnde des bonneti-
ſchen Syſtems, bey deren letztern diejenige Zuverlaͤſ-
ſigkeit nicht mehr iſt, die der ſcharfſinnige Mann ihm
zuſchrieb. Aber nun iſt die Hauptſache noch zuruͤck.

Denn
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[262/0292] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen empfunden werden kann, als ſonſten, wenn er zuerſt in die Naſe kommt, und daß wir auch nicht voͤllig die naͤmliche materielle Geruchsidee aus dieſer Empfindung von ihr erhalten. Daſſelbige zeiget ſich in vielen an- dern Empfindungen, bey allen Sinnen, am meiſten aber bey den niedern Sinnen des Geruchs, des Ge- ſchmacks und des Gefuͤhls. Jede wird etwas geaͤndert durch die, welche unmittelbar oder doch nicht lange vor- hergegangen ſind, und von deren Eindruck noch etwas zuruͤck iſt. Man kann daraus zwar nicht geradezu ſchließen, daß die Eindruͤcke auf ebendieſelbige Fiber fallen, weil jener Einfluß derſelben in einander auch aus ihrer Verbindung wohl begreiflich iſt. Aber dennoch moͤchte ich, nach dieſen Beobachtungen allein zu urthei- len, es fuͤr wahrſcheinlicher halten, daß mehrere Ein- druͤcke auf einerley Fiber kommen, als das Gegentheil. Hat ſich die Empfindung der Roſe gaͤnzlich verloren, ſo erhalten wir die Jmpreſſion von der Nelke unver- miſchter und reiner; allein man weiß auch, wie wenig die Reproduktion einer Geruchsempfindung zu bedeuten habe, wenn ſie mit einer Empfindung verglichen wird. Wenn man die Beyſpiele aus den Geſichtsempfindun- gen hernimmt, ſo beſtaͤtiget es die Erfahrung mehr als zu viel, wie leicht die Einbildungen ſich mit den gegen- waͤrtigen Jmpreſſionen verbinden, und dadurch unreine Eindruͤcke hervorbringen. Dieß fuͤhret gleichfalls mehr auf die Vermuthung, daß dieſelbige Fiber mehrere Jmpreſſionen aufnehme, als daß jede ihre eigene habe. 5. Bis hieher gehen die erſten Gruͤnde des bonneti- ſchen Syſtems, bey deren letztern diejenige Zuverlaͤſ- ſigkeit nicht mehr iſt, die der ſcharfſinnige Mann ihm zuſchrieb. Aber nun iſt die Hauptſache noch zuruͤck. Denn

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/292>, abgerufen am 21.11.2024.