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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit
möchte. Denn was bestimmet doch die Kugel, die
man eben der elastischen Feder vorleget, indem diese
ausspringet, die Elasticität derselben und ihre innere
zureichende Kraft? obgleich dieser Umstand doch das
Warum enthält, daß die Kraft auf diese Kugel ange-
wendet wird! Warum soll dasjenige bestimmend
heißen, was nicht aktiv bestimmt? Aber ein Grund
oder ein hinreichender Grund würde es wohl heißen
müssen. Doch an Worte sollten sich wenigstens Philo-
sophen nicht stoßen.

5.

Die metaphysischen Gemeinbegriffe von dem Noth-
wendigen
und Zufälligen bedürfen ohne Zweifel ei-
ner sorgfältigen Prüfung. Es scheint, sie hätten einen
Anstrich von dem Jmaginairen an sich, das die bilden-
de Phantasie zu dem, was aus reinen Empfindungs-
ideen gezogen worden ist, hinzuzusetzen pfleget. Aber
Hr. Hume hat in seiner Analyse des Nothwendigen
zu wenig gesehen. Denn Nothwendig ist mehr, als
beständig auf einerley Art seyn. Jndessen glaube
ich, da diese Begriffe vom Nothwendigen und Zufälli-
gen so viele Verwirrung veranlasset haben, man thue
wohl, wenn man sie mit allen übrigen, die sich auf sie
beziehen, aus der Philosophie wegließe, und das Reel-
le, was nun einmal in diesen beiden Notionen, die
gleichsam zwey große Fächer des Verstandes geworden
sind, enthalten ist, zertheilt aufsuche, und in andere
Gemeinbegriffe hineinbringe. Selbst die gegenwärtige
Untersuchung über die Natur der Freyheit giebt ein Bey-
spiel davon ab, daß Lehren, in denen man sonsten so
oft um diese Notionen herumdrehet, eben so faßlich und
zusammenhangend vorgetragen werden können, wenn
man sich gleich der Wörter, Nothwendig und Zufällig

mit

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
moͤchte. Denn was beſtimmet doch die Kugel, die
man eben der elaſtiſchen Feder vorleget, indem dieſe
ausſpringet, die Elaſticitaͤt derſelben und ihre innere
zureichende Kraft? obgleich dieſer Umſtand doch das
Warum enthaͤlt, daß die Kraft auf dieſe Kugel ange-
wendet wird! Warum ſoll dasjenige beſtimmend
heißen, was nicht aktiv beſtimmt? Aber ein Grund
oder ein hinreichender Grund wuͤrde es wohl heißen
muͤſſen. Doch an Worte ſollten ſich wenigſtens Philo-
ſophen nicht ſtoßen.

5.

Die metaphyſiſchen Gemeinbegriffe von dem Noth-
wendigen
und Zufaͤlligen beduͤrfen ohne Zweifel ei-
ner ſorgfaͤltigen Pruͤfung. Es ſcheint, ſie haͤtten einen
Anſtrich von dem Jmaginairen an ſich, das die bilden-
de Phantaſie zu dem, was aus reinen Empfindungs-
ideen gezogen worden iſt, hinzuzuſetzen pfleget. Aber
Hr. Hume hat in ſeiner Analyſe des Nothwendigen
zu wenig geſehen. Denn Nothwendig iſt mehr, als
beſtaͤndig auf einerley Art ſeyn. Jndeſſen glaube
ich, da dieſe Begriffe vom Nothwendigen und Zufaͤlli-
gen ſo viele Verwirrung veranlaſſet haben, man thue
wohl, wenn man ſie mit allen uͤbrigen, die ſich auf ſie
beziehen, aus der Philoſophie wegließe, und das Reel-
le, was nun einmal in dieſen beiden Notionen, die
gleichſam zwey große Faͤcher des Verſtandes geworden
ſind, enthalten iſt, zertheilt aufſuche, und in andere
Gemeinbegriffe hineinbringe. Selbſt die gegenwaͤrtige
Unterſuchung uͤber die Natur der Freyheit giebt ein Bey-
ſpiel davon ab, daß Lehren, in denen man ſonſten ſo
oft um dieſe Notionen herumdrehet, eben ſo faßlich und
zuſammenhangend vorgetragen werden koͤnnen, wenn
man ſich gleich der Woͤrter, Nothwendig und Zufaͤllig

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[146/0176] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit moͤchte. Denn was beſtimmet doch die Kugel, die man eben der elaſtiſchen Feder vorleget, indem dieſe ausſpringet, die Elaſticitaͤt derſelben und ihre innere zureichende Kraft? obgleich dieſer Umſtand doch das Warum enthaͤlt, daß die Kraft auf dieſe Kugel ange- wendet wird! Warum ſoll dasjenige beſtimmend heißen, was nicht aktiv beſtimmt? Aber ein Grund oder ein hinreichender Grund wuͤrde es wohl heißen muͤſſen. Doch an Worte ſollten ſich wenigſtens Philo- ſophen nicht ſtoßen. 5. Die metaphyſiſchen Gemeinbegriffe von dem Noth- wendigen und Zufaͤlligen beduͤrfen ohne Zweifel ei- ner ſorgfaͤltigen Pruͤfung. Es ſcheint, ſie haͤtten einen Anſtrich von dem Jmaginairen an ſich, das die bilden- de Phantaſie zu dem, was aus reinen Empfindungs- ideen gezogen worden iſt, hinzuzuſetzen pfleget. Aber Hr. Hume hat in ſeiner Analyſe des Nothwendigen zu wenig geſehen. Denn Nothwendig iſt mehr, als beſtaͤndig auf einerley Art ſeyn. Jndeſſen glaube ich, da dieſe Begriffe vom Nothwendigen und Zufaͤlli- gen ſo viele Verwirrung veranlaſſet haben, man thue wohl, wenn man ſie mit allen uͤbrigen, die ſich auf ſie beziehen, aus der Philoſophie wegließe, und das Reel- le, was nun einmal in dieſen beiden Notionen, die gleichſam zwey große Faͤcher des Verſtandes geworden ſind, enthalten iſt, zertheilt aufſuche, und in andere Gemeinbegriffe hineinbringe. Selbſt die gegenwaͤrtige Unterſuchung uͤber die Natur der Freyheit giebt ein Bey- ſpiel davon ab, daß Lehren, in denen man ſonſten ſo oft um dieſe Notionen herumdrehet, eben ſo faßlich und zuſammenhangend vorgetragen werden koͤnnen, wenn man ſich gleich der Woͤrter, Nothwendig und Zufaͤllig mit

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/176>, abgerufen am 21.12.2024.