handeln. Und diese innere Disposition, daß wir da, wo wir unserer Neigung folgen, dennoch innerlich zu der entgegengesetzten Kraftäußerung eben so wohl aufgelegt und gestimmt sind, als zu der, welche erfol- get, ist eben diejenige Beschaffenheit, welche wir durch die Redensart anzeigen: wir haben uns in unserer Gewalt.
6.
Zu der zweyten Gattung von Selbstbestimmungen gehören solche, wo wir zwischen Wollen und Nicht- wollen zwischen Thun und Lassen auswählen. Jch bestimme mich, vom Stuhl aufzustehen, oder sitzen zu bleiben. Es ist unnöthig, hier wiederum so weitläuf- tig zu seyn, als bey dem vorhergehenden. Man unter- suche, überlege, wähle und entschließe; man wird auch hier dasselbige finden. Der Unterschied zwischen Wol- len und Nichtwollen, zwischen Thun und Lassen, wenn beydes selbstthätige Handlungen sind, hänget wiederum allein von der Verschiedenheit der gefallenden Vorstellung ab, auf der die wirksam sich selbst bestimmende Kraft angewendet wird. Nichtwollen ist so gut eine Selbst- bestimmung, als Wollen und Unterlassen, so weit es in einem innern Entschluß bestehet; so gut eine Kraftäußerung, als Verrichten. Jn ihren Folgen gehen beide freylich sehr weit von einander ab.
7.
Die meisten Schwierigkeiten möchten vielleicht in solchen Fällen angetroffen werden, wo unsere Selbstbe- stimmungen dahin gehen, eine größere Kraft anzuwen- den, mit stärkerer Jntension zu arbeiten, oder im Ge- gentheil nachlassender zu wirken. Jch will stärker und schneller fortgehen; ich will langsamer gehen; ich will still stehen. Aber auch diese Willensäußerungen sind, als
Hand-
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
handeln. Und dieſe innere Diſpoſition, daß wir da, wo wir unſerer Neigung folgen, dennoch innerlich zu der entgegengeſetzten Kraftaͤußerung eben ſo wohl aufgelegt und geſtimmt ſind, als zu der, welche erfol- get, iſt eben diejenige Beſchaffenheit, welche wir durch die Redensart anzeigen: wir haben uns in unſerer Gewalt.
6.
Zu der zweyten Gattung von Selbſtbeſtimmungen gehoͤren ſolche, wo wir zwiſchen Wollen und Nicht- wollen zwiſchen Thun und Laſſen auswaͤhlen. Jch beſtimme mich, vom Stuhl aufzuſtehen, oder ſitzen zu bleiben. Es iſt unnoͤthig, hier wiederum ſo weitlaͤuf- tig zu ſeyn, als bey dem vorhergehenden. Man unter- ſuche, uͤberlege, waͤhle und entſchließe; man wird auch hier daſſelbige finden. Der Unterſchied zwiſchen Wol- len und Nichtwollen, zwiſchen Thun und Laſſen, wenn beydes ſelbſtthaͤtige Handlungen ſind, haͤnget wiederum allein von der Verſchiedenheit der gefallenden Vorſtellung ab, auf der die wirkſam ſich ſelbſt beſtimmende Kraft angewendet wird. Nichtwollen iſt ſo gut eine Selbſt- beſtimmung, als Wollen und Unterlaſſen, ſo weit es in einem innern Entſchluß beſtehet; ſo gut eine Kraftaͤußerung, als Verrichten. Jn ihren Folgen gehen beide freylich ſehr weit von einander ab.
7.
Die meiſten Schwierigkeiten moͤchten vielleicht in ſolchen Faͤllen angetroffen werden, wo unſere Selbſtbe- ſtimmungen dahin gehen, eine groͤßere Kraft anzuwen- den, mit ſtaͤrkerer Jntenſion zu arbeiten, oder im Ge- gentheil nachlaſſender zu wirken. Jch will ſtaͤrker und ſchneller fortgehen; ich will langſamer gehen; ich will ſtill ſtehen. Aber auch dieſe Willensaͤußerungen ſind, als
Hand-
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
handeln. Und dieſe innere Diſpoſition, daß wir da,
wo wir unſerer Neigung folgen, dennoch innerlich
zu der entgegengeſetzten Kraftaͤußerung eben ſo wohl
aufgelegt und geſtimmt ſind, als zu der, welche erfol-
get, iſt eben diejenige Beſchaffenheit, welche wir durch
die Redensart anzeigen: wir haben uns in unſerer
Gewalt.
6.
Zu der zweyten Gattung von Selbſtbeſtimmungen
gehoͤren ſolche, wo wir zwiſchen Wollen und Nicht-
wollen zwiſchen Thun und Laſſen auswaͤhlen. Jch
beſtimme mich, vom Stuhl aufzuſtehen, oder ſitzen zu
bleiben. Es iſt unnoͤthig, hier wiederum ſo weitlaͤuf-
tig zu ſeyn, als bey dem vorhergehenden. Man unter-
ſuche, uͤberlege, waͤhle und entſchließe; man wird auch
hier daſſelbige finden. Der Unterſchied zwiſchen Wol-
len und Nichtwollen, zwiſchen Thun und Laſſen, wenn
beydes ſelbſtthaͤtige Handlungen ſind, haͤnget wiederum
allein von der Verſchiedenheit der gefallenden Vorſtellung
ab, auf der die wirkſam ſich ſelbſt beſtimmende Kraft
angewendet wird. Nichtwollen iſt ſo gut eine Selbſt-
beſtimmung, als Wollen und Unterlaſſen, ſo weit
es in einem innern Entſchluß beſtehet; ſo gut eine
Kraftaͤußerung, als Verrichten. Jn ihren Folgen
gehen beide freylich ſehr weit von einander ab.
7.
Die meiſten Schwierigkeiten moͤchten vielleicht in
ſolchen Faͤllen angetroffen werden, wo unſere Selbſtbe-
ſtimmungen dahin gehen, eine groͤßere Kraft anzuwen-
den, mit ſtaͤrkerer Jntenſion zu arbeiten, oder im Ge-
gentheil nachlaſſender zu wirken. Jch will ſtaͤrker und
ſchneller fortgehen; ich will langſamer gehen; ich will
ſtill ſtehen. Aber auch dieſe Willensaͤußerungen ſind, als
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/130>, abgerufen am 21.11.2024.
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