auch bey solchen Handlungen verhält, die wir nach dem Grundsatz des grössern Gefallens vornehmen, so wird auch bey diesen alles völlig begreiflich seyn. Aber dieß ist es auch, was am wenigsten auffällt, was am verstecktesten war, so lange man nicht deutlich einsah, worinn die Vorstellungen von Aktionen bestehen; und was vorher ins Licht gesetzet werden muß, wenn unsere Gefühle von Freyheit nicht mehr räthselhaft seyn, oder gar unbegreiflich scheinen sollen.
5.
Der Beweiß davon, daß die gefallende Vorstel- lung, zu der wir uns bestimmen, sich wirklich also auf die erfolgende Selbstbestimmung beziehe, muß aus Beobachtungen geführet werden. Hiezu kann man aber nur solche Beyspiele nehmen, bey denen wir uns es völ- lig bewußt sind, daß wir willkürlich und frey handeln, und zwar, wo die Handlung unmittelbar willkürlich ist.
Zuerst zergliedere man einen solchen Fall, wo wir uns zu Einer Art der Handlung vor der andern be- stimmen.
Jch bin jetzo zur Arbeit aufgelegt. Meine Kraft ist rege, und ich fühle ein Bedürfniß, mit dem Ver- stande thätig zu seyn. Eine Menge von Empfindun- gen und Vorstellungen sind mir gegenwärtig; und ich frage mich selbst, mit welchem Geschäffte ich mich nun wohl befassen solle? Es ist mehr, als Eins, dessen Vorstellung sich mir darbietet. Jch vergleiche sie, und wähle dasjenige, was mir jetzo das angemessenste, oder das nöthigste, oder das angenehmste zu seyn scheinet. Hier kann ichs wohl merken, daß die Gefühle, die in mir entstehen, wenn sie lebhaft sind, auch sogleich merk- liche Begierden erregen. Diese Gefühle wirken auf mich, erregen, spannen, reizen meine Kraft, lenken
sie
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
auch bey ſolchen Handlungen verhaͤlt, die wir nach dem Grundſatz des groͤſſern Gefallens vornehmen, ſo wird auch bey dieſen alles voͤllig begreiflich ſeyn. Aber dieß iſt es auch, was am wenigſten auffaͤllt, was am verſteckteſten war, ſo lange man nicht deutlich einſah, worinn die Vorſtellungen von Aktionen beſtehen; und was vorher ins Licht geſetzet werden muß, wenn unſere Gefuͤhle von Freyheit nicht mehr raͤthſelhaft ſeyn, oder gar unbegreiflich ſcheinen ſollen.
5.
Der Beweiß davon, daß die gefallende Vorſtel- lung, zu der wir uns beſtimmen, ſich wirklich alſo auf die erfolgende Selbſtbeſtimmung beziehe, muß aus Beobachtungen gefuͤhret werden. Hiezu kann man aber nur ſolche Beyſpiele nehmen, bey denen wir uns es voͤl- lig bewußt ſind, daß wir willkuͤrlich und frey handeln, und zwar, wo die Handlung unmittelbar willkuͤrlich iſt.
Zuerſt zergliedere man einen ſolchen Fall, wo wir uns zu Einer Art der Handlung vor der andern be- ſtimmen.
Jch bin jetzo zur Arbeit aufgelegt. Meine Kraft iſt rege, und ich fuͤhle ein Beduͤrfniß, mit dem Ver- ſtande thaͤtig zu ſeyn. Eine Menge von Empfindun- gen und Vorſtellungen ſind mir gegenwaͤrtig; und ich frage mich ſelbſt, mit welchem Geſchaͤffte ich mich nun wohl befaſſen ſolle? Es iſt mehr, als Eins, deſſen Vorſtellung ſich mir darbietet. Jch vergleiche ſie, und waͤhle dasjenige, was mir jetzo das angemeſſenſte, oder das noͤthigſte, oder das angenehmſte zu ſeyn ſcheinet. Hier kann ichs wohl merken, daß die Gefuͤhle, die in mir entſtehen, wenn ſie lebhaft ſind, auch ſogleich merk- liche Begierden erregen. Dieſe Gefuͤhle wirken auf mich, erregen, ſpannen, reizen meine Kraft, lenken
ſie
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
auch bey ſolchen Handlungen verhaͤlt, die wir nach dem
Grundſatz des groͤſſern Gefallens vornehmen, ſo
wird auch bey dieſen alles voͤllig begreiflich ſeyn. Aber
dieß iſt es auch, was am wenigſten auffaͤllt, was am
verſteckteſten war, ſo lange man nicht deutlich einſah,
worinn die Vorſtellungen von Aktionen beſtehen; und
was vorher ins Licht geſetzet werden muß, wenn unſere
Gefuͤhle von Freyheit nicht mehr raͤthſelhaft ſeyn, oder
gar unbegreiflich ſcheinen ſollen.
5.
Der Beweiß davon, daß die gefallende Vorſtel-
lung, zu der wir uns beſtimmen, ſich wirklich alſo auf
die erfolgende Selbſtbeſtimmung beziehe, muß aus
Beobachtungen gefuͤhret werden. Hiezu kann man aber
nur ſolche Beyſpiele nehmen, bey denen wir uns es voͤl-
lig bewußt ſind, daß wir willkuͤrlich und frey handeln,
und zwar, wo die Handlung unmittelbar willkuͤrlich iſt.
Zuerſt zergliedere man einen ſolchen Fall, wo wir
uns zu Einer Art der Handlung vor der andern be-
ſtimmen.
Jch bin jetzo zur Arbeit aufgelegt. Meine Kraft
iſt rege, und ich fuͤhle ein Beduͤrfniß, mit dem Ver-
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gen und Vorſtellungen ſind mir gegenwaͤrtig; und ich
frage mich ſelbſt, mit welchem Geſchaͤffte ich mich nun
wohl befaſſen ſolle? Es iſt mehr, als Eins, deſſen
Vorſtellung ſich mir darbietet. Jch vergleiche ſie, und
waͤhle dasjenige, was mir jetzo das angemeſſenſte, oder
das noͤthigſte, oder das angenehmſte zu ſeyn ſcheinet.
Hier kann ichs wohl merken, daß die Gefuͤhle, die in
mir entſtehen, wenn ſie lebhaft ſind, auch ſogleich merk-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/124>, abgerufen am 21.12.2024.
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