II. Von dem Unterscheidungsmerkmal der menschli- chen Seele, und dem Charakter der Mensch- heit.
1) Wiefern es bey jedweder Hypothes über die Natur der Seele dennoch einen Grundcha- rakter der menschlichen Seele vor andern Thierseelen geben müsse. 2) Die Eigenheiten der menschlichen Seele von den Seelen der Thiere. 3) Ob der Grundcharakter der Menschheit in der Perfektibilität gesetzet werden könne? 4) Ob das Vermögen der Reflexion diesen Grundcharakter ausmache? 5) Prüfung der Herderschen Jdee. Ob das Verhältniß der Extension zur Jntension in der Naturkraft, für den Grundcharakter zu halten sey?
1.
Das Gefühl ist vor unserer Kenntniß das erste und ursprüngliche Vermögen, das die Seele von an- dern Kräften unterscheidet. Laß also dieß für einen Ur- charakter angenommen werden; so wird die Grundkraft der Seele eine Kraft seyn, welche fühlet. Fangen wir hier an, so ist das nächste, daß das Eigene der mensch- lichen Seele vor den Seelen der Thiere, denen wir doch mit keinem vernünftigen Grunde das Vermögen zu fühlen absprechen können, aufgesuchet werde. Aber sind wir auch vielleicht hier an der äußersten Gränzlinie unsers Wissens, wo nicht gar außer ihr? und wie groß ist der Schimmer, den die Beobachtung bis hieher wirft?
Wenn
XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft
II. Von dem Unterſcheidungsmerkmal der menſchli- chen Seele, und dem Charakter der Menſch- heit.
1) Wiefern es bey jedweder Hypothes uͤber die Natur der Seele dennoch einen Grundcha- rakter der menſchlichen Seele vor andern Thierſeelen geben muͤſſe. 2) Die Eigenheiten der menſchlichen Seele von den Seelen der Thiere. 3) Ob der Grundcharakter der Menſchheit in der Perfektibilitaͤt geſetzet werden koͤnne? 4) Ob das Vermoͤgen der Reflexion dieſen Grundcharakter ausmache? 5) Pruͤfung der Herderſchen Jdee. Ob das Verhaͤltniß der Extenſion zur Jntenſion in der Naturkraft, fuͤr den Grundcharakter zu halten ſey?
1.
Das Gefuͤhl iſt vor unſerer Kenntniß das erſte und urſpruͤngliche Vermoͤgen, das die Seele von an- dern Kraͤften unterſcheidet. Laß alſo dieß fuͤr einen Ur- charakter angenommen werden; ſo wird die Grundkraft der Seele eine Kraft ſeyn, welche fuͤhlet. Fangen wir hier an, ſo iſt das naͤchſte, daß das Eigene der menſch- lichen Seele vor den Seelen der Thiere, denen wir doch mit keinem vernuͤnftigen Grunde das Vermoͤgen zu fuͤhlen abſprechen koͤnnen, aufgeſuchet werde. Aber ſind wir auch vielleicht hier an der aͤußerſten Graͤnzlinie unſers Wiſſens, wo nicht gar außer ihr? und wie groß iſt der Schimmer, den die Beobachtung bis hieher wirft?
Wenn
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XI. Verſuch. Ueber die Grundkraft
II.
Von dem Unterſcheidungsmerkmal der menſchli-
chen Seele, und dem Charakter der Menſch-
heit.
1) Wiefern es bey jedweder Hypothes uͤber die
Natur der Seele dennoch einen Grundcha-
rakter der menſchlichen Seele vor andern
Thierſeelen geben muͤſſe.
2) Die Eigenheiten der menſchlichen Seele
von den Seelen der Thiere.
3) Ob der Grundcharakter der Menſchheit in
der Perfektibilitaͤt geſetzet werden koͤnne?
4) Ob das Vermoͤgen der Reflexion dieſen
Grundcharakter ausmache?
5) Pruͤfung der Herderſchen Jdee. Ob das
Verhaͤltniß der Extenſion zur Jntenſion in
der Naturkraft, fuͤr den Grundcharakter zu
halten ſey?
1.
Das Gefuͤhl iſt vor unſerer Kenntniß das erſte und
urſpruͤngliche Vermoͤgen, das die Seele von an-
dern Kraͤften unterſcheidet. Laß alſo dieß fuͤr einen Ur-
charakter angenommen werden; ſo wird die Grundkraft
der Seele eine Kraft ſeyn, welche fuͤhlet. Fangen wir
hier an, ſo iſt das naͤchſte, daß das Eigene der menſch-
lichen Seele vor den Seelen der Thiere, denen wir
doch mit keinem vernuͤnftigen Grunde das Vermoͤgen zu
fuͤhlen abſprechen koͤnnen, aufgeſuchet werde. Aber ſind
wir auch vielleicht hier an der aͤußerſten Graͤnzlinie unſers
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/798>, abgerufen am 21.11.2024.
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