Diese angegebene Beziehung des Denkens, des Vorstellens und des Empfindens gegen einander, lässet sich nicht allein mit den Beobachtungen zusammen rei- men, sondern die letztern erheischen jene fast nothwendig. Um das wenigste zu sagen, so wird sie durch folgende Bemerkungen bestätiget.
Es ist ein allgemeines Gesetz, "daß jede Empfin- "dung die Seelenkraft zu einer Aeußerung irgend eines "Vermögens reize, und zur wirklichen Thätigkeit bewe- "ge, wenn ihre Kraft innerlich dazu den erfoderlichen "Grad der Stärke besitzet." Auf jeden Eindruck er- folget in dem thierischen Körper eine Reaktion, die aus- wärts in den Körper hingehet, und eine Bewegung irgendwo bewirket. Dasselbige gilt von der Seele, de- ren Grundkraft reizbar ist. Jede Empfindung reizet sie.
So muß ja auch das Gefühl des Uebergangs zu ei- ner Thätigkeit reizen. Und die Thätigkeit muß ihre Wirkung haben. Nun lehret die Erfahrung, daß jenes Gefühl unmittelbar das Gewahrnehmen zur Folge habe. Da haben wir also die Wirkung derjenigen Kraftäuße- rung, welche durch die Empfindung des Uebergangs er- reget wird.
Ferner ist das Gefühl der Verhältnisse der Vor- stellungen ein schwächeres Gefühl, als das Gefühl der ersten Eindrücke von außen, und als anderer Selbstge- fühle neuer Modifikationen. Daher reizen auch die letztern stärker und leichter. Daraus folget, die Seele müsse Vorstellungen machen, ehe sie denken kann, so wie sie eher empfinden muß, als sie Vorstellungen haben kann. Es ist dieß dieselbige Ordnung, in der sich die Vermögen zu fühlen, vorzustellen und zu denken, nach der Erfahrung, entwickeln.
Denken setzet einen erhöheten Grad der innern Selbst- thätigkeit in der Seelenkraft, sowohl in dem Vorstel-
lungs-
IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip
3.
Dieſe angegebene Beziehung des Denkens, des Vorſtellens und des Empfindens gegen einander, laͤſſet ſich nicht allein mit den Beobachtungen zuſammen rei- men, ſondern die letztern erheiſchen jene faſt nothwendig. Um das wenigſte zu ſagen, ſo wird ſie durch folgende Bemerkungen beſtaͤtiget.
Es iſt ein allgemeines Geſetz, „daß jede Empfin- „dung die Seelenkraft zu einer Aeußerung irgend eines „Vermoͤgens reize, und zur wirklichen Thaͤtigkeit bewe- „ge, wenn ihre Kraft innerlich dazu den erfoderlichen „Grad der Staͤrke beſitzet.‟ Auf jeden Eindruck er- folget in dem thieriſchen Koͤrper eine Reaktion, die aus- waͤrts in den Koͤrper hingehet, und eine Bewegung irgendwo bewirket. Daſſelbige gilt von der Seele, de- ren Grundkraft reizbar iſt. Jede Empfindung reizet ſie.
So muß ja auch das Gefuͤhl des Uebergangs zu ei- ner Thaͤtigkeit reizen. Und die Thaͤtigkeit muß ihre Wirkung haben. Nun lehret die Erfahrung, daß jenes Gefuͤhl unmittelbar das Gewahrnehmen zur Folge habe. Da haben wir alſo die Wirkung derjenigen Kraftaͤuße- rung, welche durch die Empfindung des Uebergangs er- reget wird.
Ferner iſt das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe der Vor- ſtellungen ein ſchwaͤcheres Gefuͤhl, als das Gefuͤhl der erſten Eindruͤcke von außen, und als anderer Selbſtge- fuͤhle neuer Modifikationen. Daher reizen auch die letztern ſtaͤrker und leichter. Daraus folget, die Seele muͤſſe Vorſtellungen machen, ehe ſie denken kann, ſo wie ſie eher empfinden muß, als ſie Vorſtellungen haben kann. Es iſt dieß dieſelbige Ordnung, in der ſich die Vermoͤgen zu fuͤhlen, vorzuſtellen und zu denken, nach der Erfahrung, entwickeln.
Denken ſetzet einen erhoͤheten Grad der innern Selbſt- thaͤtigkeit in der Seelenkraft, ſowohl in dem Vorſtel-
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IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip
3.
Dieſe angegebene Beziehung des Denkens, des
Vorſtellens und des Empfindens gegen einander, laͤſſet
ſich nicht allein mit den Beobachtungen zuſammen rei-
men, ſondern die letztern erheiſchen jene faſt nothwendig.
Um das wenigſte zu ſagen, ſo wird ſie durch folgende
Bemerkungen beſtaͤtiget.
Es iſt ein allgemeines Geſetz, „daß jede Empfin-
„dung die Seelenkraft zu einer Aeußerung irgend eines
„Vermoͤgens reize, und zur wirklichen Thaͤtigkeit bewe-
„ge, wenn ihre Kraft innerlich dazu den erfoderlichen
„Grad der Staͤrke beſitzet.‟ Auf jeden Eindruck er-
folget in dem thieriſchen Koͤrper eine Reaktion, die aus-
waͤrts in den Koͤrper hingehet, und eine Bewegung
irgendwo bewirket. Daſſelbige gilt von der Seele, de-
ren Grundkraft reizbar iſt. Jede Empfindung reizet ſie.
So muß ja auch das Gefuͤhl des Uebergangs zu ei-
ner Thaͤtigkeit reizen. Und die Thaͤtigkeit muß ihre
Wirkung haben. Nun lehret die Erfahrung, daß jenes
Gefuͤhl unmittelbar das Gewahrnehmen zur Folge habe.
Da haben wir alſo die Wirkung derjenigen Kraftaͤuße-
rung, welche durch die Empfindung des Uebergangs er-
reget wird.
Ferner iſt das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe der Vor-
ſtellungen ein ſchwaͤcheres Gefuͤhl, als das Gefuͤhl der
erſten Eindruͤcke von außen, und als anderer Selbſtge-
fuͤhle neuer Modifikationen. Daher reizen auch die
letztern ſtaͤrker und leichter. Daraus folget, die Seele
muͤſſe Vorſtellungen machen, ehe ſie denken kann, ſo wie
ſie eher empfinden muß, als ſie Vorſtellungen haben
kann. Es iſt dieß dieſelbige Ordnung, in der ſich die
Vermoͤgen zu fuͤhlen, vorzuſtellen und zu denken, nach
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Denken ſetzet einen erhoͤheten Grad der innern Selbſt-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/676>, abgerufen am 21.11.2024.
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