eine innere Bestimmung in der Seele, eine Beschaffen- heit des Gehirns und der äußern Werkzeuge, oder der Mittelursachen, und äußern Umstände, oder sonsten et- was, das von den empfundenen Objekten verschieden ist, der Grund von den Verhältnissen wäre, die wir in un- sern Jmpressionen antreffen, z. B. davon, daß jetzo der Anblick des Buchs, von dem Anblick des Tisches ver- schieden ist, so müßten wir dieses aus unserm gesammten Gefühle entdecken können. Man kann die Jdentität aller innern Umstände und aller äußern Erfodernisse er- proben, und sie daraus durch eine Schlußfolge beweisen, weil die Wirkungen fehlen, die erfolgen müßten, wenn eine Verschiedenheit von Einfluß in ihnen verborgen wäre.
Bis dahin reicht also die Gewißheit von der Analo- gie unserer Bilder mit ihren Gegenständen.
11.
Bey dieser Uebertragung unserer Jdeenbeziehungen auf die Objekte, unterscheiden wir doch bey den letztern nothwendige und zufällige Verhältnisse, und thei- len daher auch die objektivischen Wahrheiten in nothwendige und zufällige ein. Es mag uns sub- jektivisch nothwendig seyn, den Sachen diese oder jene Beschaffenheiten zuzugestehen, so nehmen wir doch ge- wahr, daß diese ihnen deswegen noch nicht nothwendig zukommen. Jch muß nothwendig glauben, daß es mit einer Sache, die ich empfinde, diese oder jene Be- schaffenheit hat; aber ich glaube deswegen nicht, daß die Sache selbst für sich nothwendig so eingerichtet ist, wie ich sie finde. Jch bin, ich denke; ich habe einen Körper, und die Sonne erleuchtet unsere Erde. Lauter Sätze, die ich nicht läugnen kann, die ich mit subjekti- vischer Nothwendigkeit für wahr halte; aber ich glaube deswegen nicht, daß ich selbst nothwendig existire, noth-
wendig
VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
eine innere Beſtimmung in der Seele, eine Beſchaffen- heit des Gehirns und der aͤußern Werkzeuge, oder der Mittelurſachen, und aͤußern Umſtaͤnde, oder ſonſten et- was, das von den empfundenen Objekten verſchieden iſt, der Grund von den Verhaͤltniſſen waͤre, die wir in un- ſern Jmpreſſionen antreffen, z. B. davon, daß jetzo der Anblick des Buchs, von dem Anblick des Tiſches ver- ſchieden iſt, ſo muͤßten wir dieſes aus unſerm geſammten Gefuͤhle entdecken koͤnnen. Man kann die Jdentitaͤt aller innern Umſtaͤnde und aller aͤußern Erfoderniſſe er- proben, und ſie daraus durch eine Schlußfolge beweiſen, weil die Wirkungen fehlen, die erfolgen muͤßten, wenn eine Verſchiedenheit von Einfluß in ihnen verborgen waͤre.
Bis dahin reicht alſo die Gewißheit von der Analo- gie unſerer Bilder mit ihren Gegenſtaͤnden.
11.
Bey dieſer Uebertragung unſerer Jdeenbeziehungen auf die Objekte, unterſcheiden wir doch bey den letztern nothwendige und zufaͤllige Verhaͤltniſſe, und thei- len daher auch die objektiviſchen Wahrheiten in nothwendige und zufaͤllige ein. Es mag uns ſub- jektiviſch nothwendig ſeyn, den Sachen dieſe oder jene Beſchaffenheiten zuzugeſtehen, ſo nehmen wir doch ge- wahr, daß dieſe ihnen deswegen noch nicht nothwendig zukommen. Jch muß nothwendig glauben, daß es mit einer Sache, die ich empfinde, dieſe oder jene Be- ſchaffenheit hat; aber ich glaube deswegen nicht, daß die Sache ſelbſt fuͤr ſich nothwendig ſo eingerichtet iſt, wie ich ſie finde. Jch bin, ich denke; ich habe einen Koͤrper, und die Sonne erleuchtet unſere Erde. Lauter Saͤtze, die ich nicht laͤugnen kann, die ich mit ſubjekti- viſcher Nothwendigkeit fuͤr wahr halte; aber ich glaube deswegen nicht, daß ich ſelbſt nothwendig exiſtire, noth-
wendig
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VII. Verſuch. Von der Nothwendigkeit
eine innere Beſtimmung in der Seele, eine Beſchaffen-
heit des Gehirns und der aͤußern Werkzeuge, oder der
Mittelurſachen, und aͤußern Umſtaͤnde, oder ſonſten et-
was, das von den empfundenen Objekten verſchieden iſt,
der Grund von den Verhaͤltniſſen waͤre, die wir in un-
ſern Jmpreſſionen antreffen, z. B. davon, daß jetzo der
Anblick des Buchs, von dem Anblick des Tiſches ver-
ſchieden iſt, ſo muͤßten wir dieſes aus unſerm geſammten
Gefuͤhle entdecken koͤnnen. Man kann die Jdentitaͤt
aller innern Umſtaͤnde und aller aͤußern Erfoderniſſe er-
proben, und ſie daraus durch eine Schlußfolge beweiſen,
weil die Wirkungen fehlen, die erfolgen muͤßten, wenn
eine Verſchiedenheit von Einfluß in ihnen verborgen
waͤre.
Bis dahin reicht alſo die Gewißheit von der Analo-
gie unſerer Bilder mit ihren Gegenſtaͤnden.
11.
Bey dieſer Uebertragung unſerer Jdeenbeziehungen
auf die Objekte, unterſcheiden wir doch bey den letztern
nothwendige und zufaͤllige Verhaͤltniſſe, und thei-
len daher auch die objektiviſchen Wahrheiten in
nothwendige und zufaͤllige ein. Es mag uns ſub-
jektiviſch nothwendig ſeyn, den Sachen dieſe oder jene
Beſchaffenheiten zuzugeſtehen, ſo nehmen wir doch ge-
wahr, daß dieſe ihnen deswegen noch nicht nothwendig
zukommen. Jch muß nothwendig glauben, daß es
mit einer Sache, die ich empfinde, dieſe oder jene Be-
ſchaffenheit hat; aber ich glaube deswegen nicht, daß die
Sache ſelbſt fuͤr ſich nothwendig ſo eingerichtet iſt,
wie ich ſie finde. Jch bin, ich denke; ich habe einen
Koͤrper, und die Sonne erleuchtet unſere Erde. Lauter
Saͤtze, die ich nicht laͤugnen kann, die ich mit ſubjekti-
viſcher Nothwendigkeit fuͤr wahr halte; aber ich glaube
deswegen nicht, daß ich ſelbſt nothwendig exiſtire, noth-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/624>, abgerufen am 21.11.2024.
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