so haben wir zwar noch ein sinnliches Urtheil, aber keine reine Beobachtung mehr.
Auch höret der Gedanke auf, eine reine Beobach- tung zu seyn, sobald ein vorgefaßtes Urtheil, das jetzo wieder erneuret wird, oder nur ein aus andern Empfin- dungen gezogenes Gemeinbild, das mit der gegenwärti- gen associiret wird, oder ein Raisonnement, das man unvermerkt hinzusetzet, die Denkkraft hindert, allein nach den Bildern der Empfindung sich zu richten, und sich von diesen lenken zu lassen. Das Urtheil in dem Kopf des Schäfers: der Mond ist größer als ein Stern, richtet sich nach seinen Empfindungsvorstellungen. Aber er folget diesen doch nur unter der Bedingung, daß son- sten nichts im Wege stehe. Die Verbindung, welche zwischen dem Urtheil, als den Verhältnißgedanken, und zwischen den Beschaffenheiten der Vorstellungen, nach denen jenes sich richtet, statt findet, ist nichts weniger als an sich unauflöslich. Es sind unzähliche Fälle, wo die Beziehung in den Bildern die nämliche ist, wie in dem angeführten Fall, und wo dennoch die Denkkraft, weil andere Bestimmungsgründe dazwischen treten, ei- nen andern Verhältnißgedanken hervorbringet. Das Bild von einem Thurm, in der Ferne gesehen, ist nicht größer, als das Bild von einem Strohhalm in der Nä- he, und dennoch denket man nicht nur den Thurm viel größer; sondern was hier noch mehr ist, man siehet ihn auch größer.
3.
Das letztangeführte Beyspiel, dem viele andere ähn- lich sind, besonders unter denen, die aus den Gesichts- eindrücken entspringen, lehret uns nicht nur, wie außer- ordentlich schwer es zuweilen sey, was wirklich in unse- rer gegenwärtigen Empfindung enthalten ist, von dem auszufühlen, was durch eine Jdeenverknüpfung hinzuge-
setzet
der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
ſo haben wir zwar noch ein ſinnliches Urtheil, aber keine reine Beobachtung mehr.
Auch hoͤret der Gedanke auf, eine reine Beobach- tung zu ſeyn, ſobald ein vorgefaßtes Urtheil, das jetzo wieder erneuret wird, oder nur ein aus andern Empfin- dungen gezogenes Gemeinbild, das mit der gegenwaͤrti- gen aſſociiret wird, oder ein Raiſonnement, das man unvermerkt hinzuſetzet, die Denkkraft hindert, allein nach den Bildern der Empfindung ſich zu richten, und ſich von dieſen lenken zu laſſen. Das Urtheil in dem Kopf des Schaͤfers: der Mond iſt groͤßer als ein Stern, richtet ſich nach ſeinen Empfindungsvorſtellungen. Aber er folget dieſen doch nur unter der Bedingung, daß ſon- ſten nichts im Wege ſtehe. Die Verbindung, welche zwiſchen dem Urtheil, als den Verhaͤltnißgedanken, und zwiſchen den Beſchaffenheiten der Vorſtellungen, nach denen jenes ſich richtet, ſtatt findet, iſt nichts weniger als an ſich unaufloͤslich. Es ſind unzaͤhliche Faͤlle, wo die Beziehung in den Bildern die naͤmliche iſt, wie in dem angefuͤhrten Fall, und wo dennoch die Denkkraft, weil andere Beſtimmungsgruͤnde dazwiſchen treten, ei- nen andern Verhaͤltnißgedanken hervorbringet. Das Bild von einem Thurm, in der Ferne geſehen, iſt nicht groͤßer, als das Bild von einem Strohhalm in der Naͤ- he, und dennoch denket man nicht nur den Thurm viel groͤßer; ſondern was hier noch mehr iſt, man ſiehet ihn auch groͤßer.
3.
Das letztangefuͤhrte Beyſpiel, dem viele andere aͤhn- lich ſind, beſonders unter denen, die aus den Geſichts- eindruͤcken entſpringen, lehret uns nicht nur, wie außer- ordentlich ſchwer es zuweilen ſey, was wirklich in unſe- rer gegenwaͤrtigen Empfindung enthalten iſt, von dem auszufuͤhlen, was durch eine Jdeenverknuͤpfung hinzuge-
ſetzet
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der ſinnlich. Kenntn. u. d. vernuͤnftigen.
ſo haben wir zwar noch ein ſinnliches Urtheil, aber
keine reine Beobachtung mehr.
Auch hoͤret der Gedanke auf, eine reine Beobach-
tung zu ſeyn, ſobald ein vorgefaßtes Urtheil, das jetzo
wieder erneuret wird, oder nur ein aus andern Empfin-
dungen gezogenes Gemeinbild, das mit der gegenwaͤrti-
gen aſſociiret wird, oder ein Raiſonnement, das man
unvermerkt hinzuſetzet, die Denkkraft hindert, allein
nach den Bildern der Empfindung ſich zu richten, und
ſich von dieſen lenken zu laſſen. Das Urtheil in dem
Kopf des Schaͤfers: der Mond iſt groͤßer als ein Stern,
richtet ſich nach ſeinen Empfindungsvorſtellungen. Aber
er folget dieſen doch nur unter der Bedingung, daß ſon-
ſten nichts im Wege ſtehe. Die Verbindung, welche
zwiſchen dem Urtheil, als den Verhaͤltnißgedanken, und
zwiſchen den Beſchaffenheiten der Vorſtellungen, nach
denen jenes ſich richtet, ſtatt findet, iſt nichts weniger
als an ſich unaufloͤslich. Es ſind unzaͤhliche Faͤlle, wo
die Beziehung in den Bildern die naͤmliche iſt, wie in
dem angefuͤhrten Fall, und wo dennoch die Denkkraft,
weil andere Beſtimmungsgruͤnde dazwiſchen treten, ei-
nen andern Verhaͤltnißgedanken hervorbringet. Das
Bild von einem Thurm, in der Ferne geſehen, iſt nicht
groͤßer, als das Bild von einem Strohhalm in der Naͤ-
he, und dennoch denket man nicht nur den Thurm viel
groͤßer; ſondern was hier noch mehr iſt, man ſiehet
ihn auch groͤßer.
3.
Das letztangefuͤhrte Beyſpiel, dem viele andere aͤhn-
lich ſind, beſonders unter denen, die aus den Geſichts-
eindruͤcken entſpringen, lehret uns nicht nur, wie außer-
ordentlich ſchwer es zuweilen ſey, was wirklich in unſe-
rer gegenwaͤrtigen Empfindung enthalten iſt, von dem
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/491>, abgerufen am 21.12.2024.
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