IV. Wie zuerst die Sonderung der Empfindungen in verschiedene Theile und Haufen, vor sich gehe.
Die erste Frage beantworte ich so. Wenn der Mensch die Begriffe von dem Jn ihm seyn und von dem außer ihm seyn noch nicht hatte, so konnte doch das Vergleichungs- und Gewahrnehmungsvermögen die Ein- drücke von außen durch eben die Kennzeichen von den innern Veränderungen seiner Selbst unterscheiden, ab- sondern, und beide zu verschiedenen Klassen hinbringen, durch welche der Egoist und der Jdealist es thun kann, der jene Begriffe zwar hat, aber sie wieder aufhebet, oder doch den letztern für einen bloßen Schein ansiehet. Die Eindrücke durch das Gesicht und das Gehör -- die erstern, die sich am klarsten als Eindrücke von dieser Klas- se auszeichneten -- entstehen ohne eine innere Vorberei-
tung
Empfindungslinien, so zu sagen, ausgehen. Aber auch diese Erklärung ist sehr unzureichend: ich will das nicht einmal anführen, was von den Optikern schon gesagt, und wodurch es völlig bewiesen ist, daß der an- geführte Grund auch bey den Gesichtsempfindungen es nicht sey, wonach wir über die Stellen und Entfernun- gen der Gegenstände urtheilen. Warum setzen wir die Schallarten und Töne nicht dahin, wo ihr Ursprung ist? Und um nicht auf anderartige Empfindungen zu kommen, die uns noch zu wenig bekannt sind, warum setzen wir nicht bey dem Sehen die Objekte auf die Netz- haut im Auge hin, da es doch gewiß ist, daß die Licht- strahlen hier wiederum in Punkte zusammengehen, wel- che nun auch als die ersten Anfangspunkte zu den wei- ter in das Gehirn fortgehenden Bewegungslinien an- gesehen werden können, eben so wohl als die äußern Punkte auf der Oberfläche der Körper außer dem Auge? Es scheinet nicht, daß wir in der Analogie der Vorstel-
lung
V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
IV. Wie zuerſt die Sonderung der Empfindungen in verſchiedene Theile und Haufen, vor ſich gehe.
Die erſte Frage beantworte ich ſo. Wenn der Menſch die Begriffe von dem Jn ihm ſeyn und von dem außer ihm ſeyn noch nicht hatte, ſo konnte doch das Vergleichungs- und Gewahrnehmungsvermoͤgen die Ein- druͤcke von außen durch eben die Kennzeichen von den innern Veraͤnderungen ſeiner Selbſt unterſcheiden, ab- ſondern, und beide zu verſchiedenen Klaſſen hinbringen, durch welche der Egoiſt und der Jdealiſt es thun kann, der jene Begriffe zwar hat, aber ſie wieder aufhebet, oder doch den letztern fuͤr einen bloßen Schein anſiehet. Die Eindruͤcke durch das Geſicht und das Gehoͤr — die erſtern, die ſich am klarſten als Eindruͤcke von dieſer Klaſ- ſe auszeichneten — entſtehen ohne eine innere Vorberei-
tung
Empfindungslinien, ſo zu ſagen, ausgehen. Aber auch dieſe Erklaͤrung iſt ſehr unzureichend: ich will das nicht einmal anfuͤhren, was von den Optikern ſchon geſagt, und wodurch es voͤllig bewieſen iſt, daß der an- gefuͤhrte Grund auch bey den Geſichtsempfindungen es nicht ſey, wonach wir uͤber die Stellen und Entfernun- gen der Gegenſtaͤnde urtheilen. Warum ſetzen wir die Schallarten und Toͤne nicht dahin, wo ihr Urſprung iſt? Und um nicht auf anderartige Empfindungen zu kommen, die uns noch zu wenig bekannt ſind, warum ſetzen wir nicht bey dem Sehen die Objekte auf die Netz- haut im Auge hin, da es doch gewiß iſt, daß die Licht- ſtrahlen hier wiederum in Punkte zuſammengehen, wel- che nun auch als die erſten Anfangspunkte zu den wei- ter in das Gehirn fortgehenden Bewegungslinien an- geſehen werden koͤnnen, eben ſo wohl als die aͤußern Punkte auf der Oberflaͤche der Koͤrper außer dem Auge? Es ſcheinet nicht, daß wir in der Analogie der Vorſtel-
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V. Verſuch. Ueber den Urſpr. unſerer
IV.
Wie zuerſt die Sonderung der Empfindungen
in verſchiedene Theile und Haufen, vor ſich
gehe.
Die erſte Frage beantworte ich ſo. Wenn der Menſch
die Begriffe von dem Jn ihm ſeyn und von dem
außer ihm ſeyn noch nicht hatte, ſo konnte doch das
Vergleichungs- und Gewahrnehmungsvermoͤgen die Ein-
druͤcke von außen durch eben die Kennzeichen von den
innern Veraͤnderungen ſeiner Selbſt unterſcheiden, ab-
ſondern, und beide zu verſchiedenen Klaſſen hinbringen,
durch welche der Egoiſt und der Jdealiſt es thun kann,
der jene Begriffe zwar hat, aber ſie wieder aufhebet,
oder doch den letztern fuͤr einen bloßen Schein anſiehet.
Die Eindruͤcke durch das Geſicht und das Gehoͤr — die
erſtern, die ſich am klarſten als Eindruͤcke von dieſer Klaſ-
ſe auszeichneten — entſtehen ohne eine innere Vorberei-
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*) Empfindungslinien, ſo zu ſagen, ausgehen. Aber
auch dieſe Erklaͤrung iſt ſehr unzureichend: ich will das
nicht einmal anfuͤhren, was von den Optikern ſchon
geſagt, und wodurch es voͤllig bewieſen iſt, daß der an-
gefuͤhrte Grund auch bey den Geſichtsempfindungen es
nicht ſey, wonach wir uͤber die Stellen und Entfernun-
gen der Gegenſtaͤnde urtheilen. Warum ſetzen wir die
Schallarten und Toͤne nicht dahin, wo ihr Urſprung
iſt? Und um nicht auf anderartige Empfindungen zu
kommen, die uns noch zu wenig bekannt ſind, warum
ſetzen wir nicht bey dem Sehen die Objekte auf die Netz-
haut im Auge hin, da es doch gewiß iſt, daß die Licht-
ſtrahlen hier wiederum in Punkte zuſammengehen, wel-
che nun auch als die erſten Anfangspunkte zu den wei-
ter in das Gehirn fortgehenden Bewegungslinien an-
geſehen werden koͤnnen, eben ſo wohl als die aͤußern
Punkte auf der Oberflaͤche der Koͤrper außer dem Auge?
Es ſcheinet nicht, daß wir in der Analogie der Vorſtel-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/444>, abgerufen am 22.02.2025.
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