VI. Nähere Untersuchung über den Ursprung unse- rer Jdeen aus Empfindungen.
1) Die Empfindungen geben den Stoff her zu allen Jdeen. 2) Jnsbesonders auch zu den Verhältnißbe- griffen. 3) Die Form der Jdeen hängt von der Denkkraft ab.
1.
Der Erfahrungssatz, daß alle Jdeen und Begrif- fe aus Empfindungen entstehen, und den die mehresten neuern Philosophen in seiner völligen Allge- meinheit ohne Ausnahme für wahr annehmen, wird durch die vorhergehenden Betrachtungen nicht aufgehoben, aber genauer bestimmt, als es von den mehresten zu geschehen pfleget. Ohne Eindrücke von Farben und Tönen, und ohne gefühlte Eindrücke davon, giebt es keine Vorstellun- gen von ihnen, und kann keine geben. Wo es aber keine Vorstellungen giebet, da fehlet es an Gegenstän- den, womit das Vermögen, Verhältnisse zu denken, sich beschäftigen kann. Es können keine Jdeen vorhan- den seyn, wo keine Vorstellungen sind; keine Urtheile, wo keine Jdeen sind. Es kann also auch nichts gefol- gert, kein neues Urtheil aus einem andern herausgezo- gen werden, wo nicht schon ein Grundurtheil da ist. Em- pfindungen, oder eigentlich Empfindungsvorstellungen sind daher der letzte Stoff aller Gedanken, und aller Kenntnisse; aber sie sind auch nichts mehr, als der Stoff oder die Materie dazu. Die Form der Gedanken, und der Kenntnisse ist ein Werk der denkenden Kraft. Die- se ist der Werkmeister und in so weit der Schöpfer der Gedanken.
2. Es
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
VI. Naͤhere Unterſuchung uͤber den Urſprung unſe- rer Jdeen aus Empfindungen.
1) Die Empfindungen geben den Stoff her zu allen Jdeen. 2) Jnsbeſonders auch zu den Verhaͤltnißbe- griffen. 3) Die Form der Jdeen haͤngt von der Denkkraft ab.
1.
Der Erfahrungsſatz, daß alle Jdeen und Begrif- fe aus Empfindungen entſtehen, und den die mehreſten neuern Philoſophen in ſeiner voͤlligen Allge- meinheit ohne Ausnahme fuͤr wahr annehmen, wird durch die vorhergehenden Betrachtungen nicht aufgehoben, aber genauer beſtimmt, als es von den mehreſten zu geſchehen pfleget. Ohne Eindruͤcke von Farben und Toͤnen, und ohne gefuͤhlte Eindruͤcke davon, giebt es keine Vorſtellun- gen von ihnen, und kann keine geben. Wo es aber keine Vorſtellungen giebet, da fehlet es an Gegenſtaͤn- den, womit das Vermoͤgen, Verhaͤltniſſe zu denken, ſich beſchaͤftigen kann. Es koͤnnen keine Jdeen vorhan- den ſeyn, wo keine Vorſtellungen ſind; keine Urtheile, wo keine Jdeen ſind. Es kann alſo auch nichts gefol- gert, kein neues Urtheil aus einem andern herausgezo- gen werden, wo nicht ſchon ein Grundurtheil da iſt. Em- pfindungen, oder eigentlich Empfindungsvorſtellungen ſind daher der letzte Stoff aller Gedanken, und aller Kenntniſſe; aber ſie ſind auch nichts mehr, als der Stoff oder die Materie dazu. Die Form der Gedanken, und der Kenntniſſe iſt ein Werk der denkenden Kraft. Die- ſe iſt der Werkmeiſter und in ſo weit der Schoͤpfer der Gedanken.
2. Es
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0396"n="336"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IV.</hi> Verſuch. Ueber die Denkkraft</hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#aq">VI.</hi><lb/>
Naͤhere Unterſuchung uͤber den Urſprung unſe-<lb/>
rer Jdeen aus Empfindungen.</head><lb/><argument><p><list><item>1) <hirendition="#fr">Die Empfindungen geben den Stoff her<lb/>
zu allen Jdeen.</hi></item><lb/><item>2) <hirendition="#fr">Jnsbeſonders auch zu den Verhaͤltnißbe-<lb/>
griffen.</hi></item><lb/><item>3) <hirendition="#fr">Die Form der Jdeen haͤngt von der<lb/>
Denkkraft ab.</hi></item></list></p></argument><lb/><divn="3"><head>1.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>er Erfahrungsſatz, daß <hirendition="#fr">alle Jdeen und Begrif-<lb/>
fe aus Empfindungen entſtehen,</hi> und den die<lb/>
mehreſten neuern Philoſophen in ſeiner voͤlligen Allge-<lb/>
meinheit ohne Ausnahme fuͤr wahr annehmen, wird durch<lb/>
die vorhergehenden Betrachtungen nicht aufgehoben, aber<lb/>
genauer beſtimmt, als es von den mehreſten zu geſchehen<lb/>
pfleget. Ohne Eindruͤcke von Farben und Toͤnen, und<lb/>
ohne gefuͤhlte Eindruͤcke davon, giebt es keine Vorſtellun-<lb/>
gen von ihnen, und kann keine geben. Wo es aber<lb/>
keine Vorſtellungen giebet, da fehlet es an Gegenſtaͤn-<lb/>
den, womit das Vermoͤgen, Verhaͤltniſſe zu denken,<lb/>ſich beſchaͤftigen kann. Es koͤnnen keine Jdeen vorhan-<lb/>
den ſeyn, wo keine Vorſtellungen ſind; keine Urtheile,<lb/>
wo keine Jdeen ſind. Es kann alſo auch nichts gefol-<lb/>
gert, kein neues Urtheil aus einem andern herausgezo-<lb/>
gen werden, wo nicht ſchon ein Grundurtheil da iſt. Em-<lb/>
pfindungen, oder eigentlich Empfindungsvorſtellungen<lb/>ſind daher der letzte Stoff aller Gedanken, und aller<lb/>
Kenntniſſe; aber ſie ſind auch nichts mehr, als der Stoff<lb/>
oder die Materie dazu. Die <hirendition="#fr">Form</hi> der Gedanken, und<lb/>
der Kenntniſſe iſt ein Werk der denkenden Kraft. Die-<lb/>ſe iſt der Werkmeiſter und in ſo weit der Schoͤpfer der<lb/>
Gedanken.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">2. Es</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[336/0396]
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
VI.
Naͤhere Unterſuchung uͤber den Urſprung unſe-
rer Jdeen aus Empfindungen.
1) Die Empfindungen geben den Stoff her
zu allen Jdeen.
2) Jnsbeſonders auch zu den Verhaͤltnißbe-
griffen.
3) Die Form der Jdeen haͤngt von der
Denkkraft ab.
1.
Der Erfahrungsſatz, daß alle Jdeen und Begrif-
fe aus Empfindungen entſtehen, und den die
mehreſten neuern Philoſophen in ſeiner voͤlligen Allge-
meinheit ohne Ausnahme fuͤr wahr annehmen, wird durch
die vorhergehenden Betrachtungen nicht aufgehoben, aber
genauer beſtimmt, als es von den mehreſten zu geſchehen
pfleget. Ohne Eindruͤcke von Farben und Toͤnen, und
ohne gefuͤhlte Eindruͤcke davon, giebt es keine Vorſtellun-
gen von ihnen, und kann keine geben. Wo es aber
keine Vorſtellungen giebet, da fehlet es an Gegenſtaͤn-
den, womit das Vermoͤgen, Verhaͤltniſſe zu denken,
ſich beſchaͤftigen kann. Es koͤnnen keine Jdeen vorhan-
den ſeyn, wo keine Vorſtellungen ſind; keine Urtheile,
wo keine Jdeen ſind. Es kann alſo auch nichts gefol-
gert, kein neues Urtheil aus einem andern herausgezo-
gen werden, wo nicht ſchon ein Grundurtheil da iſt. Em-
pfindungen, oder eigentlich Empfindungsvorſtellungen
ſind daher der letzte Stoff aller Gedanken, und aller
Kenntniſſe; aber ſie ſind auch nichts mehr, als der Stoff
oder die Materie dazu. Die Form der Gedanken, und
der Kenntniſſe iſt ein Werk der denkenden Kraft. Die-
ſe iſt der Werkmeiſter und in ſo weit der Schoͤpfer der
Gedanken.
2. Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/396>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.