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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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Vierter Versuch.
Ueber die Denkkraft und über das
Denken.
I.
Wie die Untersuchung dieses Seelenvermögens
anzustellen sey.

Das Gewahrnehmen ist Eine von den ersten Wir-
kungen des Vermögens der Seele, womit sie
Verhältnisse und Beziehungen in den Dingen erkennet.
Dieß ganze Vermögen will ich zusammen von nun an
die Denkkraft nennen, so wie das Erkennen der Ver-
hältnisse und Beziehungen in den Dingen überhaupt ein
Denken heißen kann.

Da es mehrere Verhältnisse in den Dingen giebt,
als ihre Verschiedenheit, so ist das Gewahrnehmen
nur Eine Art, und zwar die einfachste von den Aeuße-
rungen der Denkkraft. Wenn die übrigen Arten von
Verhältnissen, und die Aktus des Beziehungsvermö-
gens,
wodurch sie entstehen, auf dieselbige Art aufgelö-
set werden, wie es mit dem Gewahrnehmen geschehen
ist, so kann man vielleicht hoffen, die ursprüngliche Ver-
bindung und Beziehung dieser Seelenvermögen, der
Denkkraft, des Vorstellungs- und des Empfindungs-
vermögens auf einander, in ihren ersten Anfängen in
Deutlichkeit zu setzen. Aber ich gestehe, ob ich gleich
diesem Wege sorgfältig nachgegangen bin, dennoch das
nicht so völlig gefunden zu haben, was ich suchte, und
wovon es mir schon geahndet hatte, daß es sich nicht so
deutlich zeigen würde. Der Psycholog kann bey seinen
Nachforschungen wohl nichts anders erwarten, als was

dem
T 4


Vierter Verſuch.
Ueber die Denkkraft und uͤber das
Denken.
I.
Wie die Unterſuchung dieſes Seelenvermoͤgens
anzuſtellen ſey.

Das Gewahrnehmen iſt Eine von den erſten Wir-
kungen des Vermoͤgens der Seele, womit ſie
Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen erkennet.
Dieß ganze Vermoͤgen will ich zuſammen von nun an
die Denkkraft nennen, ſo wie das Erkennen der Ver-
haͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen uͤberhaupt ein
Denken heißen kann.

Da es mehrere Verhaͤltniſſe in den Dingen giebt,
als ihre Verſchiedenheit, ſo iſt das Gewahrnehmen
nur Eine Art, und zwar die einfachſte von den Aeuße-
rungen der Denkkraft. Wenn die uͤbrigen Arten von
Verhaͤltniſſen, und die Aktus des Beziehungsvermoͤ-
gens,
wodurch ſie entſtehen, auf dieſelbige Art aufgeloͤ-
ſet werden, wie es mit dem Gewahrnehmen geſchehen
iſt, ſo kann man vielleicht hoffen, die urſpruͤngliche Ver-
bindung und Beziehung dieſer Seelenvermoͤgen, der
Denkkraft, des Vorſtellungs- und des Empfindungs-
vermoͤgens auf einander, in ihren erſten Anfaͤngen in
Deutlichkeit zu ſetzen. Aber ich geſtehe, ob ich gleich
dieſem Wege ſorgfaͤltig nachgegangen bin, dennoch das
nicht ſo voͤllig gefunden zu haben, was ich ſuchte, und
wovon es mir ſchon geahndet hatte, daß es ſich nicht ſo
deutlich zeigen wuͤrde. Der Pſycholog kann bey ſeinen
Nachforſchungen wohl nichts anders erwarten, als was

dem
T 4
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[295/0355] Vierter Verſuch. Ueber die Denkkraft und uͤber das Denken. I. Wie die Unterſuchung dieſes Seelenvermoͤgens anzuſtellen ſey. Das Gewahrnehmen iſt Eine von den erſten Wir- kungen des Vermoͤgens der Seele, womit ſie Verhaͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen erkennet. Dieß ganze Vermoͤgen will ich zuſammen von nun an die Denkkraft nennen, ſo wie das Erkennen der Ver- haͤltniſſe und Beziehungen in den Dingen uͤberhaupt ein Denken heißen kann. Da es mehrere Verhaͤltniſſe in den Dingen giebt, als ihre Verſchiedenheit, ſo iſt das Gewahrnehmen nur Eine Art, und zwar die einfachſte von den Aeuße- rungen der Denkkraft. Wenn die uͤbrigen Arten von Verhaͤltniſſen, und die Aktus des Beziehungsvermoͤ- gens, wodurch ſie entſtehen, auf dieſelbige Art aufgeloͤ- ſet werden, wie es mit dem Gewahrnehmen geſchehen iſt, ſo kann man vielleicht hoffen, die urſpruͤngliche Ver- bindung und Beziehung dieſer Seelenvermoͤgen, der Denkkraft, des Vorſtellungs- und des Empfindungs- vermoͤgens auf einander, in ihren erſten Anfaͤngen in Deutlichkeit zu ſetzen. Aber ich geſtehe, ob ich gleich dieſem Wege ſorgfaͤltig nachgegangen bin, dennoch das nicht ſo voͤllig gefunden zu haben, was ich ſuchte, und wovon es mir ſchon geahndet hatte, daß es ſich nicht ſo deutlich zeigen wuͤrde. Der Pſycholog kann bey ſeinen Nachforſchungen wohl nichts anders erwarten, als was dem T 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/355>, abgerufen am 21.11.2024.