1) Das Gefühl hat nur mit gegenwärtigen Dingen zu thun. 2) Das Gefühl ist verschiedener Grade fähig. Jn wieferne erwiesen werden kann, daß es ein dunkles Gefühl gebe. 3) Was unmittelbar gefühlt wird, ist eine pas- sive Modifikation der Seele. 4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion sey. Jn wie weit solches zugleich neben ein- ander seyn könne. 5) Auf welche Art wir unsere Thätigkeiten füh- len.
1.
Was denn Fühlen oder Empfinden sey? da gestehe ich sogleich mein Unvermögen, es erklären zu kön- nen. Es ist eine einfache Seelenäußerung, die ich nicht in noch feinere zu zerfasern weiß. Was man hie- bey thun kann, bestehet meiner Meinung nach darinn, daß man dieser einfachen Faser nachgehe und bemerke, wo und wie sie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan- zen verwebet sey. Bey welchen Arten von Modifikatio- nen zeiget sich das Gefühl? Was findet man für Merk- male bey dem, was ein Gegenstand des Gefühles ist?
Zuerst ist es leicht zu beobachten, daß wir nichts fühlen und empfinden, als was gegenwärtig ist. Nur jezige Veränderungen, gegenwärtige Zustände von uns, können Objekte des Gefühls seyn. Die Vorstellungen haben auch das Vergangene und Zukünftige zum Gegen- stand. Die Erinnerung und das Gedächtniß beziehen
sich
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
II. Einige Beobachtungen uͤber das Gefuͤhl.
1) Das Gefuͤhl hat nur mit gegenwaͤrtigen Dingen zu thun. 2) Das Gefuͤhl iſt verſchiedener Grade faͤhig. Jn wieferne erwieſen werden kann, daß es ein dunkles Gefuͤhl gebe. 3) Was unmittelbar gefuͤhlt wird, iſt eine paſ- ſive Modifikation der Seele. 4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion ſey. Jn wie weit ſolches zugleich neben ein- ander ſeyn koͤnne. 5) Auf welche Art wir unſere Thaͤtigkeiten fuͤh- len.
1.
Was denn Fuͤhlen oder Empfinden ſey? da geſtehe ich ſogleich mein Unvermoͤgen, es erklaͤren zu koͤn- nen. Es iſt eine einfache Seelenaͤußerung, die ich nicht in noch feinere zu zerfaſern weiß. Was man hie- bey thun kann, beſtehet meiner Meinung nach darinn, daß man dieſer einfachen Faſer nachgehe und bemerke, wo und wie ſie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan- zen verwebet ſey. Bey welchen Arten von Modifikatio- nen zeiget ſich das Gefuͤhl? Was findet man fuͤr Merk- male bey dem, was ein Gegenſtand des Gefuͤhles iſt?
Zuerſt iſt es leicht zu beobachten, daß wir nichts fuͤhlen und empfinden, als was gegenwaͤrtig iſt. Nur jezige Veraͤnderungen, gegenwaͤrtige Zuſtaͤnde von uns, koͤnnen Objekte des Gefuͤhls ſeyn. Die Vorſtellungen haben auch das Vergangene und Zukuͤnftige zum Gegen- ſtand. Die Erinnerung und das Gedaͤchtniß beziehen
ſich
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II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
II.
Einige Beobachtungen uͤber das Gefuͤhl.
1) Das Gefuͤhl hat nur mit gegenwaͤrtigen
Dingen zu thun.
2) Das Gefuͤhl iſt verſchiedener Grade faͤhig.
Jn wieferne erwieſen werden kann, daß es
ein dunkles Gefuͤhl gebe.
3) Was unmittelbar gefuͤhlt wird, iſt eine paſ-
ſive Modifikation der Seele.
4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion
ſey. Jn wie weit ſolches zugleich neben ein-
ander ſeyn koͤnne.
5) Auf welche Art wir unſere Thaͤtigkeiten fuͤh-
len.
1.
Was denn Fuͤhlen oder Empfinden ſey? da geſtehe
ich ſogleich mein Unvermoͤgen, es erklaͤren zu koͤn-
nen. Es iſt eine einfache Seelenaͤußerung, die ich
nicht in noch feinere zu zerfaſern weiß. Was man hie-
bey thun kann, beſtehet meiner Meinung nach darinn,
daß man dieſer einfachen Faſer nachgehe und bemerke,
wo und wie ſie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan-
zen verwebet ſey. Bey welchen Arten von Modifikatio-
nen zeiget ſich das Gefuͤhl? Was findet man fuͤr Merk-
male bey dem, was ein Gegenſtand des Gefuͤhles iſt?
Zuerſt iſt es leicht zu beobachten, daß wir nichts
fuͤhlen und empfinden, als was gegenwaͤrtig iſt. Nur
jezige Veraͤnderungen, gegenwaͤrtige Zuſtaͤnde von uns,
koͤnnen Objekte des Gefuͤhls ſeyn. Die Vorſtellungen
haben auch das Vergangene und Zukuͤnftige zum Gegen-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/230>, abgerufen am 21.11.2024.
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