Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Versuch. Ueber das Gefühl,
II.
Einige Beobachtungen über das Gefühl.

1) Das Gefühl hat nur mit gegenwärtigen
Dingen zu thun.

2) Das Gefühl ist verschiedener Grade fähig.
Jn wieferne erwiesen werden kann, daß es
ein dunkles Gefühl gebe.

3) Was unmittelbar gefühlt wird, ist eine pas-
sive Modifikation der Seele.

4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion
sey. Jn wie weit solches zugleich neben ein-
ander seyn könne.

5) Auf welche Art wir unsere Thätigkeiten füh-
len.

1.

Was denn Fühlen oder Empfinden sey? da gestehe
ich sogleich mein Unvermögen, es erklären zu kön-
nen. Es ist eine einfache Seelenäußerung, die ich
nicht in noch feinere zu zerfasern weiß. Was man hie-
bey thun kann, bestehet meiner Meinung nach darinn,
daß man dieser einfachen Faser nachgehe und bemerke,
wo und wie sie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan-
zen verwebet sey. Bey welchen Arten von Modifikatio-
nen zeiget sich das Gefühl? Was findet man für Merk-
male bey dem, was ein Gegenstand des Gefühles ist?

Zuerst ist es leicht zu beobachten, daß wir nichts
fühlen und empfinden, als was gegenwärtig ist. Nur
jezige Veränderungen, gegenwärtige Zustände von uns,
können Objekte des Gefühls seyn. Die Vorstellungen
haben auch das Vergangene und Zukünftige zum Gegen-
stand. Die Erinnerung und das Gedächtniß beziehen

sich
II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl,
II.
Einige Beobachtungen uͤber das Gefuͤhl.

1) Das Gefuͤhl hat nur mit gegenwaͤrtigen
Dingen zu thun.

2) Das Gefuͤhl iſt verſchiedener Grade faͤhig.
Jn wieferne erwieſen werden kann, daß es
ein dunkles Gefuͤhl gebe.

3) Was unmittelbar gefuͤhlt wird, iſt eine paſ-
ſive Modifikation der Seele.

4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion
ſey. Jn wie weit ſolches zugleich neben ein-
ander ſeyn koͤnne.

5) Auf welche Art wir unſere Thaͤtigkeiten fuͤh-
len.

1.

Was denn Fuͤhlen oder Empfinden ſey? da geſtehe
ich ſogleich mein Unvermoͤgen, es erklaͤren zu koͤn-
nen. Es iſt eine einfache Seelenaͤußerung, die ich
nicht in noch feinere zu zerfaſern weiß. Was man hie-
bey thun kann, beſtehet meiner Meinung nach darinn,
daß man dieſer einfachen Faſer nachgehe und bemerke,
wo und wie ſie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan-
zen verwebet ſey. Bey welchen Arten von Modifikatio-
nen zeiget ſich das Gefuͤhl? Was findet man fuͤr Merk-
male bey dem, was ein Gegenſtand des Gefuͤhles iſt?

Zuerſt iſt es leicht zu beobachten, daß wir nichts
fuͤhlen und empfinden, als was gegenwaͤrtig iſt. Nur
jezige Veraͤnderungen, gegenwaͤrtige Zuſtaͤnde von uns,
koͤnnen Objekte des Gefuͤhls ſeyn. Die Vorſtellungen
haben auch das Vergangene und Zukuͤnftige zum Gegen-
ſtand. Die Erinnerung und das Gedaͤchtniß beziehen

ſich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0230" n="170"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Gefu&#x0364;hl,</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
Einige Beobachtungen u&#x0364;ber das Gefu&#x0364;hl.</head><lb/>
          <argument>
            <p>
              <list>
                <item>1) <hi rendition="#fr">Das Gefu&#x0364;hl hat nur mit gegenwa&#x0364;rtigen<lb/>
Dingen zu thun.</hi></item><lb/>
                <item>2) <hi rendition="#fr">Das Gefu&#x0364;hl i&#x017F;t ver&#x017F;chiedener Grade fa&#x0364;hig.<lb/>
Jn wieferne erwie&#x017F;en werden kann, daß es<lb/>
ein dunkles Gefu&#x0364;hl gebe.</hi></item><lb/>
                <item>3) <hi rendition="#fr">Was unmittelbar gefu&#x0364;hlt wird, i&#x017F;t eine pa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ive Modifikation der Seele.</hi></item><lb/>
                <item>4) <hi rendition="#fr">Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion<lb/>
&#x017F;ey. Jn wie weit &#x017F;olches zugleich neben ein-<lb/>
ander &#x017F;eyn ko&#x0364;nne.</hi></item><lb/>
                <item>5) <hi rendition="#fr">Auf welche Art wir un&#x017F;ere Tha&#x0364;tigkeiten fu&#x0364;h-<lb/>
len.</hi></item>
              </list>
            </p>
          </argument><lb/>
          <div n="3">
            <head>1.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>as denn <hi rendition="#fr">Fu&#x0364;hlen</hi> oder Empfinden &#x017F;ey? da ge&#x017F;tehe<lb/>
ich &#x017F;ogleich mein Unvermo&#x0364;gen, es erkla&#x0364;ren zu ko&#x0364;n-<lb/>
nen. Es i&#x017F;t eine einfache Seelena&#x0364;ußerung, die ich<lb/>
nicht in noch feinere zu zerfa&#x017F;ern weiß. Was man hie-<lb/>
bey thun kann, be&#x017F;tehet meiner Meinung nach darinn,<lb/>
daß man die&#x017F;er einfachen Fa&#x017F;er nachgehe und bemerke,<lb/>
wo und wie &#x017F;ie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan-<lb/>
zen verwebet &#x017F;ey. Bey welchen Arten von Modifikatio-<lb/>
nen zeiget &#x017F;ich das Gefu&#x0364;hl? Was findet man fu&#x0364;r Merk-<lb/>
male bey dem, was ein Gegen&#x017F;tand des Gefu&#x0364;hles i&#x017F;t?</p><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Zuer&#x017F;t</hi> i&#x017F;t es leicht zu beobachten, daß wir nichts<lb/>
fu&#x0364;hlen und empfinden, als was <hi rendition="#fr">gegenwa&#x0364;rtig</hi> i&#x017F;t. Nur<lb/>
jezige Vera&#x0364;nderungen, gegenwa&#x0364;rtige Zu&#x017F;ta&#x0364;nde von uns,<lb/>
ko&#x0364;nnen Objekte des Gefu&#x0364;hls &#x017F;eyn. Die Vor&#x017F;tellungen<lb/>
haben auch das Vergangene und Zuku&#x0364;nftige zum Gegen-<lb/>
&#x017F;tand. Die Erinnerung und das Geda&#x0364;chtniß beziehen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ich</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0230] II. Verſuch. Ueber das Gefuͤhl, II. Einige Beobachtungen uͤber das Gefuͤhl. 1) Das Gefuͤhl hat nur mit gegenwaͤrtigen Dingen zu thun. 2) Das Gefuͤhl iſt verſchiedener Grade faͤhig. Jn wieferne erwieſen werden kann, daß es ein dunkles Gefuͤhl gebe. 3) Was unmittelbar gefuͤhlt wird, iſt eine paſ- ſive Modifikation der Seele. 4) Was Thun und Leiden, Aktion und Paßion ſey. Jn wie weit ſolches zugleich neben ein- ander ſeyn koͤnne. 5) Auf welche Art wir unſere Thaͤtigkeiten fuͤh- len. 1. Was denn Fuͤhlen oder Empfinden ſey? da geſtehe ich ſogleich mein Unvermoͤgen, es erklaͤren zu koͤn- nen. Es iſt eine einfache Seelenaͤußerung, die ich nicht in noch feinere zu zerfaſern weiß. Was man hie- bey thun kann, beſtehet meiner Meinung nach darinn, daß man dieſer einfachen Faſer nachgehe und bemerke, wo und wie ſie mit einander fortlaufe, und mit dem Gan- zen verwebet ſey. Bey welchen Arten von Modifikatio- nen zeiget ſich das Gefuͤhl? Was findet man fuͤr Merk- male bey dem, was ein Gegenſtand des Gefuͤhles iſt? Zuerſt iſt es leicht zu beobachten, daß wir nichts fuͤhlen und empfinden, als was gegenwaͤrtig iſt. Nur jezige Veraͤnderungen, gegenwaͤrtige Zuſtaͤnde von uns, koͤnnen Objekte des Gefuͤhls ſeyn. Die Vorſtellungen haben auch das Vergangene und Zukuͤnftige zum Gegen- ſtand. Die Erinnerung und das Gedaͤchtniß beziehen ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/230
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/230>, abgerufen am 21.11.2024.