zuüben, daß man die Geseze gegen sie gar nicht brauchen kann. Diese können nur mit der Geisel des Spötters gezüchtiget werden; es ist die einzige Art sich an ihnen zu rächen. Bessern kann man sich nicht dadurch; dieses ist auch nicht die Absicht des Spötters, er will ihnen nur wehe thun; und er thut wol daran. Denn kann doch noch das gute daraus erfolgen, daß der Bösewicht in allgemeine Verachtung kommt, die ihm in fernerer Ausübung seiner Boßheit doch große Hindernisse in dem Weg legen kann. Wer in allgemeiner Verachtung steht, ist selten fürchterlich.
Wer unternihmt einen großen Missethäter, dem man durch die Geseze nicht beykommen kann, ver- ächtlich zu machen, hat auch nicht nöthig in seinen Spöttereyen so sehr sorgfältig zu seyn. Auch der Pöbel muß seiner spotten; folglich ist alles, was ihn beschimpfen kann, gut gegen ihn. Können feinere Köpfe nicht lachen, wann Tartüffe sich in seiner verliebten Tollheit so grob hintergehen läßt; so se- hen sie es doch gerne, daß der Pöbel darüber lacht. Auch die unwahrscheinlichste Narrheit, der man ihn beschuldiget, kann gute Würkung thun. Aristo- phanes beschuldiget den Sokrates in seinen Wolken so viel grober Narrheiten, daß kein Verständiger darüber wird gelacht haben; aber manchem einfäl- tigen Manne mag der Philosoph dadurch verächtlich worden seyn.
Die sogenannte alte Comödie in Athen, gab den Dichtern Gelegenheit das Lächerliche zu diesem Ge- brauch anzuwenden. Vielleicht war nie ein Mensch in dieser Art Spötterey geschickter, als Aristopha- nes. Unsre heutigen Staatsverfassungen haben diesen Gebrauch entweder völlig, oder doch größten- theils gehemmet. Hievon aber wird an einem an- dern Orte gesprochen werden. (*)
Lage der Sachen. (Schöne Künste.)
Durch die Lage der Sachen, die man auch mit dem französischen Wort Situation ausdrükt, ver- steht man die Beschaffenheit aller zu einer Hand- lung oder Begebenheit gehörigen Dinge, in einem gewissen Zeitpunkt der Handlung, in welchem man das Gegenwärtige, als eine Würkung dessen, das vorhergegangen und als eine Ursache dessen, das [Spaltenumbruch]
Lag
noch erfolgen soll, ansiehet. Wenn wir uns den Augenblik vorstellen, da Cäsar von Brutus und sei- nen Mitverschwornen soll umgebracht werden; in diesem Augenblik aber die Handlung als stille ste- hend betrachten, um jedes einzele, das dazu gehört zu bemerken; die gegenwärtigen Personen, ihre Gedanken und Empfindungen, den Ort und andre Umstände, und dieses alles auf einmal, wie in ei- nem Grundris vor uns haben, so fassen wir die gegenwärtige Lage der Sachen.
Jn diesen Umständen stellt man sich etwas, das geschehen soll, vor, und hat auf einmal viel Dinge, die man als mitwürkend, oder als leidend ansieht vor Augen; die Neugierde wird gereizt; man er- wartet mit Aufmerksamkeit den Erfolg von so vielen auf einmal zusammenkommenden mit- oder gegen einander würkenden Dingen. Jst die Handlung an sich selbst wichtig, und izt auf einen merkwürdi- digen Zeitpunkt gekommen, so besinden wir alsdenn uns selbst, als Zuschauer, in einem merkwürdigen Zustande, voll Neugierde, Würksamkeit und Erwar- tung. Ein solcher Zustand hat ungemein reizendes für lebhafte Gemüther, und es scheinet, daß wir das Vergnügen unsrer Existenz nie vollkommener genießen, als in solchen Umständen. Welcher Mensch könnte in einem solchen Falle ohne den bit- tersten Verdruß sich in der Nothwendigkeit befinden, sein Aug von der Scene wegzuwenden, ehe seine Neugierde über die Erwartungen dessen, was ge- schehen soll, befriediget ist?
Deswegen ist in dem Umfange der schönen Künste nichts, das uns so sehr gefällt, als merkwürdige Lagen der Sachen bey wichtigen Handlungen oder Begebenheiten. Dergleichen auszudenken, und deutlich vor Augen zu legen, ist einer der wichtigsten Talente des Künstlers. Man siehet leicht, daß das Merkwürdige einer Lage in dem nahe scheinenden und unvermeidlichen Ausbruch solcher Dinge bestehe, die lebhafte Leidenschaften erweken. Das, was wir vor uns sehen, sezt uns in Erwartung, die mit Furcht, oder Hofnung, mit Verlangen, oder Ban- gigkeit begleitet ist. Je mehr Leidenschaften dabey rege werden, je mehr intreßirt die Lage der Sachen. Schon Dinge, deren Erfolg uns gleichgültig ist, können sich in einer Lage befinden, die uns blos aus Neugierd sehr intreßirt. Man wünscht zu sehen, wie die Sachen, die wir verwikelt, gegen einander streitend, sehen, aus einander gehen werden.
Die
(*) S. Satyre.
N n n n 2
[Spaltenumbruch]
Laͤch Lag
zuuͤben, daß man die Geſeze gegen ſie gar nicht brauchen kann. Dieſe koͤnnen nur mit der Geiſel des Spoͤtters gezuͤchtiget werden; es iſt die einzige Art ſich an ihnen zu raͤchen. Beſſern kann man ſich nicht dadurch; dieſes iſt auch nicht die Abſicht des Spoͤtters, er will ihnen nur wehe thun; und er thut wol daran. Denn kann doch noch das gute daraus erfolgen, daß der Boͤſewicht in allgemeine Verachtung kommt, die ihm in fernerer Ausuͤbung ſeiner Boßheit doch große Hinderniſſe in dem Weg legen kann. Wer in allgemeiner Verachtung ſteht, iſt ſelten fuͤrchterlich.
Wer unternihmt einen großen Miſſethaͤter, dem man durch die Geſeze nicht beykommen kann, ver- aͤchtlich zu machen, hat auch nicht noͤthig in ſeinen Spoͤttereyen ſo ſehr ſorgfaͤltig zu ſeyn. Auch der Poͤbel muß ſeiner ſpotten; folglich iſt alles, was ihn beſchimpfen kann, gut gegen ihn. Koͤnnen feinere Koͤpfe nicht lachen, wann Tartuͤffe ſich in ſeiner verliebten Tollheit ſo grob hintergehen laͤßt; ſo ſe- hen ſie es doch gerne, daß der Poͤbel daruͤber lacht. Auch die unwahrſcheinlichſte Narrheit, der man ihn beſchuldiget, kann gute Wuͤrkung thun. Ariſto- phanes beſchuldiget den Sokrates in ſeinen Wolken ſo viel grober Narrheiten, daß kein Verſtaͤndiger daruͤber wird gelacht haben; aber manchem einfaͤl- tigen Manne mag der Philoſoph dadurch veraͤchtlich worden ſeyn.
Die ſogenannte alte Comoͤdie in Athen, gab den Dichtern Gelegenheit das Laͤcherliche zu dieſem Ge- brauch anzuwenden. Vielleicht war nie ein Menſch in dieſer Art Spoͤtterey geſchickter, als Ariſtopha- nes. Unſre heutigen Staatsverfaſſungen haben dieſen Gebrauch entweder voͤllig, oder doch groͤßten- theils gehemmet. Hievon aber wird an einem an- dern Orte geſprochen werden. (*)
Lage der Sachen. (Schoͤne Kuͤnſte.)
Durch die Lage der Sachen, die man auch mit dem franzoͤſiſchen Wort Situation ausdruͤkt, ver- ſteht man die Beſchaffenheit aller zu einer Hand- lung oder Begebenheit gehoͤrigen Dinge, in einem gewiſſen Zeitpunkt der Handlung, in welchem man das Gegenwaͤrtige, als eine Wuͤrkung deſſen, das vorhergegangen und als eine Urſache deſſen, das [Spaltenumbruch]
Lag
noch erfolgen ſoll, anſiehet. Wenn wir uns den Augenblik vorſtellen, da Caͤſar von Brutus und ſei- nen Mitverſchwornen ſoll umgebracht werden; in dieſem Augenblik aber die Handlung als ſtille ſte- hend betrachten, um jedes einzele, das dazu gehoͤrt zu bemerken; die gegenwaͤrtigen Perſonen, ihre Gedanken und Empfindungen, den Ort und andre Umſtaͤnde, und dieſes alles auf einmal, wie in ei- nem Grundris vor uns haben, ſo faſſen wir die gegenwaͤrtige Lage der Sachen.
Jn dieſen Umſtaͤnden ſtellt man ſich etwas, das geſchehen ſoll, vor, und hat auf einmal viel Dinge, die man als mitwuͤrkend, oder als leidend anſieht vor Augen; die Neugierde wird gereizt; man er- wartet mit Aufmerkſamkeit den Erfolg von ſo vielen auf einmal zuſammenkommenden mit- oder gegen einander wuͤrkenden Dingen. Jſt die Handlung an ſich ſelbſt wichtig, und izt auf einen merkwuͤrdi- digen Zeitpunkt gekommen, ſo beſinden wir alsdenn uns ſelbſt, als Zuſchauer, in einem merkwuͤrdigen Zuſtande, voll Neugierde, Wuͤrkſamkeit und Erwar- tung. Ein ſolcher Zuſtand hat ungemein reizendes fuͤr lebhafte Gemuͤther, und es ſcheinet, daß wir das Vergnuͤgen unſrer Exiſtenz nie vollkommener genießen, als in ſolchen Umſtaͤnden. Welcher Menſch koͤnnte in einem ſolchen Falle ohne den bit- terſten Verdruß ſich in der Nothwendigkeit befinden, ſein Aug von der Scene wegzuwenden, ehe ſeine Neugierde uͤber die Erwartungen deſſen, was ge- ſchehen ſoll, befriediget iſt?
Deswegen iſt in dem Umfange der ſchoͤnen Kuͤnſte nichts, das uns ſo ſehr gefaͤllt, als merkwuͤrdige Lagen der Sachen bey wichtigen Handlungen oder Begebenheiten. Dergleichen auszudenken, und deutlich vor Augen zu legen, iſt einer der wichtigſten Talente des Kuͤnſtlers. Man ſiehet leicht, daß das Merkwuͤrdige einer Lage in dem nahe ſcheinenden und unvermeidlichen Ausbruch ſolcher Dinge beſtehe, die lebhafte Leidenſchaften erweken. Das, was wir vor uns ſehen, ſezt uns in Erwartung, die mit Furcht, oder Hofnung, mit Verlangen, oder Ban- gigkeit begleitet iſt. Je mehr Leidenſchaften dabey rege werden, je mehr intreßirt die Lage der Sachen. Schon Dinge, deren Erfolg uns gleichguͤltig iſt, koͤnnen ſich in einer Lage befinden, die uns blos aus Neugierd ſehr intreßirt. Man wuͤnſcht zu ſehen, wie die Sachen, die wir verwikelt, gegen einander ſtreitend, ſehen, aus einander gehen werden.
Die
(*) S. Satyre.
N n n n 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0086"n="651"/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Laͤch Lag</hi></fw><lb/>
zuuͤben, daß man die Geſeze gegen ſie gar nicht<lb/>
brauchen kann. Dieſe koͤnnen nur mit der Geiſel<lb/>
des Spoͤtters gezuͤchtiget werden; es iſt die einzige<lb/>
Art ſich an ihnen zu raͤchen. Beſſern kann man<lb/>ſich nicht dadurch; dieſes iſt auch nicht die Abſicht<lb/>
des Spoͤtters, er will ihnen nur wehe thun; und<lb/>
er thut wol daran. Denn kann doch noch das gute<lb/>
daraus erfolgen, daß der Boͤſewicht in allgemeine<lb/>
Verachtung kommt, die ihm in fernerer Ausuͤbung<lb/>ſeiner Boßheit doch große Hinderniſſe in dem Weg<lb/>
legen kann. Wer in allgemeiner Verachtung ſteht,<lb/>
iſt ſelten fuͤrchterlich.</p><lb/><p>Wer unternihmt einen großen Miſſethaͤter, dem<lb/>
man durch die Geſeze nicht beykommen kann, ver-<lb/>
aͤchtlich zu machen, hat auch nicht noͤthig in ſeinen<lb/>
Spoͤttereyen ſo ſehr ſorgfaͤltig zu ſeyn. Auch der<lb/>
Poͤbel muß ſeiner ſpotten; folglich iſt alles, was ihn<lb/>
beſchimpfen kann, gut gegen ihn. Koͤnnen feinere<lb/>
Koͤpfe nicht lachen, wann Tartuͤffe ſich in ſeiner<lb/>
verliebten Tollheit ſo grob hintergehen laͤßt; ſo ſe-<lb/>
hen ſie es doch gerne, daß der Poͤbel daruͤber lacht.<lb/>
Auch die unwahrſcheinlichſte Narrheit, der man ihn<lb/>
beſchuldiget, kann gute Wuͤrkung thun. Ariſto-<lb/>
phanes beſchuldiget den Sokrates in ſeinen Wolken<lb/>ſo viel grober Narrheiten, daß kein Verſtaͤndiger<lb/>
daruͤber wird gelacht haben; aber manchem einfaͤl-<lb/>
tigen Manne mag der Philoſoph dadurch veraͤchtlich<lb/>
worden ſeyn.</p><lb/><p>Die ſogenannte alte Comoͤdie in Athen, gab den<lb/>
Dichtern Gelegenheit das Laͤcherliche zu dieſem Ge-<lb/>
brauch anzuwenden. Vielleicht war nie ein Menſch<lb/>
in dieſer Art Spoͤtterey geſchickter, als Ariſtopha-<lb/>
nes. Unſre heutigen Staatsverfaſſungen haben<lb/>
dieſen Gebrauch entweder voͤllig, oder doch groͤßten-<lb/>
theils gehemmet. Hievon aber wird an einem an-<lb/>
dern Orte geſprochen werden. <noteplace="foot"n="(*)">S.<lb/>
Satyre.</note></p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Lage der Sachen.</hi><lb/>
(Schoͤne Kuͤnſte.)</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>urch die Lage der Sachen, die man auch mit<lb/>
dem franzoͤſiſchen Wort <hirendition="#fr">Situation</hi> ausdruͤkt, ver-<lb/>ſteht man die Beſchaffenheit aller zu einer Hand-<lb/>
lung oder Begebenheit gehoͤrigen Dinge, in einem<lb/>
gewiſſen Zeitpunkt der Handlung, in welchem man<lb/>
das Gegenwaͤrtige, als eine Wuͤrkung deſſen, das<lb/>
vorhergegangen und als eine Urſache deſſen, das<lb/><cb/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Lag</hi></fw><lb/>
noch erfolgen ſoll, anſiehet. Wenn wir uns den<lb/>
Augenblik vorſtellen, da Caͤſar von Brutus und ſei-<lb/>
nen Mitverſchwornen ſoll umgebracht werden; in<lb/>
dieſem Augenblik aber die Handlung als ſtille ſte-<lb/>
hend betrachten, um jedes einzele, das dazu gehoͤrt<lb/>
zu bemerken; die gegenwaͤrtigen Perſonen, ihre<lb/>
Gedanken und Empfindungen, den Ort und andre<lb/>
Umſtaͤnde, und dieſes alles auf einmal, wie in ei-<lb/>
nem Grundris vor uns haben, ſo faſſen wir die<lb/>
gegenwaͤrtige Lage der Sachen.</p><lb/><p>Jn dieſen Umſtaͤnden ſtellt man ſich etwas, das<lb/>
geſchehen ſoll, vor, und hat auf einmal viel Dinge,<lb/>
die man als mitwuͤrkend, oder als leidend anſieht<lb/>
vor Augen; die Neugierde wird gereizt; man er-<lb/>
wartet mit Aufmerkſamkeit den Erfolg von ſo vielen<lb/>
auf einmal zuſammenkommenden mit- oder gegen<lb/>
einander wuͤrkenden Dingen. Jſt die Handlung<lb/>
an ſich ſelbſt wichtig, und izt auf einen merkwuͤrdi-<lb/>
digen Zeitpunkt gekommen, ſo beſinden wir alsdenn<lb/>
uns ſelbſt, als Zuſchauer, in einem merkwuͤrdigen<lb/>
Zuſtande, voll Neugierde, Wuͤrkſamkeit und Erwar-<lb/>
tung. Ein ſolcher Zuſtand hat ungemein reizendes<lb/>
fuͤr lebhafte Gemuͤther, und es ſcheinet, daß wir<lb/>
das Vergnuͤgen unſrer Exiſtenz nie vollkommener<lb/>
genießen, als in ſolchen Umſtaͤnden. Welcher<lb/>
Menſch koͤnnte in einem ſolchen Falle ohne den bit-<lb/>
terſten Verdruß ſich in der Nothwendigkeit befinden,<lb/>ſein Aug von der Scene wegzuwenden, ehe ſeine<lb/>
Neugierde uͤber die Erwartungen deſſen, was ge-<lb/>ſchehen ſoll, befriediget iſt?</p><lb/><p>Deswegen iſt in dem Umfange der ſchoͤnen Kuͤnſte<lb/>
nichts, das uns ſo ſehr gefaͤllt, als merkwuͤrdige<lb/>
Lagen der Sachen bey wichtigen Handlungen oder<lb/>
Begebenheiten. Dergleichen auszudenken, und<lb/>
deutlich vor Augen zu legen, iſt einer der wichtigſten<lb/>
Talente des Kuͤnſtlers. Man ſiehet leicht, daß das<lb/>
Merkwuͤrdige einer Lage in dem nahe ſcheinenden<lb/>
und unvermeidlichen Ausbruch ſolcher Dinge beſtehe,<lb/>
die lebhafte Leidenſchaften erweken. Das, was wir<lb/>
vor uns ſehen, ſezt uns in Erwartung, die mit<lb/>
Furcht, oder Hofnung, mit Verlangen, oder Ban-<lb/>
gigkeit begleitet iſt. Je mehr Leidenſchaften dabey<lb/>
rege werden, je mehr intreßirt die Lage der Sachen.<lb/>
Schon Dinge, deren Erfolg uns gleichguͤltig iſt,<lb/>
koͤnnen ſich in einer Lage befinden, die uns blos aus<lb/>
Neugierd ſehr intreßirt. Man wuͤnſcht zu ſehen,<lb/>
wie die Sachen, die wir verwikelt, gegen einander<lb/>ſtreitend, ſehen, aus einander gehen werden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N n n n 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Die</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[651/0086]
Laͤch Lag
Lag
zuuͤben, daß man die Geſeze gegen ſie gar nicht
brauchen kann. Dieſe koͤnnen nur mit der Geiſel
des Spoͤtters gezuͤchtiget werden; es iſt die einzige
Art ſich an ihnen zu raͤchen. Beſſern kann man
ſich nicht dadurch; dieſes iſt auch nicht die Abſicht
des Spoͤtters, er will ihnen nur wehe thun; und
er thut wol daran. Denn kann doch noch das gute
daraus erfolgen, daß der Boͤſewicht in allgemeine
Verachtung kommt, die ihm in fernerer Ausuͤbung
ſeiner Boßheit doch große Hinderniſſe in dem Weg
legen kann. Wer in allgemeiner Verachtung ſteht,
iſt ſelten fuͤrchterlich.
Wer unternihmt einen großen Miſſethaͤter, dem
man durch die Geſeze nicht beykommen kann, ver-
aͤchtlich zu machen, hat auch nicht noͤthig in ſeinen
Spoͤttereyen ſo ſehr ſorgfaͤltig zu ſeyn. Auch der
Poͤbel muß ſeiner ſpotten; folglich iſt alles, was ihn
beſchimpfen kann, gut gegen ihn. Koͤnnen feinere
Koͤpfe nicht lachen, wann Tartuͤffe ſich in ſeiner
verliebten Tollheit ſo grob hintergehen laͤßt; ſo ſe-
hen ſie es doch gerne, daß der Poͤbel daruͤber lacht.
Auch die unwahrſcheinlichſte Narrheit, der man ihn
beſchuldiget, kann gute Wuͤrkung thun. Ariſto-
phanes beſchuldiget den Sokrates in ſeinen Wolken
ſo viel grober Narrheiten, daß kein Verſtaͤndiger
daruͤber wird gelacht haben; aber manchem einfaͤl-
tigen Manne mag der Philoſoph dadurch veraͤchtlich
worden ſeyn.
Die ſogenannte alte Comoͤdie in Athen, gab den
Dichtern Gelegenheit das Laͤcherliche zu dieſem Ge-
brauch anzuwenden. Vielleicht war nie ein Menſch
in dieſer Art Spoͤtterey geſchickter, als Ariſtopha-
nes. Unſre heutigen Staatsverfaſſungen haben
dieſen Gebrauch entweder voͤllig, oder doch groͤßten-
theils gehemmet. Hievon aber wird an einem an-
dern Orte geſprochen werden. (*)
Lage der Sachen.
(Schoͤne Kuͤnſte.)
Durch die Lage der Sachen, die man auch mit
dem franzoͤſiſchen Wort Situation ausdruͤkt, ver-
ſteht man die Beſchaffenheit aller zu einer Hand-
lung oder Begebenheit gehoͤrigen Dinge, in einem
gewiſſen Zeitpunkt der Handlung, in welchem man
das Gegenwaͤrtige, als eine Wuͤrkung deſſen, das
vorhergegangen und als eine Urſache deſſen, das
noch erfolgen ſoll, anſiehet. Wenn wir uns den
Augenblik vorſtellen, da Caͤſar von Brutus und ſei-
nen Mitverſchwornen ſoll umgebracht werden; in
dieſem Augenblik aber die Handlung als ſtille ſte-
hend betrachten, um jedes einzele, das dazu gehoͤrt
zu bemerken; die gegenwaͤrtigen Perſonen, ihre
Gedanken und Empfindungen, den Ort und andre
Umſtaͤnde, und dieſes alles auf einmal, wie in ei-
nem Grundris vor uns haben, ſo faſſen wir die
gegenwaͤrtige Lage der Sachen.
Jn dieſen Umſtaͤnden ſtellt man ſich etwas, das
geſchehen ſoll, vor, und hat auf einmal viel Dinge,
die man als mitwuͤrkend, oder als leidend anſieht
vor Augen; die Neugierde wird gereizt; man er-
wartet mit Aufmerkſamkeit den Erfolg von ſo vielen
auf einmal zuſammenkommenden mit- oder gegen
einander wuͤrkenden Dingen. Jſt die Handlung
an ſich ſelbſt wichtig, und izt auf einen merkwuͤrdi-
digen Zeitpunkt gekommen, ſo beſinden wir alsdenn
uns ſelbſt, als Zuſchauer, in einem merkwuͤrdigen
Zuſtande, voll Neugierde, Wuͤrkſamkeit und Erwar-
tung. Ein ſolcher Zuſtand hat ungemein reizendes
fuͤr lebhafte Gemuͤther, und es ſcheinet, daß wir
das Vergnuͤgen unſrer Exiſtenz nie vollkommener
genießen, als in ſolchen Umſtaͤnden. Welcher
Menſch koͤnnte in einem ſolchen Falle ohne den bit-
terſten Verdruß ſich in der Nothwendigkeit befinden,
ſein Aug von der Scene wegzuwenden, ehe ſeine
Neugierde uͤber die Erwartungen deſſen, was ge-
ſchehen ſoll, befriediget iſt?
Deswegen iſt in dem Umfange der ſchoͤnen Kuͤnſte
nichts, das uns ſo ſehr gefaͤllt, als merkwuͤrdige
Lagen der Sachen bey wichtigen Handlungen oder
Begebenheiten. Dergleichen auszudenken, und
deutlich vor Augen zu legen, iſt einer der wichtigſten
Talente des Kuͤnſtlers. Man ſiehet leicht, daß das
Merkwuͤrdige einer Lage in dem nahe ſcheinenden
und unvermeidlichen Ausbruch ſolcher Dinge beſtehe,
die lebhafte Leidenſchaften erweken. Das, was wir
vor uns ſehen, ſezt uns in Erwartung, die mit
Furcht, oder Hofnung, mit Verlangen, oder Ban-
gigkeit begleitet iſt. Je mehr Leidenſchaften dabey
rege werden, je mehr intreßirt die Lage der Sachen.
Schon Dinge, deren Erfolg uns gleichguͤltig iſt,
koͤnnen ſich in einer Lage befinden, die uns blos aus
Neugierd ſehr intreßirt. Man wuͤnſcht zu ſehen,
wie die Sachen, die wir verwikelt, gegen einander
ſtreitend, ſehen, aus einander gehen werden.
Die
(*) S.
Satyre.
N n n n 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/86>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.