Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Red
Wichtige und Große richtig zu erkennen; nicht blos
durch ein dunkeles, wiewol sicheres Gefühl zu em-
pfinden, sondern mit hinlänglicher Klarheit und
Deutlichkeit so zu sehen, daß es auch weniger Scharf-
sichtigen einleuchtend kann gemacht werden. Qui
ratione plurimum valent, quique ea quae cogitant
quam facillimo ordine disponunt, ut clare et distincte
cognoscantur, aptissima semper ad persuadendum di-
cere possunt.
(*) So urtheilt ein großer Philosoph.

Die Stärke, Lebhaftigkeit und den Reichthum
der Einbildungskraft hat der Redner mit allen an-
dern Künstlern gemein; sie sind ihm nöthig, weil er
ofte sichtbare Gegenstände so hell und so lebhaft zu
schildern hat, daß der Zuhörer sie mit Angen zu se-
hen glaubt, welches ihm nothwendig schweerer wird,
als dem Dichter, dessen Sprache dazu bequämer ist.
Auch sind ihm diese Gaben nöthig, weil er gar ofte
abstrakte und aller Sinnlichkeit beraubte Gedanken,
um sie sinnlich und eindringend zu machen, durch
glükliche Tropen, körperlich darzustellen hat. Hin-
gegen hat er auch mehr, als irgend ein Künstler
Kräfte der kältern Vernunft nöthig, um seiner fen-
rigen Phantasie beständig Meister zu bleiben; weil
er weit genauer, als der Dichter, in einem gezeich-
neten Geleise bleiben, und wie Lucian sich aus-
drukt (*), so genau wie ein Seiltänzer auf dem
Seile, fortschreiten muß.

Nicht weniger groß als der Verstand, muß auch
das Herz des großen Redners seyn, die eigentliche Mu-
se, die ihn begeistert. Er zeichnet sich durch das wär-
meste Gefühl für die Rechte der Menschlichkeit, durch
brennenden Eyfer für das allgemeine Beste des Staa-
tes, von jedem andern Künstler aus. Unrecht, wenn
auch der geringste Mensch es leidet, ist ihm uner-
träglich, und falsche Maaßregeln, wodurch man in
privat und in öffentlichen Geschäften, sich selber scha-
det, sind Auffoderungen an ihn, den Jrrenden und
den Thoren zurechte zu weisen. Sein höchstes Jn-
teresse ist Wahrheit, Ordnung und Weißheit in al-
lem was zu den menschlichen Angelegenheiten gehö-
ret, und diese fodert bey jeder Gelegenheit seine Ge-
müthskräfte zum Dienst andrer Menschen auf.

Und damit er nirgend unbereitet, oder ununter-
richtet sey, macht er sich ein unabläßiges Studium
[Spaltenumbruch]

Red Reg
daraus, alles, was irgend die Wolfarth der Men-
schen betrift, durch genaues Nachforschen, in seiner
wahren Natur zu kennen, jedes genau abzuwägen,
und sich überhaupt jede Kenntnis, die zu Beurthei-
lung jener Dinge dienet, zu erwerben.

Dieses sind die Gaben und die Bemühungen, die
größtentheils den Redner bilden. Wenn er dieses
hat, so wird ihm das, was zum Ausdruk und Vor-
trag der Rede gehöret, so wichtig es auch an sich ist,
leicht. Wer erst jenes Wichtigere besizt, für den
ist es denn, wie Euripides richtig bemerkt (+), eine
leichte Sache gut zu reden, so bald sich eine wich-
tige Gelegenheit dazu zeiget. Aber wem jene große
Seele fehlet, oder wo sie nicht durch mancherley und
gründliche Kenntnis den Stoff zum Reden besizt,
da ist bloße Wolredenheit eine geringe Hülfe. Denn
nicht der ist ein großer Redner, dem Worte und
Redensarten zu Gebothe stehen; sondern der alle
Sachen mit großen Verstand beurtheilet, und mit
Empfindung behandelt. Aus diesem Grunde spot-
tet Cicero des Antonius mit diesen Worten. "Der
wolberedte Mann! Er merkt nicht, daß der, gegen
den er spricht, von ihm gelobt werde, und daß er
die, vor denen er redet, tadelt." (++) Nur ein un-
beschreiblich kleiner Geist kann sich einbilden, daß
das Studium der Rhetorik, die alle große Gaben
und Kenntnisse des Redners voraussezet, und ihn
blos über die Wahl, Anordnung und den Ausdruk
der Sachen belehret, hinlänglich sey einen Redner
zu bilden.

Regelmäßigkeit.
(Schöne Künste.)

Jst eigentlich eine Eigenschaft der Form, in so fern
man die Beobachtung einer Regel daran erkennt;
der erste oder unterste Grad der Ordnung in einer
Sache, die blos Wolgefallen, aber noch nicht merk-
liches Vergnügen erweket. Man höret nie von re-
gelmäßigen Gedanken, oder Charakteren sprechen,
weil nicht die Materie, sondern die Form der Dinge
regelmäßig ist. Wo Ordnung ist, da ist auch Re-
gelmäßigkeit, aber es scheinet, wie ich schon anders-
wo angemerkt habe, (*) daß man im engesten Sinne,
oder vorzüglich dasjenige regelmäßig nenne, darin

die
(*) Car-
tes. de
Methodo.
(*) Jm
Lehrer der
Redner.
(+) Otan labe tis ton logo[i] aner sophos
Kalas aph[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]rmas, ou m[e]g' ergon eulegein.
Bachae. vs. 266. 267.
(++) Homo disertns, non intelligit eum, contra quem
dicit laudari a se; eos apud quos dicit, vituperari. Philip.
II. c.
8.
(*) S.
Ordnung.
D d d d d d 2

[Spaltenumbruch]

Red
Wichtige und Große richtig zu erkennen; nicht blos
durch ein dunkeles, wiewol ſicheres Gefuͤhl zu em-
pfinden, ſondern mit hinlaͤnglicher Klarheit und
Deutlichkeit ſo zu ſehen, daß es auch weniger Scharf-
ſichtigen einleuchtend kann gemacht werden. Qui
ratione plurimum valent, quique ea quæ cogitant
quam facillimo ordine diſponunt, ut clare et diſtincte
cognoſcantur, aptiſſima ſemper ad perſuadendum di-
cere poſſunt.
(*) So urtheilt ein großer Philoſoph.

Die Staͤrke, Lebhaftigkeit und den Reichthum
der Einbildungskraft hat der Redner mit allen an-
dern Kuͤnſtlern gemein; ſie ſind ihm noͤthig, weil er
ofte ſichtbare Gegenſtaͤnde ſo hell und ſo lebhaft zu
ſchildern hat, daß der Zuhoͤrer ſie mit Angen zu ſe-
hen glaubt, welches ihm nothwendig ſchweerer wird,
als dem Dichter, deſſen Sprache dazu bequaͤmer iſt.
Auch ſind ihm dieſe Gaben noͤthig, weil er gar ofte
abſtrakte und aller Sinnlichkeit beraubte Gedanken,
um ſie ſinnlich und eindringend zu machen, durch
gluͤkliche Tropen, koͤrperlich darzuſtellen hat. Hin-
gegen hat er auch mehr, als irgend ein Kuͤnſtler
Kraͤfte der kaͤltern Vernunft noͤthig, um ſeiner fen-
rigen Phantaſie beſtaͤndig Meiſter zu bleiben; weil
er weit genauer, als der Dichter, in einem gezeich-
neten Geleiſe bleiben, und wie Lucian ſich aus-
drukt (*), ſo genau wie ein Seiltaͤnzer auf dem
Seile, fortſchreiten muß.

Nicht weniger groß als der Verſtand, muß auch
das Herz des großen Redners ſeyn, die eigentliche Mu-
ſe, die ihn begeiſtert. Er zeichnet ſich durch das waͤr-
meſte Gefuͤhl fuͤr die Rechte der Menſchlichkeit, durch
brennenden Eyfer fuͤr das allgemeine Beſte des Staa-
tes, von jedem andern Kuͤnſtler aus. Unrecht, wenn
auch der geringſte Menſch es leidet, iſt ihm uner-
traͤglich, und falſche Maaßregeln, wodurch man in
privat und in oͤffentlichen Geſchaͤften, ſich ſelber ſcha-
det, ſind Auffoderungen an ihn, den Jrrenden und
den Thoren zurechte zu weiſen. Sein hoͤchſtes Jn-
tereſſe iſt Wahrheit, Ordnung und Weißheit in al-
lem was zu den menſchlichen Angelegenheiten gehoͤ-
ret, und dieſe fodert bey jeder Gelegenheit ſeine Ge-
muͤthskraͤfte zum Dienſt andrer Menſchen auf.

Und damit er nirgend unbereitet, oder ununter-
richtet ſey, macht er ſich ein unablaͤßiges Studium
[Spaltenumbruch]

Red Reg
daraus, alles, was irgend die Wolfarth der Men-
ſchen betrift, durch genaues Nachforſchen, in ſeiner
wahren Natur zu kennen, jedes genau abzuwaͤgen,
und ſich uͤberhaupt jede Kenntnis, die zu Beurthei-
lung jener Dinge dienet, zu erwerben.

Dieſes ſind die Gaben und die Bemuͤhungen, die
groͤßtentheils den Redner bilden. Wenn er dieſes
hat, ſo wird ihm das, was zum Ausdruk und Vor-
trag der Rede gehoͤret, ſo wichtig es auch an ſich iſt,
leicht. Wer erſt jenes Wichtigere beſizt, fuͤr den
iſt es denn, wie Euripides richtig bemerkt (†), eine
leichte Sache gut zu reden, ſo bald ſich eine wich-
tige Gelegenheit dazu zeiget. Aber wem jene große
Seele fehlet, oder wo ſie nicht durch mancherley und
gruͤndliche Kenntnis den Stoff zum Reden beſizt,
da iſt bloße Wolredenheit eine geringe Huͤlfe. Denn
nicht der iſt ein großer Redner, dem Worte und
Redensarten zu Gebothe ſtehen; ſondern der alle
Sachen mit großen Verſtand beurtheilet, und mit
Empfindung behandelt. Aus dieſem Grunde ſpot-
tet Cicero des Antonius mit dieſen Worten. „Der
wolberedte Mann! Er merkt nicht, daß der, gegen
den er ſpricht, von ihm gelobt werde, und daß er
die, vor denen er redet, tadelt.“ (††) Nur ein un-
beſchreiblich kleiner Geiſt kann ſich einbilden, daß
das Studium der Rhetorik, die alle große Gaben
und Kenntniſſe des Redners vorausſezet, und ihn
blos uͤber die Wahl, Anordnung und den Ausdruk
der Sachen belehret, hinlaͤnglich ſey einen Redner
zu bilden.

Regelmaͤßigkeit.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Jſt eigentlich eine Eigenſchaft der Form, in ſo fern
man die Beobachtung einer Regel daran erkennt;
der erſte oder unterſte Grad der Ordnung in einer
Sache, die blos Wolgefallen, aber noch nicht merk-
liches Vergnuͤgen erweket. Man hoͤret nie von re-
gelmaͤßigen Gedanken, oder Charakteren ſprechen,
weil nicht die Materie, ſondern die Form der Dinge
regelmaͤßig iſt. Wo Ordnung iſt, da iſt auch Re-
gelmaͤßigkeit, aber es ſcheinet, wie ich ſchon anders-
wo angemerkt habe, (*) daß man im engeſten Sinne,
oder vorzuͤglich dasjenige regelmaͤßig nenne, darin

die
(*) Car-
tes. de
Methodo.
(*) Jm
Lehrer der
Redner.
(†) Ὁταν λαβῃ τις των λογω[ι] ἀνηρ σοφος
Καλας αφ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ρμας, ὀυ μ[ε]γ᾽ ἐργον ἐυλεγειν.
Bachæ. vs. 266. 267.
(††) Homo diſertns, non intelligit eum, contra quem
dicit laudari a ſe; eos apud quos dicit, vituperari. Philip.
II. c.
8.
(*) S.
Ordnung.
D d d d d d 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0394" n="965[947]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Red</hi></fw><lb/>
Wichtige und Große richtig zu erkennen; nicht blos<lb/>
durch ein dunkeles, wiewol &#x017F;icheres Gefu&#x0364;hl zu em-<lb/>
pfinden, &#x017F;ondern mit hinla&#x0364;nglicher Klarheit und<lb/>
Deutlichkeit &#x017F;o zu &#x017F;ehen, daß es auch weniger Scharf-<lb/>
&#x017F;ichtigen einleuchtend kann gemacht werden. <hi rendition="#aq">Qui<lb/>
ratione plurimum valent, quique ea quæ cogitant<lb/>
quam facillimo ordine di&#x017F;ponunt, ut clare et di&#x017F;tincte<lb/>
cogno&#x017F;cantur, apti&#x017F;&#x017F;ima &#x017F;emper ad per&#x017F;uadendum di-<lb/>
cere po&#x017F;&#x017F;unt.</hi> <note place="foot" n="(*)"><hi rendition="#aq">Car-<lb/>
tes. de<lb/>
Methodo.</hi></note> So urtheilt ein großer Philo&#x017F;oph.</p><lb/>
          <p>Die Sta&#x0364;rke, Lebhaftigkeit und den Reichthum<lb/>
der Einbildungskraft hat der Redner mit allen an-<lb/>
dern Ku&#x0364;n&#x017F;tlern gemein; &#x017F;ie &#x017F;ind ihm no&#x0364;thig, weil er<lb/>
ofte &#x017F;ichtbare Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;o hell und &#x017F;o lebhaft zu<lb/>
&#x017F;childern hat, daß der Zuho&#x0364;rer &#x017F;ie mit Angen zu &#x017F;e-<lb/>
hen glaubt, welches ihm nothwendig &#x017F;chweerer wird,<lb/>
als dem Dichter, de&#x017F;&#x017F;en Sprache dazu bequa&#x0364;mer i&#x017F;t.<lb/>
Auch &#x017F;ind ihm die&#x017F;e Gaben no&#x0364;thig, weil er gar ofte<lb/>
ab&#x017F;trakte und aller Sinnlichkeit beraubte Gedanken,<lb/>
um &#x017F;ie &#x017F;innlich und eindringend zu machen, durch<lb/>
glu&#x0364;kliche Tropen, ko&#x0364;rperlich darzu&#x017F;tellen hat. Hin-<lb/>
gegen hat er auch mehr, als irgend ein Ku&#x0364;n&#x017F;tler<lb/>
Kra&#x0364;fte der ka&#x0364;ltern Vernunft no&#x0364;thig, um &#x017F;einer fen-<lb/>
rigen Phanta&#x017F;ie be&#x017F;ta&#x0364;ndig Mei&#x017F;ter zu bleiben; weil<lb/>
er weit genauer, als der Dichter, in einem gezeich-<lb/>
neten Gelei&#x017F;e bleiben, und wie Lucian &#x017F;ich aus-<lb/>
drukt <note place="foot" n="(*)">Jm<lb/>
Lehrer der<lb/>
Redner.</note>, &#x017F;o genau wie ein Seilta&#x0364;nzer auf dem<lb/>
Seile, fort&#x017F;chreiten muß.</p><lb/>
          <p>Nicht weniger groß als der Ver&#x017F;tand, muß auch<lb/>
das Herz des großen Redners &#x017F;eyn, die eigentliche Mu-<lb/>
&#x017F;e, die ihn begei&#x017F;tert. Er zeichnet &#x017F;ich durch das wa&#x0364;r-<lb/>
me&#x017F;te Gefu&#x0364;hl fu&#x0364;r die Rechte der Men&#x017F;chlichkeit, durch<lb/>
brennenden Eyfer fu&#x0364;r das allgemeine Be&#x017F;te des Staa-<lb/>
tes, von jedem andern Ku&#x0364;n&#x017F;tler aus. Unrecht, wenn<lb/>
auch der gering&#x017F;te Men&#x017F;ch es leidet, i&#x017F;t ihm uner-<lb/>
tra&#x0364;glich, und fal&#x017F;che Maaßregeln, wodurch man in<lb/>
privat und in o&#x0364;ffentlichen Ge&#x017F;cha&#x0364;ften, &#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;cha-<lb/>
det, &#x017F;ind Auffoderungen an ihn, den Jrrenden und<lb/>
den Thoren zurechte zu wei&#x017F;en. Sein ho&#x0364;ch&#x017F;tes Jn-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t Wahrheit, Ordnung und Weißheit in al-<lb/>
lem was zu den men&#x017F;chlichen Angelegenheiten geho&#x0364;-<lb/>
ret, und die&#x017F;e fodert bey jeder Gelegenheit &#x017F;eine Ge-<lb/>
mu&#x0364;thskra&#x0364;fte zum Dien&#x017F;t andrer Men&#x017F;chen auf.</p><lb/>
          <p>Und damit er nirgend unbereitet, oder ununter-<lb/>
richtet &#x017F;ey, macht er &#x017F;ich ein unabla&#x0364;ßiges Studium<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Red Reg</hi></fw><lb/>
daraus, alles, was irgend die Wolfarth der Men-<lb/>
&#x017F;chen betrift, durch genaues Nachfor&#x017F;chen, in &#x017F;einer<lb/>
wahren Natur zu kennen, jedes genau abzuwa&#x0364;gen,<lb/>
und &#x017F;ich u&#x0364;berhaupt jede Kenntnis, die zu Beurthei-<lb/>
lung jener Dinge dienet, zu erwerben.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es &#x017F;ind die Gaben und die Bemu&#x0364;hungen, die<lb/>
gro&#x0364;ßtentheils den Redner bilden. Wenn er die&#x017F;es<lb/>
hat, &#x017F;o wird ihm das, was zum Ausdruk und Vor-<lb/>
trag der Rede geho&#x0364;ret, &#x017F;o wichtig es auch an &#x017F;ich i&#x017F;t,<lb/>
leicht. Wer er&#x017F;t jenes Wichtigere be&#x017F;izt, fu&#x0364;r den<lb/>
i&#x017F;t es denn, wie Euripides richtig bemerkt <note place="foot" n="(&#x2020;)">&#x1F49;&#x03C4;&#x03B1;&#x03BD; &#x03BB;&#x03B1;&#x03B2;&#x1FC3; &#x03C4;&#x03B9;&#x03C2; &#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03BB;&#x03BF;&#x03B3;&#x03C9;<supplied>&#x03B9;</supplied> &#x1F00;&#x03BD;&#x03B7;&#x03C1; &#x03C3;&#x03BF;&#x03C6;&#x03BF;&#x03C2;<lb/>
&#x039A;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C2; &#x03B1;&#x03C6;<gap reason="illegible" unit="chars" quantity="1"/>&#x03C1;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C2;, &#x1F40;&#x03C5; &#x03BC;<supplied>&#x03B5;</supplied>&#x03B3;&#x1FBD; &#x1F10;&#x03C1;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD; &#x1F10;&#x03C5;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;.<lb/><hi rendition="#aq">Bachæ. vs.</hi> 266. 267.</note>, eine<lb/>
leichte Sache gut zu reden, &#x017F;o bald &#x017F;ich eine wich-<lb/>
tige Gelegenheit dazu zeiget. Aber wem jene große<lb/>
Seele fehlet, oder wo &#x017F;ie nicht durch mancherley und<lb/>
gru&#x0364;ndliche Kenntnis den Stoff zum Reden be&#x017F;izt,<lb/>
da i&#x017F;t bloße Wolredenheit eine geringe Hu&#x0364;lfe. Denn<lb/>
nicht der i&#x017F;t ein großer Redner, dem Worte und<lb/>
Redensarten zu Gebothe &#x017F;tehen; &#x017F;ondern der alle<lb/>
Sachen mit großen Ver&#x017F;tand beurtheilet, und mit<lb/>
Empfindung behandelt. Aus die&#x017F;em Grunde &#x017F;pot-<lb/>
tet Cicero des Antonius mit die&#x017F;en Worten. &#x201E;Der<lb/>
wolberedte Mann! Er merkt nicht, daß der, gegen<lb/>
den er &#x017F;pricht, von ihm gelobt werde, und daß er<lb/>
die, vor denen er redet, tadelt.&#x201C; <note place="foot" n="(&#x2020;&#x2020;)"><hi rendition="#aq">Homo di&#x017F;ertns, non intelligit eum, contra quem<lb/>
dicit laudari a &#x017F;e; eos apud quos dicit, vituperari. Philip.<lb/>
II. c.</hi> 8.</note> Nur ein un-<lb/>
be&#x017F;chreiblich kleiner Gei&#x017F;t kann &#x017F;ich einbilden, daß<lb/>
das Studium der Rhetorik, die alle große Gaben<lb/>
und Kenntni&#x017F;&#x017F;e des Redners voraus&#x017F;ezet, und ihn<lb/>
blos u&#x0364;ber die Wahl, Anordnung und den Ausdruk<lb/>
der Sachen belehret, hinla&#x0364;nglich &#x017F;ey einen Redner<lb/>
zu bilden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Regelma&#x0364;ßigkeit.</hi></hi><lb/>
(Scho&#x0364;ne Ku&#x0364;n&#x017F;te.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>&#x017F;t eigentlich eine Eigen&#x017F;chaft der Form, in &#x017F;o fern<lb/>
man die Beobachtung einer Regel daran erkennt;<lb/>
der er&#x017F;te oder unter&#x017F;te Grad der Ordnung in einer<lb/>
Sache, die blos Wolgefallen, aber noch nicht merk-<lb/>
liches Vergnu&#x0364;gen erweket. Man ho&#x0364;ret nie von re-<lb/>
gelma&#x0364;ßigen Gedanken, oder Charakteren &#x017F;prechen,<lb/>
weil nicht die Materie, &#x017F;ondern die Form der Dinge<lb/>
regelma&#x0364;ßig i&#x017F;t. Wo Ordnung i&#x017F;t, da i&#x017F;t auch Re-<lb/>
gelma&#x0364;ßigkeit, aber es &#x017F;cheinet, wie ich &#x017F;chon anders-<lb/>
wo angemerkt habe, <note place="foot" n="(*)">S.<lb/>
Ordnung.</note> daß man im enge&#x017F;ten Sinne,<lb/>
oder vorzu&#x0364;glich dasjenige regelma&#x0364;ßig nenne, darin<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d d d d d 2</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[965[947]/0394] Red Red Reg Wichtige und Große richtig zu erkennen; nicht blos durch ein dunkeles, wiewol ſicheres Gefuͤhl zu em- pfinden, ſondern mit hinlaͤnglicher Klarheit und Deutlichkeit ſo zu ſehen, daß es auch weniger Scharf- ſichtigen einleuchtend kann gemacht werden. Qui ratione plurimum valent, quique ea quæ cogitant quam facillimo ordine diſponunt, ut clare et diſtincte cognoſcantur, aptiſſima ſemper ad perſuadendum di- cere poſſunt. (*) So urtheilt ein großer Philoſoph. Die Staͤrke, Lebhaftigkeit und den Reichthum der Einbildungskraft hat der Redner mit allen an- dern Kuͤnſtlern gemein; ſie ſind ihm noͤthig, weil er ofte ſichtbare Gegenſtaͤnde ſo hell und ſo lebhaft zu ſchildern hat, daß der Zuhoͤrer ſie mit Angen zu ſe- hen glaubt, welches ihm nothwendig ſchweerer wird, als dem Dichter, deſſen Sprache dazu bequaͤmer iſt. Auch ſind ihm dieſe Gaben noͤthig, weil er gar ofte abſtrakte und aller Sinnlichkeit beraubte Gedanken, um ſie ſinnlich und eindringend zu machen, durch gluͤkliche Tropen, koͤrperlich darzuſtellen hat. Hin- gegen hat er auch mehr, als irgend ein Kuͤnſtler Kraͤfte der kaͤltern Vernunft noͤthig, um ſeiner fen- rigen Phantaſie beſtaͤndig Meiſter zu bleiben; weil er weit genauer, als der Dichter, in einem gezeich- neten Geleiſe bleiben, und wie Lucian ſich aus- drukt (*), ſo genau wie ein Seiltaͤnzer auf dem Seile, fortſchreiten muß. Nicht weniger groß als der Verſtand, muß auch das Herz des großen Redners ſeyn, die eigentliche Mu- ſe, die ihn begeiſtert. Er zeichnet ſich durch das waͤr- meſte Gefuͤhl fuͤr die Rechte der Menſchlichkeit, durch brennenden Eyfer fuͤr das allgemeine Beſte des Staa- tes, von jedem andern Kuͤnſtler aus. Unrecht, wenn auch der geringſte Menſch es leidet, iſt ihm uner- traͤglich, und falſche Maaßregeln, wodurch man in privat und in oͤffentlichen Geſchaͤften, ſich ſelber ſcha- det, ſind Auffoderungen an ihn, den Jrrenden und den Thoren zurechte zu weiſen. Sein hoͤchſtes Jn- tereſſe iſt Wahrheit, Ordnung und Weißheit in al- lem was zu den menſchlichen Angelegenheiten gehoͤ- ret, und dieſe fodert bey jeder Gelegenheit ſeine Ge- muͤthskraͤfte zum Dienſt andrer Menſchen auf. Und damit er nirgend unbereitet, oder ununter- richtet ſey, macht er ſich ein unablaͤßiges Studium daraus, alles, was irgend die Wolfarth der Men- ſchen betrift, durch genaues Nachforſchen, in ſeiner wahren Natur zu kennen, jedes genau abzuwaͤgen, und ſich uͤberhaupt jede Kenntnis, die zu Beurthei- lung jener Dinge dienet, zu erwerben. Dieſes ſind die Gaben und die Bemuͤhungen, die groͤßtentheils den Redner bilden. Wenn er dieſes hat, ſo wird ihm das, was zum Ausdruk und Vor- trag der Rede gehoͤret, ſo wichtig es auch an ſich iſt, leicht. Wer erſt jenes Wichtigere beſizt, fuͤr den iſt es denn, wie Euripides richtig bemerkt (†), eine leichte Sache gut zu reden, ſo bald ſich eine wich- tige Gelegenheit dazu zeiget. Aber wem jene große Seele fehlet, oder wo ſie nicht durch mancherley und gruͤndliche Kenntnis den Stoff zum Reden beſizt, da iſt bloße Wolredenheit eine geringe Huͤlfe. Denn nicht der iſt ein großer Redner, dem Worte und Redensarten zu Gebothe ſtehen; ſondern der alle Sachen mit großen Verſtand beurtheilet, und mit Empfindung behandelt. Aus dieſem Grunde ſpot- tet Cicero des Antonius mit dieſen Worten. „Der wolberedte Mann! Er merkt nicht, daß der, gegen den er ſpricht, von ihm gelobt werde, und daß er die, vor denen er redet, tadelt.“ (††) Nur ein un- beſchreiblich kleiner Geiſt kann ſich einbilden, daß das Studium der Rhetorik, die alle große Gaben und Kenntniſſe des Redners vorausſezet, und ihn blos uͤber die Wahl, Anordnung und den Ausdruk der Sachen belehret, hinlaͤnglich ſey einen Redner zu bilden. Regelmaͤßigkeit. (Schoͤne Kuͤnſte.) Jſt eigentlich eine Eigenſchaft der Form, in ſo fern man die Beobachtung einer Regel daran erkennt; der erſte oder unterſte Grad der Ordnung in einer Sache, die blos Wolgefallen, aber noch nicht merk- liches Vergnuͤgen erweket. Man hoͤret nie von re- gelmaͤßigen Gedanken, oder Charakteren ſprechen, weil nicht die Materie, ſondern die Form der Dinge regelmaͤßig iſt. Wo Ordnung iſt, da iſt auch Re- gelmaͤßigkeit, aber es ſcheinet, wie ich ſchon anders- wo angemerkt habe, (*) daß man im engeſten Sinne, oder vorzuͤglich dasjenige regelmaͤßig nenne, darin die (*) Car- tes. de Methodo. (*) Jm Lehrer der Redner. (†) Ὁταν λαβῃ τις των λογωι ἀνηρ σοφος Καλας αφ_ρμας, ὀυ μεγ᾽ ἐργον ἐυλεγειν. Bachæ. vs. 266. 267. (††) Homo diſertns, non intelligit eum, contra quem dicit laudari a ſe; eos apud quos dicit, vituperari. Philip. II. c. 8. (*) S. Ordnung. D d d d d d 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/394
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 965[947]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/394>, abgerufen am 30.12.2024.