Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.[Spaltenumbruch] Kle Kna beygelegt, daß es scheinet sie halten es für die vor-nehmste Gattung, wenigstens in der Dichtkunst. Sie haben sich nicht gescheuhet, einige von unsern Dichtern, die in dem Kleinen hier und da glüklich gewesen sind, unter die größten und verdienstlichsten Männer Deutschlands zu zählen. Das heißt eben so viel, als einem guten Vergulder, oder sogenann- ten Staffirer, zum großen Baumeister machen. Es zeiget einen großen Mangel des Verstandes an, wenn man Dinge schätzen will, ohne das Maaß oder Gewicht, wonach sie geschätzt werden sollen, zu kennen. Wir lassen gerne dem Kleinen seinen Werth, und erkennen, daß seltene Talente dazu ge- hören, darin vorzüglich glüklich zu seyn. Wir sind den Künstlern im Kleinen für die Anmuthigkeit des Sonnenscheines, den sie bisweilen über unsre Ge- müther verbreiten, nicht wenig verbunden; denn auch die Tugend könnte die Seele verfinstern. Aber wir können sie darum nicht für die großen Männer halten, denen wir eine männliche Art zu denken, oder die Standhaftigkeit und Rechtschaffenheit unsrer Gesinnungen zu danken haben. Diese verehren wir, als unsre Lehrer und Väter, jene lieben wir als unsre jüngere Brüder, die uns bey müßigen Stunden manches Vergnügen machen. Jn der Bearbeitung erfodert das Kleine großen Knauff. (+) Capiteel. (Baukunst.) Der oberste Theil einer Säule, oder eines Pfeilers, Kna meisten Bäume etwas knotig und diker, als amübrigen Stamm, und darum hatten auch die ersten ungekünstelten Säulen ihren Knauff. Die corin- thische Säule, deren Knauff mit Blättern ausge- ziehrt ist, hat ihren Ursprung vermuthlich im Orient gehabt, wo man Palmbäume zu Säulen gebraucht hat. Denn an diesen Bäumen wachsen am ober- sten Ende des Stammes große Blätter. Aber auch ohne diese natürliche Veranlassung der Säule ei- nen Knauff zu geben, würde das Gefühl, sie zu etwas Ganzem zu machen, ihr einen Kopf gege- ben haben. (*) Darum findet man in den ältesten Aegyptischen Nachdem man angefangen hatte Geschmak in die unter (+) [Spaltenumbruch]
Der Ursprung dieser Benennung ist mir unbekannt. Vielleicht kömmt sie von dem niedersächsischen Worte Knub, Knubbe, welches ein etwas ausgewachsenes [Spaltenumbruch] Stük Holz bedeutet. Der Knauff stellt allerdings eine an der Höhe eines Baumstammes ausgewachsene knotige Verdikung desselben vor. (*) S. Gebälk. (*) S.
Ganz. [Spaltenumbruch] Kle Kna beygelegt, daß es ſcheinet ſie halten es fuͤr die vor-nehmſte Gattung, wenigſtens in der Dichtkunſt. Sie haben ſich nicht geſcheuhet, einige von unſern Dichtern, die in dem Kleinen hier und da gluͤklich geweſen ſind, unter die groͤßten und verdienſtlichſten Maͤnner Deutſchlands zu zaͤhlen. Das heißt eben ſo viel, als einem guten Vergulder, oder ſogenann- ten Staffirer, zum großen Baumeiſter machen. Es zeiget einen großen Mangel des Verſtandes an, wenn man Dinge ſchaͤtzen will, ohne das Maaß oder Gewicht, wonach ſie geſchaͤtzt werden ſollen, zu kennen. Wir laſſen gerne dem Kleinen ſeinen Werth, und erkennen, daß ſeltene Talente dazu ge- hoͤren, darin vorzuͤglich gluͤklich zu ſeyn. Wir ſind den Kuͤnſtlern im Kleinen fuͤr die Anmuthigkeit des Sonnenſcheines, den ſie bisweilen uͤber unſre Ge- muͤther verbreiten, nicht wenig verbunden; denn auch die Tugend koͤnnte die Seele verfinſtern. Aber wir koͤnnen ſie darum nicht fuͤr die großen Maͤnner halten, denen wir eine maͤnnliche Art zu denken, oder die Standhaftigkeit und Rechtſchaffenheit unſrer Geſinnungen zu danken haben. Dieſe verehren wir, als unſre Lehrer und Vaͤter, jene lieben wir als unſre juͤngere Bruͤder, die uns bey muͤßigen Stunden manches Vergnuͤgen machen. Jn der Bearbeitung erfodert das Kleine großen Knauff. (†) Capiteel. (Baukunſt.) Der oberſte Theil einer Saͤule, oder eines Pfeilers, Kna meiſten Baͤume etwas knotig und diker, als amuͤbrigen Stamm, und darum hatten auch die erſten ungekuͤnſtelten Saͤulen ihren Knauff. Die corin- thiſche Saͤule, deren Knauff mit Blaͤttern ausge- ziehrt iſt, hat ihren Urſprung vermuthlich im Orient gehabt, wo man Palmbaͤume zu Saͤulen gebraucht hat. Denn an dieſen Baͤumen wachſen am ober- ſten Ende des Stammes große Blaͤtter. Aber auch ohne dieſe natuͤrliche Veranlaſſung der Saͤule ei- nen Knauff zu geben, wuͤrde das Gefuͤhl, ſie zu etwas Ganzem zu machen, ihr einen Kopf gege- ben haben. (*) Darum findet man in den aͤlteſten Aegyptiſchen Nachdem man angefangen hatte Geſchmak in die unter (†) [Spaltenumbruch]
Der Urſprung dieſer Benennung iſt mir unbekannt. Vielleicht koͤmmt ſie von dem niederſaͤchſiſchen Worte Knub, Knubbe, welches ein etwas ausgewachſenes [Spaltenumbruch] Stuͤk Holz bedeutet. Der Knauff ſtellt allerdings eine an der Hoͤhe eines Baumſtammes ausgewachſene knotige Verdikung deſſelben vor. (*) S. Gebaͤlk. (*) S.
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Kle Kna
Kna
beygelegt, daß es ſcheinet ſie halten es fuͤr die vor-
nehmſte Gattung, wenigſtens in der Dichtkunſt.
Sie haben ſich nicht geſcheuhet, einige von unſern
Dichtern, die in dem Kleinen hier und da gluͤklich
geweſen ſind, unter die groͤßten und verdienſtlichſten
Maͤnner Deutſchlands zu zaͤhlen. Das heißt eben
ſo viel, als einem guten Vergulder, oder ſogenann-
ten Staffirer, zum großen Baumeiſter machen.
Es zeiget einen großen Mangel des Verſtandes an,
wenn man Dinge ſchaͤtzen will, ohne das Maaß
oder Gewicht, wonach ſie geſchaͤtzt werden ſollen,
zu kennen. Wir laſſen gerne dem Kleinen ſeinen
Werth, und erkennen, daß ſeltene Talente dazu ge-
hoͤren, darin vorzuͤglich gluͤklich zu ſeyn. Wir ſind
den Kuͤnſtlern im Kleinen fuͤr die Anmuthigkeit des
Sonnenſcheines, den ſie bisweilen uͤber unſre Ge-
muͤther verbreiten, nicht wenig verbunden; denn
auch die Tugend koͤnnte die Seele verfinſtern. Aber
wir koͤnnen ſie darum nicht fuͤr die großen Maͤnner
halten, denen wir eine maͤnnliche Art zu denken,
oder die Standhaftigkeit und Rechtſchaffenheit unſrer
Geſinnungen zu danken haben. Dieſe verehren
wir, als unſre Lehrer und Vaͤter, jene lieben wir
als unſre juͤngere Bruͤder, die uns bey muͤßigen
Stunden manches Vergnuͤgen machen.
Jn der Bearbeitung erfodert das Kleine großen
Fleis und den feineſten Geſchmak, weil der geringſte
Fehler darin ſichtbar wird, den man beym Großen
uͤberſieht. Die Kuͤnſtler koͤnnen uͤberhaupt den aus-
nehmenden Fleis der hollaͤndiſchen Mahler fuͤr das
Kleine zum Muſter nehmen.
Knauff. (†) Capiteel.
(Baukunſt.)
Der oberſte Theil einer Saͤule, oder eines Pfeilers,
der den Kopf, oder das oberſte Ende derſelben vor-
ſtellt. Wie alle weſentlichen Theile eines zierli-
chen Gebaͤudes in der Natur der Sachen ihren Ur-
ſprung haben, wovon wir anderswo Beyſpiele ge-
geben haben (*), ſo hat es auch der Knauff. Ver-
muthlich hat man, noch ehe die ſchoͤne Baukunſt ent-
ſtanden iſt, ſtatt der Saͤulen Baͤume genommen,
die man zu oberſt am Stamme, wo die Aeſte an-
fangen, abgeſchnitten. An dieſer Stelle ſind die
meiſten Baͤume etwas knotig und diker, als am
uͤbrigen Stamm, und darum hatten auch die erſten
ungekuͤnſtelten Saͤulen ihren Knauff. Die corin-
thiſche Saͤule, deren Knauff mit Blaͤttern ausge-
ziehrt iſt, hat ihren Urſprung vermuthlich im Orient
gehabt, wo man Palmbaͤume zu Saͤulen gebraucht
hat. Denn an dieſen Baͤumen wachſen am ober-
ſten Ende des Stammes große Blaͤtter. Aber auch
ohne dieſe natuͤrliche Veranlaſſung der Saͤule ei-
nen Knauff zu geben, wuͤrde das Gefuͤhl, ſie zu
etwas Ganzem zu machen, ihr einen Kopf gege-
ben haben. (*)
Darum findet man in den aͤlteſten Aegyptiſchen
Ueberbleibſeln der noch ſehr rohen Baukunſt, in den
erſten roheſten Verſuchen der nordiſchen Voͤlker, und
in den Gebaͤuden der Chineſer, denen die griechiſche
Baukunſt voͤllig unbekannt geblieben iſt, uͤberall den
Knauff an den Saͤulen. Auch der oberſte Theil
des Knauffs, der Dekel, oder die Platte hat natuͤr-
licher Weiſe den Urſprung, daß man, um den
Knauff vor der Naͤſſe zu verwahren und dem Unter-
balken eine feſtere Lage zu geben, ein vierekiges
Brett oben darauf wird gelegt haben.
Nachdem man angefangen hatte Geſchmak in die
Baukunſt einzufuͤhren, iſt der blos knotige oder be-
blaͤttete natuͤrliche Knauff, verziehrt und durch den
Meiſſel regelmaͤßiger gemacht worden. Daher
entſtunden verſchiedene Formen und Groͤßen deſſel-
ben, und die Griechen, die alles, was zur Schoͤn-
heit gehoͤrt, verfeinerten, ſetzten einige Formen und
Verhaͤltniſſe derſelben feſt, und eigneten jeder Art
der Saͤule, oder der ſogenannten Saͤulenordnungen,
ihren eigenen Knauff zu. Sie hatten den corin-
thiſchen, joniſchen und doriſchen Knauff; dieſen
wurden hernach der toſcaniſche und der roͤmiſche,
oder zuſammengeſetzte (denn er iſt aus Vereinigung
des corinthiſchen und roͤmiſchen entſtanden) beyge-
fuͤget. Alſo ſind in der heutigen Baukunſt fuͤnf
Arten der Saͤulen aufgenommen, deren jede ihren
eigenthuͤmlichen Knauff hat, deſſen Form, Groͤße
und Verhaͤltnis der Theile in ſo ferne feſtgeſetzt ſind,
daß man ſie auch bey den verſchiedenen Veraͤnderun-
gen, die bald jeder Baumeiſter fuͤr ſich daran macht,
erkennen kann. Jeder iſt in dem beſondern Artikel
unter
(†)
Der Urſprung dieſer Benennung iſt mir unbekannt.
Vielleicht koͤmmt ſie von dem niederſaͤchſiſchen Worte
Knub, Knubbe, welches ein etwas ausgewachſenes
Stuͤk Holz bedeutet. Der Knauff ſtellt allerdings eine
an der Hoͤhe eines Baumſtammes ausgewachſene knotige
Verdikung deſſelben vor.
(*) S.
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Ganz.
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