tritt aus der Gesellschaft Jesu natürlich war, für diese in die Dunkelheit zurücktrat, in welcher die historische Kun- de von seinem weiteren Schicksal erlosch: so konnte die christliche Sage ungehindert alles das an ihm in Erfüllung gehen lassen, was die Weissagungen und Vorbilder des A. T. dem falschen Freunde des Davidssohnes drohten, und konnte selbst an eine bekannte unheilige Stätte in der Nähe Jerusalems das Andenken seines Verbrechens knüpfen.
§. 127. Jesus vor Pilatus und Herodes.
Nach sämmtlichen Evangelisten war es Morgens, als die jüdischen Obern Jesum, nachdem sie ihn des Todes schuldig erkannt hatten 1), (fesseln -- nach Joh. 18, 12. war er schon im Garten bei der Gefangennehmung gefesselt wor- den; Lukas erwähnt des Bindens gar nicht und) zu dem römischen Procurator Pontius Pilatus führen liessen (Matth. 27, 1 ff. parall. Joh. 18, 28.). Hiezu nöthigte sie nach Joh. 18, 31. der Umstand, dass dem Synedrium die Befug- niss, Todesstrafen (ohne römische Genehmigung) zu voll- ziehen, abgenommen war 2): jedenfalls indess musste diess-
1) Nach Babyl. Sanhedrin, bei Lightfoot, p. 486, wo es heisst: judicia de capitalibus finiunt eodem die, si sint ad absolu- tionem; si vero sint ad damnationem, finiuntur die soquen- te -- wäre diess Verfahren ungesezlich gewesen.
2) Ausser dem johanneischen: emin ouk exesin apokteinai oudena, spricht für diesen Stand der Dinge nur noch eine dunkle und schwankend ausgelegte Tradition, Avoda Zara f. 8, 2 (Lightfoot, p. 1123 f.): Rabh Cahna dicit, cum aegrotaret R. Ismael bar Jose, miserunt ad eum, dicentes: dic nobis, o Domine, duo aut tria, quae aliquando dixisti nobis nomine patris tui. Dicit iis -- -- quadraginta annis ante excidium templi migravit Synedrium et sedit in tabernis. Quid sibi vult haec traditio? Rabh Isaac, bar Abdimi dicit: non ju- dicarunt judicia mulctativa. Dicit R. Nachman bar Isaac:
Drittes Kapitel. §. 127.
tritt aus der Gesellschaft Jesu natürlich war, für diese in die Dunkelheit zurücktrat, in welcher die historische Kun- de von seinem weiteren Schicksal erlosch: so konnte die christliche Sage ungehindert alles das an ihm in Erfüllung gehen lassen, was die Weissagungen und Vorbilder des A. T. dem falschen Freunde des Davidssohnes drohten, und konnte selbst an eine bekannte unheilige Stätte in der Nähe Jerusalems das Andenken seines Verbrechens knüpfen.
§. 127. Jesus vor Pilatus und Herodes.
Nach sämmtlichen Evangelisten war es Morgens, als die jüdischen Obern Jesum, nachdem sie ihn des Todes schuldig erkannt hatten 1), (fesseln — nach Joh. 18, 12. war er schon im Garten bei der Gefangennehmung gefesselt wor- den; Lukas erwähnt des Bindens gar nicht und) zu dem römischen Procurator Pontius Pilatus führen lieſsen (Matth. 27, 1 ff. parall. Joh. 18, 28.). Hiezu nöthigte sie nach Joh. 18, 31. der Umstand, daſs dem Synedrium die Befug- niſs, Todesstrafen (ohne römische Genehmigung) zu voll- ziehen, abgenommen war 2): jedenfalls indeſs muſste dieſs-
1) Nach Babyl. Sanhedrin, bei Lightfoot, p. 486, wo es heisst: judicia de capitalibus finiunt eodem die, si sint ad absolu- tionem; si vero sint ad damnationem, finiuntur die soquen- te — wäre diess Verfahren ungesezlich gewesen.
2) Ausser dem johanneischen: ἡμῖν ουκ ἔξεςιν ἀποκτεῖναι ουδένα, spricht für diesen Stand der Dinge nur noch eine dunkle und schwankend ausgelegte Tradition, Avoda Zara f. 8, 2 (Lightfoot, p. 1123 f.): Rabh Cahna dicit, cum aegrotaret R. Ismaël bar Jose, miserunt ad eum, dicentes: dic nobis, o Domine, duo aut tria, quae aliquando dixisti nobis nomine patris tui. Dicit iis — — quadraginta annis ante excidium templi migravit Synedrium et sedit in tabernis. Quid sibi vult haec traditio? Rabh Isaac, bar Abdimi dicit: non ju- dicârunt judicia mulctativa. Dicit R. Nachman bar Isaac:
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Drittes Kapitel. §. 127.
tritt aus der Gesellschaft Jesu natürlich war, für diese in
die Dunkelheit zurücktrat, in welcher die historische Kun-
de von seinem weiteren Schicksal erlosch: so konnte die
christliche Sage ungehindert alles das an ihm in Erfüllung
gehen lassen, was die Weissagungen und Vorbilder des
A. T. dem falschen Freunde des Davidssohnes drohten, und
konnte selbst an eine bekannte unheilige Stätte in der Nähe
Jerusalems das Andenken seines Verbrechens knüpfen.
§. 127.
Jesus vor Pilatus und Herodes.
Nach sämmtlichen Evangelisten war es Morgens, als
die jüdischen Obern Jesum, nachdem sie ihn des Todes
schuldig erkannt hatten 1), (fesseln — nach Joh. 18, 12. war
er schon im Garten bei der Gefangennehmung gefesselt wor-
den; Lukas erwähnt des Bindens gar nicht und) zu dem
römischen Procurator Pontius Pilatus führen lieſsen (Matth.
27, 1 ff. parall. Joh. 18, 28.). Hiezu nöthigte sie nach
Joh. 18, 31. der Umstand, daſs dem Synedrium die Befug-
niſs, Todesstrafen (ohne römische Genehmigung) zu voll-
ziehen, abgenommen war 2): jedenfalls indeſs muſste dieſs-
1) Nach Babyl. Sanhedrin, bei Lightfoot, p. 486, wo es heisst:
judicia de capitalibus finiunt eodem die, si sint ad absolu-
tionem; si vero sint ad damnationem, finiuntur die soquen-
te — wäre diess Verfahren ungesezlich gewesen.
2) Ausser dem johanneischen: ἡμῖν ουκ ἔξεςιν ἀποκτεῖναι ουδένα,
spricht für diesen Stand der Dinge nur noch eine dunkle
und schwankend ausgelegte Tradition, Avoda Zara f. 8, 2
(Lightfoot, p. 1123 f.): Rabh Cahna dicit, cum aegrotaret R.
Ismaël bar Jose, miserunt ad eum, dicentes: dic nobis, o
Domine, duo aut tria, quae aliquando dixisti nobis nomine
patris tui. Dicit iis — — quadraginta annis ante excidium
templi migravit Synedrium et sedit in tabernis. Quid sibi
vult haec traditio? Rabh Isaac, bar Abdimi dicit: non ju-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/530>, abgerufen am 22.07.2024.
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