als der frühere, der johanneische als der spätere erschiene. Diess wäre gut, wenn nur nicht Johannes seinen Einzug so früh, die Synoptiker dagegen ihr Bethanisches Mahl so spät setzen würden, dass jener unmöglich nach diesem erst erfolgt sein kann. Nach Johannes nämlich kommt Je- sus 6 Tage vor dem Pascha nach Bethanien, und zieht am folgenden Tag in Jerusalem ein (12, 1. 12.): das Bethani- sche Mahl der Synoptiker dagegen (Matth. 26, 6 ff. parall.) kann höchstens 2 Tage vor dem Pascha gehalten worden sein (V. 2.), so dass, wenn der synoptische Einzug vor dem johanneischen Mahl und Einzug stattgefunden haben soll, dann nach allem Diesem den Synoptikern zufolge noch eine zweite Bethanische Mahlzeit angenommen wer- den müsste. Allein zwischen den hiebei vorauszusetzen- den zwei Mahlzeiten fände nun ebenso, wie zwischen den beiden Einzügen, bis in's Einzelste hinein die auffallendste Ähnlichkeit statt, und das Sichverflechten von zwei der- gleichen Doppelbegebenheiten ist so verdächtig, dass man hier schwerlich die Auskunft wird anwenden mögen, es seien zwei Einzüge und Mahlzeiten, die einander ursprüng- lich weit unähnlicher gesehen haben, in der Tradition durch Übertragung von Zügen aus der einen Begebenheit in die andere sich so ähnlich geworden, wie wir sie jezt ha- ben: sondern hier, wenn irgendwo, ist es leichter, sofern einmal die Urkundlichkeit der Berichte aufgegeben wird, sich vorzustellen, dass in der Überlieferung Eine Bege- benheit variirt, als dass durch dieselbe zwei Begebenhei- ten assimilirt worden seien 6).
§. 106. Näherer Hergang bei dem Einzug. Zweck und historische Realität desselben.
Während das vierte Evangelium zuerst die Jesu ent- gegenströmende Menge ihm ihre Huldigung darbringen,
6) Vgl. Bd. 1, §. 85.
Zehntes Kapitel. §. 106.
als der frühere, der johanneische als der spätere erschiene. Dieſs wäre gut, wenn nur nicht Johannes seinen Einzug so früh, die Synoptiker dagegen ihr Bethanisches Mahl so spät setzen würden, daſs jener unmöglich nach diesem erst erfolgt sein kann. Nach Johannes nämlich kommt Je- sus 6 Tage vor dem Pascha nach Bethanien, und zieht am folgenden Tag in Jerusalem ein (12, 1. 12.): das Bethani- sche Mahl der Synoptiker dagegen (Matth. 26, 6 ff. parall.) kann höchstens 2 Tage vor dem Pascha gehalten worden sein (V. 2.), so daſs, wenn der synoptische Einzug vor dem johanneischen Mahl und Einzug stattgefunden haben soll, dann nach allem Diesem den Synoptikern zufolge noch eine zweite Bethanische Mahlzeit angenommen wer- den müſste. Allein zwischen den hiebei vorauszusetzen- den zwei Mahlzeiten fände nun ebenso, wie zwischen den beiden Einzügen, bis in's Einzelste hinein die auffallendste Ähnlichkeit statt, und das Sichverflechten von zwei der- gleichen Doppelbegebenheiten ist so verdächtig, daſs man hier schwerlich die Auskunft wird anwenden mögen, es seien zwei Einzüge und Mahlzeiten, die einander ursprüng- lich weit unähnlicher gesehen haben, in der Tradition durch Übertragung von Zügen aus der einen Begebenheit in die andere sich so ähnlich geworden, wie wir sie jezt ha- ben: sondern hier, wenn irgendwo, ist es leichter, sofern einmal die Urkundlichkeit der Berichte aufgegeben wird, sich vorzustellen, daſs in der Überlieferung Eine Bege- benheit variirt, als daſs durch dieselbe zwei Begebenhei- ten assimilirt worden seien 6).
§. 106. Näherer Hergang bei dem Einzug. Zweck und historische Realität desselben.
Während das vierte Evangelium zuerst die Jesu ent- gegenströmende Menge ihm ihre Huldigung darbringen,
6) Vgl. Bd. 1, §. 85.
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Zehntes Kapitel. §. 106.
als der frühere, der johanneische als der spätere erschiene.
Dieſs wäre gut, wenn nur nicht Johannes seinen Einzug
so früh, die Synoptiker dagegen ihr Bethanisches Mahl
so spät setzen würden, daſs jener unmöglich nach diesem
erst erfolgt sein kann. Nach Johannes nämlich kommt Je-
sus 6 Tage vor dem Pascha nach Bethanien, und zieht am
folgenden Tag in Jerusalem ein (12, 1. 12.): das Bethani-
sche Mahl der Synoptiker dagegen (Matth. 26, 6 ff. parall.)
kann höchstens 2 Tage vor dem Pascha gehalten worden
sein (V. 2.), so daſs, wenn der synoptische Einzug vor
dem johanneischen Mahl und Einzug stattgefunden haben
soll, dann nach allem Diesem den Synoptikern zufolge
noch eine zweite Bethanische Mahlzeit angenommen wer-
den müſste. Allein zwischen den hiebei vorauszusetzen-
den zwei Mahlzeiten fände nun ebenso, wie zwischen den
beiden Einzügen, bis in's Einzelste hinein die auffallendste
Ähnlichkeit statt, und das Sichverflechten von zwei der-
gleichen Doppelbegebenheiten ist so verdächtig, daſs man
hier schwerlich die Auskunft wird anwenden mögen, es
seien zwei Einzüge und Mahlzeiten, die einander ursprüng-
lich weit unähnlicher gesehen haben, in der Tradition durch
Übertragung von Zügen aus der einen Begebenheit in die
andere sich so ähnlich geworden, wie wir sie jezt ha-
ben: sondern hier, wenn irgendwo, ist es leichter, sofern
einmal die Urkundlichkeit der Berichte aufgegeben wird,
sich vorzustellen, daſs in der Überlieferung Eine Bege-
benheit variirt, als daſs durch dieselbe zwei Begebenhei-
ten assimilirt worden seien 6).
§. 106.
Näherer Hergang bei dem Einzug. Zweck und historische
Realität desselben.
Während das vierte Evangelium zuerst die Jesu ent-
gegenströmende Menge ihm ihre Huldigung darbringen,
6) Vgl. Bd. 1, §. 85.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/306>, abgerufen am 03.07.2024.
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