richten würde, die oben besprochene Anweisung den Die- nern geben lässt.
§. 100. Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum.
Die Anekdote von dem Feigenbaum, welchen Jesus, weil er, hungrig, keine Früchte auf ihm fand, durch sein Wort verdorren machte, ist den zwei ersten Evangelien eigenthümlich (Matth. 21, 18 ff. Marc. 11, 12 ff.), wird aber von ihnen mit Abweichungen erzählt, welche auf die An- sicht von der Sache von Einfluss sind. Und zwar schien die eine dieser Abweichungen des Markus von Matthäus der natürlichen Erklärung so günstig zu sein, dass man namentlich auch mit Rücksicht auf sie dem Evangelisten neuerlich eine Tendenz zu natürlicher Ansicht von den Wundern Jesu zugeschrieben, und um dieser einen, günsti- gen Abweichung willen ihn auch bei der andern, ziemlich unbequemen, die sich in vorliegender Erzählung findet, in Schutz genommen hat.
Bliebe es nämlich bei der Art, wie der erste Evange- list den Erfolg der Verwünschung Jesu angiebt: kai exe- ranthe parakhrema e suke (V. 19.), so würde es wohl schwer halten, hier mit einer natürlichen Erklärung anzukommen, da auch die gewaltsame Paulus'sche Deutung, nach wel- cher das parakhrema nur weiteres menschliches Zuthun, nicht aber eine längere Zeitfrist ausschliessen soll, doch nur auf unbefugtem Herübertragen des Markus in den Matthäus beruht. Bei Markus nämlich verwünscht Jesus den Baum am Morgen nach seinem Einzug in Jerusalem, und erst am folgenden Morgen bemerken die Jünger im Vor- übergehen, dass der Baum verdorrt ist. Durch diese Zwi- schenzeit, welche Markus zwischen der Rede Jesu und dem Verdorren des Baumes offen lässt, drängt sich nun die natürliche Erklärung der ganzen Geschichte ein, darauf fussend, dass in dieser Frist der Baum wohl auch durch na-
Zweiter Abschnitt.
richten würde, die oben besprochene Anweisung den Die- nern geben läſst.
§. 100. Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum.
Die Anekdote von dem Feigenbaum, welchen Jesus, weil er, hungrig, keine Früchte auf ihm fand, durch sein Wort verdorren machte, ist den zwei ersten Evangelien eigenthümlich (Matth. 21, 18 ff. Marc. 11, 12 ff.), wird aber von ihnen mit Abweichungen erzählt, welche auf die An- sicht von der Sache von Einfluſs sind. Und zwar schien die eine dieser Abweichungen des Markus von Matthäus der natürlichen Erklärung so günstig zu sein, daſs man namentlich auch mit Rücksicht auf sie dem Evangelisten neuerlich eine Tendenz zu natürlicher Ansicht von den Wundern Jesu zugeschrieben, und um dieser einen, günsti- gen Abweichung willen ihn auch bei der andern, ziemlich unbequemen, die sich in vorliegender Erzählung findet, in Schutz genommen hat.
Bliebe es nämlich bei der Art, wie der erste Evange- list den Erfolg der Verwünschung Jesu angiebt: καὶ ἐξη- ράνϑη παραχρῆμα ἡ συκῆ (V. 19.), so würde es wohl schwer halten, hier mit einer natürlichen Erklärung anzukommen, da auch die gewaltsame Paulus'sche Deutung, nach wel- cher das παραχρῆμα nur weiteres menschliches Zuthun, nicht aber eine längere Zeitfrist ausschlieſsen soll, doch nur auf unbefugtem Herübertragen des Markus in den Matthäus beruht. Bei Markus nämlich verwünscht Jesus den Baum am Morgen nach seinem Einzug in Jerusalem, und erst am folgenden Morgen bemerken die Jünger im Vor- übergehen, daſs der Baum verdorrt ist. Durch diese Zwi- schenzeit, welche Markus zwischen der Rede Jesu und dem Verdorren des Baumes offen läſst, drängt sich nun die natürliche Erklärung der ganzen Geschichte ein, darauf fuſsend, daſs in dieser Frist der Baum wohl auch durch na-
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Zweiter Abschnitt.
richten würde, die oben besprochene Anweisung den Die-
nern geben läſst.
§. 100.
Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum.
Die Anekdote von dem Feigenbaum, welchen Jesus,
weil er, hungrig, keine Früchte auf ihm fand, durch sein
Wort verdorren machte, ist den zwei ersten Evangelien
eigenthümlich (Matth. 21, 18 ff. Marc. 11, 12 ff.), wird aber
von ihnen mit Abweichungen erzählt, welche auf die An-
sicht von der Sache von Einfluſs sind. Und zwar schien
die eine dieser Abweichungen des Markus von Matthäus
der natürlichen Erklärung so günstig zu sein, daſs man
namentlich auch mit Rücksicht auf sie dem Evangelisten
neuerlich eine Tendenz zu natürlicher Ansicht von den
Wundern Jesu zugeschrieben, und um dieser einen, günsti-
gen Abweichung willen ihn auch bei der andern, ziemlich
unbequemen, die sich in vorliegender Erzählung findet, in
Schutz genommen hat.
Bliebe es nämlich bei der Art, wie der erste Evange-
list den Erfolg der Verwünschung Jesu angiebt: καὶ ἐξη-
ράνϑη παραχρῆμα ἡ συκῆ (V. 19.), so würde es wohl schwer
halten, hier mit einer natürlichen Erklärung anzukommen,
da auch die gewaltsame Paulus'sche Deutung, nach wel-
cher das παραχρῆμα nur weiteres menschliches Zuthun,
nicht aber eine längere Zeitfrist ausschlieſsen soll, doch
nur auf unbefugtem Herübertragen des Markus in den
Matthäus beruht. Bei Markus nämlich verwünscht Jesus
den Baum am Morgen nach seinem Einzug in Jerusalem,
und erst am folgenden Morgen bemerken die Jünger im Vor-
übergehen, daſs der Baum verdorrt ist. Durch diese Zwi-
schenzeit, welche Markus zwischen der Rede Jesu und
dem Verdorren des Baumes offen läſst, drängt sich nun
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/255>, abgerufen am 19.11.2024.
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