Anders wird die Berufung des Petrus und seiner Ge- nossen zu Menschenfischern von Lukas (5, 1--11.) erzählt. Abgesehen von den Kleinigkeiten, auf welche z. B. Storr Gewicht legt, um seine Erzählung von der der beiden ersten Evangelisten zu trennen 1), liegt ein wesentlicher Unterschied darin, dass bei Lukas das Anschliessen der Fischer an Jesus nicht auf eine blosse Einladung hin, sondern in Folge eines rei- chen Fischzugs geschieht, zu welchem Jesus dem Petrus ver- holfen hatte. Giebt sich so die Relation des Lukas für die Erzählung einer andern Begebenheit, als welche seine Vor- männer berichten, so ist nun zunächst ihre Glaubwürdig- keit für sich zu untersuchen, und dann ihr Verhältniss zu der des Matthäus und Markus zu bestimmen.
Jesus, am galiläischen See vom Volke gedrängt, be- steigt ein Schiff, um in [e]iniger Entfernung vom Ufer un- gehinderter zum Volke sprechen zu können; nach geendig- ten Reden fordert er den Simon, den Eigenthümer des Kah- nes, auf, tiefer in den See hineinzufahren, und da die Ne- ze zum Fang auszuwerfen. Simon, obwohl wenig ermuthigt durch den schlechten Erfolg der Fischerarbeit in der ver- gangnen Nacht, erklärte sich doch bereit, und der Erfolg war ein so ausserordentlich reicher Fang, dass Petrus und seine Genossen Jakobus und Johannes (Andreas wird hier nicht erwähnt) in das äusserste Erstaunen, der Erstere selbst in eine Art von Furcht vor Jesu als einem höheren Wesen gerieth, und auf die Anrede Jesu an Petrus: me phobou; apo tou nun anthropous ese zogron, alle drei Alles verliessen und ihm nachfolgten.
Dass, was hier erzählt wird, auf natürliche Weise möglich gewesen, suchen die rationalistischen Ausleger ange- legentlich darzuthun. Nach ihnen war der auffallende Erfolg theils Werk einer richtigen Beobachtung Jesu, theils glück-
1) Über den Zweck der ev. Gesch. und der Br. Joh. S. 350.
Zweiter Abschnitt.
§. 67. Der Fischzug des Petrus.
Anders wird die Berufung des Petrus und seiner Ge- nossen zu Menschenfischern von Lukas (5, 1—11.) erzählt. Abgesehen von den Kleinigkeiten, auf welche z. B. Storr Gewicht legt, um seine Erzählung von der der beiden ersten Evangelisten zu trennen 1), liegt ein wesentlicher Unterschied darin, daſs bei Lukas das Anschliessen der Fischer an Jesus nicht auf eine bloſse Einladung hin, sondern in Folge eines rei- chen Fischzugs geschieht, zu welchem Jesus dem Petrus ver- holfen hatte. Giebt sich so die Relation des Lukas für die Erzählung einer andern Begebenheit, als welche seine Vor- männer berichten, so ist nun zunächst ihre Glaubwürdig- keit für sich zu untersuchen, und dann ihr Verhältniſs zu der des Matthäus und Markus zu bestimmen.
Jesus, am galiläischen See vom Volke gedrängt, be- steigt ein Schiff, um in [e]iniger Entfernung vom Ufer un- gehinderter zum Volke sprechen zu können; nach geendig- ten Reden fordert er den Simon, den Eigenthümer des Kah- nes, auf, tiefer in den See hineinzufahren, und da die Ne- ze zum Fang auszuwerfen. Simon, obwohl wenig ermuthigt durch den schlechten Erfolg der Fischerarbeit in der ver- gangnen Nacht, erklärte sich doch bereit, und der Erfolg war ein so ausserordentlich reicher Fang, daſs Petrus und seine Genossen Jakobus und Johannes (Andreas wird hier nicht erwähnt) in das äusserste Erstaunen, der Erstere selbst in eine Art von Furcht vor Jesu als einem höheren Wesen gerieth, und auf die Anrede Jesu an Petrus: μὴ φοβοῦ· ἀπὸ τοῦ νῦν ἀνϑρώπους ἔσῃ ζωγρῶν, alle drei Alles verlieſsen und ihm nachfolgten.
Daſs, was hier erzählt wird, auf natürliche Weise möglich gewesen, suchen die rationalistischen Ausleger ange- legentlich darzuthun. Nach ihnen war der auffallende Erfolg theils Werk einer richtigen Beobachtung Jesu, theils glück-
1) Über den Zweck der ev. Gesch. und der Br. Joh. S. 350.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0556"n="532"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/><divn="3"><head>§. 67.<lb/>
Der Fischzug des Petrus.</head><lb/><p>Anders wird die Berufung des Petrus und seiner Ge-<lb/>
nossen zu Menschenfischern von Lukas (5, 1—11.) erzählt.<lb/>
Abgesehen von den Kleinigkeiten, auf welche z. B. <hirendition="#k">Storr</hi><lb/>
Gewicht legt, um seine Erzählung von der der beiden ersten<lb/>
Evangelisten zu trennen <noteplace="foot"n="1)">Über den Zweck der ev. Gesch. und der Br. Joh. S. 350.</note>, liegt ein wesentlicher Unterschied<lb/>
darin, daſs bei Lukas das Anschliessen der Fischer an Jesus<lb/>
nicht auf eine bloſse Einladung hin, sondern in Folge eines rei-<lb/>
chen Fischzugs geschieht, zu welchem Jesus dem Petrus ver-<lb/>
holfen hatte. Giebt sich so die Relation des Lukas für die<lb/>
Erzählung einer andern Begebenheit, als welche seine Vor-<lb/>
männer berichten, so ist nun zunächst ihre Glaubwürdig-<lb/>
keit für sich zu untersuchen, und dann ihr Verhältniſs zu<lb/>
der des Matthäus und Markus zu bestimmen.</p><lb/><p>Jesus, am galiläischen See vom Volke gedrängt, be-<lb/>
steigt ein Schiff, um in <supplied>e</supplied>iniger Entfernung vom Ufer un-<lb/>
gehinderter zum Volke sprechen zu können; nach geendig-<lb/>
ten Reden fordert er den Simon, den Eigenthümer des Kah-<lb/>
nes, auf, tiefer in den See hineinzufahren, und da die Ne-<lb/>
ze zum Fang auszuwerfen. Simon, obwohl wenig ermuthigt<lb/>
durch den schlechten Erfolg der Fischerarbeit in der ver-<lb/>
gangnen Nacht, erklärte sich doch bereit, und der Erfolg<lb/>
war ein so ausserordentlich reicher Fang, daſs Petrus und<lb/>
seine Genossen Jakobus und Johannes (Andreas wird hier<lb/>
nicht erwähnt) in das äusserste Erstaunen, der Erstere<lb/>
selbst in eine Art von Furcht vor Jesu als einem höheren<lb/>
Wesen gerieth, und auf die Anrede Jesu an Petrus: <foreignxml:lang="ell">μὴ<lb/>φοβοῦ·ἀπὸτοῦνῦνἀνϑρώπουςἔσῃζωγρῶν</foreign>, alle drei Alles<lb/>
verlieſsen und ihm nachfolgten.</p><lb/><p>Daſs, was hier erzählt wird, auf natürliche Weise<lb/>
möglich gewesen, suchen die rationalistischen Ausleger ange-<lb/>
legentlich darzuthun. Nach ihnen war der auffallende Erfolg<lb/>
theils Werk einer richtigen Beobachtung Jesu, theils glück-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[532/0556]
Zweiter Abschnitt.
§. 67.
Der Fischzug des Petrus.
Anders wird die Berufung des Petrus und seiner Ge-
nossen zu Menschenfischern von Lukas (5, 1—11.) erzählt.
Abgesehen von den Kleinigkeiten, auf welche z. B. Storr
Gewicht legt, um seine Erzählung von der der beiden ersten
Evangelisten zu trennen 1), liegt ein wesentlicher Unterschied
darin, daſs bei Lukas das Anschliessen der Fischer an Jesus
nicht auf eine bloſse Einladung hin, sondern in Folge eines rei-
chen Fischzugs geschieht, zu welchem Jesus dem Petrus ver-
holfen hatte. Giebt sich so die Relation des Lukas für die
Erzählung einer andern Begebenheit, als welche seine Vor-
männer berichten, so ist nun zunächst ihre Glaubwürdig-
keit für sich zu untersuchen, und dann ihr Verhältniſs zu
der des Matthäus und Markus zu bestimmen.
Jesus, am galiläischen See vom Volke gedrängt, be-
steigt ein Schiff, um in einiger Entfernung vom Ufer un-
gehinderter zum Volke sprechen zu können; nach geendig-
ten Reden fordert er den Simon, den Eigenthümer des Kah-
nes, auf, tiefer in den See hineinzufahren, und da die Ne-
ze zum Fang auszuwerfen. Simon, obwohl wenig ermuthigt
durch den schlechten Erfolg der Fischerarbeit in der ver-
gangnen Nacht, erklärte sich doch bereit, und der Erfolg
war ein so ausserordentlich reicher Fang, daſs Petrus und
seine Genossen Jakobus und Johannes (Andreas wird hier
nicht erwähnt) in das äusserste Erstaunen, der Erstere
selbst in eine Art von Furcht vor Jesu als einem höheren
Wesen gerieth, und auf die Anrede Jesu an Petrus: μὴ
φοβοῦ· ἀπὸ τοῦ νῦν ἀνϑρώπους ἔσῃ ζωγρῶν, alle drei Alles
verlieſsen und ihm nachfolgten.
Daſs, was hier erzählt wird, auf natürliche Weise
möglich gewesen, suchen die rationalistischen Ausleger ange-
legentlich darzuthun. Nach ihnen war der auffallende Erfolg
theils Werk einer richtigen Beobachtung Jesu, theils glück-
1) Über den Zweck der ev. Gesch. und der Br. Joh. S. 350.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/556>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.