dann der Fall, wenn die Personen entweder unbestimmt bezeichnet sind, wie in den Gleichnissreden Jesu als o spei- ron, basileus u. dgl., oder wenn ihnen zwar eine indivi- duelle Bestimmung gegeben ist, aber eine solche, welche sie als unhistorische Personen, als Träger von Dichtungen kenntlich macht, was, in Verbindung mit den übrigen Zü- gen jener Parabel, selbst von dem mit Namen genannten Lazaros im Gleichniss vom reichen Manne gilt. In beiden Rücksichten kann ein sinnlich Gegenwärtiger nicht als Subjekt einer Parabel gebraucht werden, denn ein solcher ist immer eine bestimmte und augenscheinlich historische Person. Also weder den Petrus, oder sonst einen seiner Jünger, noch auch sich selbst konnte Jesus zum Subjekt einer Gleichnissrede machen, da die eigene Person dessen, der eine solche vorträgt, am unmittelbarsten zu den da- bei gegenwärtigen gehört, und ebendesswegen kann er die Versuchungsgeschichte, in welcher er das Subjekt ist, nicht als Parabel vorgetragen haben. Anzunehmen aber, dass die Parabel ursprünglich ein anderes Subjekt gehabt habe, an dessen Stelle dann in der mündlichen Überliefe- rung Jesus gesezt worden sei, geht nicht an, weil die Erzählung auch als Parabel nur dann eine rechte Bedeu- tung hat, wenn der Messias das Subjekt derselben ist 20).
Da auf diese Weise weder ein wirklicher Gemüthszu- stand Jesu, noch eine von ihm vorgetragene Parabel der Versuchungsgeschichte zum Grunde liegen kann: so kann sie überhaupt nicht von Jesu, sondern nur über ihn gebil- det worden sein, d. h. sie ist urchristliche Sage.
§. 52. Die Versuchungsgeschichte als Mythus.
Der Übertritt auf dieses vernünftige Gebiet kommt frei- lich den alten theologischen Adam so sauer an, dass dieje-
20)Hasert, a. a. O. S. 76.
Das Leben Jesu I. Band. 27
Zweites Kapitel. §. 52.
dann der Fall, wenn die Personen entweder unbestimmt bezeichnet sind, wie in den Gleichniſsreden Jesu als ὁ σπεί- ρων, βασιλεὺς u. dgl., oder wenn ihnen zwar eine indivi- duelle Bestimmung gegeben ist, aber eine solche, welche sie als unhistorische Personen, als Träger von Dichtungen kenntlich macht, was, in Verbindung mit den übrigen Zü- gen jener Parabel, selbst von dem mit Namen genannten Λάζαρος im Gleichniſs vom reichen Manne gilt. In beiden Rücksichten kann ein sinnlich Gegenwärtiger nicht als Subjekt einer Parabel gebraucht werden, denn ein solcher ist immer eine bestimmte und augenscheinlich historische Person. Also weder den Petrus, oder sonst einen seiner Jünger, noch auch sich selbst konnte Jesus zum Subjekt einer Gleichniſsrede machen, da die eigene Person dessen, der eine solche vorträgt, am unmittelbarsten zu den da- bei gegenwärtigen gehört, und ebendeſswegen kann er die Versuchungsgeschichte, in welcher er das Subjekt ist, nicht als Parabel vorgetragen haben. Anzunehmen aber, daſs die Parabel ursprünglich ein anderes Subjekt gehabt habe, an dessen Stelle dann in der mündlichen Überliefe- rung Jesus gesezt worden sei, geht nicht an, weil die Erzählung auch als Parabel nur dann eine rechte Bedeu- tung hat, wenn der Messias das Subjekt derselben ist 20).
Da auf diese Weise weder ein wirklicher Gemüthszu- stand Jesu, noch eine von ihm vorgetragene Parabel der Versuchungsgeschichte zum Grunde liegen kann: so kann sie überhaupt nicht von Jesu, sondern nur über ihn gebil- det worden sein, d. h. sie ist urchristliche Sage.
§. 52. Die Versuchungsgeschichte als Mythus.
Der Übertritt auf dieses vernünftige Gebiet kommt frei- lich den alten theologischen Adam so sauer an, daſs dieje-
20)Hasert, a. a. O. S. 76.
Das Leben Jesu I. Band. 27
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Zweites Kapitel. §. 52.
dann der Fall, wenn die Personen entweder unbestimmt
bezeichnet sind, wie in den Gleichniſsreden Jesu als ὁ σπεί-
ρων, βασιλεὺς u. dgl., oder wenn ihnen zwar eine indivi-
duelle Bestimmung gegeben ist, aber eine solche, welche
sie als unhistorische Personen, als Träger von Dichtungen
kenntlich macht, was, in Verbindung mit den übrigen Zü-
gen jener Parabel, selbst von dem mit Namen genannten
Λάζαρος im Gleichniſs vom reichen Manne gilt. In beiden
Rücksichten kann ein sinnlich Gegenwärtiger nicht als
Subjekt einer Parabel gebraucht werden, denn ein solcher
ist immer eine bestimmte und augenscheinlich historische
Person. Also weder den Petrus, oder sonst einen seiner
Jünger, noch auch sich selbst konnte Jesus zum Subjekt
einer Gleichniſsrede machen, da die eigene Person dessen,
der eine solche vorträgt, am unmittelbarsten zu den da-
bei gegenwärtigen gehört, und ebendeſswegen kann er
die Versuchungsgeschichte, in welcher er das Subjekt ist,
nicht als Parabel vorgetragen haben. Anzunehmen aber,
daſs die Parabel ursprünglich ein anderes Subjekt gehabt
habe, an dessen Stelle dann in der mündlichen Überliefe-
rung Jesus gesezt worden sei, geht nicht an, weil die
Erzählung auch als Parabel nur dann eine rechte Bedeu-
tung hat, wenn der Messias das Subjekt derselben ist 20).
Da auf diese Weise weder ein wirklicher Gemüthszu-
stand Jesu, noch eine von ihm vorgetragene Parabel der
Versuchungsgeschichte zum Grunde liegen kann: so kann
sie überhaupt nicht von Jesu, sondern nur über ihn gebil-
det worden sein, d. h. sie ist urchristliche Sage.
§. 52.
Die Versuchungsgeschichte als Mythus.
Der Übertritt auf dieses vernünftige Gebiet kommt frei-
lich den alten theologischen Adam so sauer an, daſs dieje-
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Das Leben Jesu I. Band. 27
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/441>, abgerufen am 22.02.2025.
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