der Hauptrücksicht auf das Gewicht der Versuchungen ge- macht sei, in welcher Beziehung die Aufforderung zur An- betung, mit welcher Matthäus schliesst, als die stärkste Versuchung sich verhalte; wogegen die Anordnung des Lu- kas einer späteren, nicht sehr glücklichen Umstellung ähn- lich sehe, welche von der dem ursprünglichen Sinn der Erzählung fremden Rücksicht ausgehe, dass Jesus mit dem Teufel wohl eher aus der Wüste auf den nahe gelegenen Berg und von da nach Jerusalem werde gegangen sein, als aus der Wüste in die Stadt, und von da wieder in das Gebirge zurück 16).
Während die beiden ersten Evangelisten damit schlies- sen, dass sie zur Bedienung Jesu Engel erscheinen lassen, ist dem Lukas der Schluss eigen, der Teufel sei von Jesu abgestanden akhri kairou (V. 13.), wodurch, wie es scheint, namentlich das Leiden Jesu als eine weitere Anfechtung des Teufels voraus bezeichnet werden soll, eine Bezeich- nung, welche übrigens unten bei Lukas nicht wieder auf- genommen, wohl aber bei Johannes, 14, 30, angedeutet ist.
§. 50. Die Versuchungsgeschichte im Sinne der Evangelisten aufgefasst.
Nicht leicht ist einer evangelischen Perikope eine fleis- sigere Bearbeitung zu Theil geworden, als der gegenwär- tigen, und nicht leicht hat eine so vollständig den Kreis aller möglichen Auffassungen durchlaufen. Denn die per- sönliche Teufelserscheinung, welche sie zu enthalten scheint, war ein Stachel, welcher die Erklärer bei der sich zuerst bietenden Deutung nicht ruhen liess, sondern sie rastlos immer weiter zu andern und wieder andern Versuchen fort- trieb. Die hiemit sich bildende Reihe verschiedener Erklä- rungsversuche lud zu beurtheilenden Zusammenstellungen
16) Doch vergl. Schneckenburger, über den Ursprung u. s. w. S. 46 f.
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Zweites Kapitel. §. 50.
der Hauptrücksicht auf das Gewicht der Versuchungen ge- macht sei, in welcher Beziehung die Aufforderung zur An- betung, mit welcher Matthäus schlieſst, als die stärkste Versuchung sich verhalte; wogegen die Anordnung des Lu- kas einer späteren, nicht sehr glücklichen Umstellung ähn- lich sehe, welche von der dem ursprünglichen Sinn der Erzählung fremden Rücksicht ausgehe, daſs Jesus mit dem Teufel wohl eher aus der Wüste auf den nahe gelegenen Berg und von da nach Jerusalem werde gegangen sein, als aus der Wüste in die Stadt, und von da wieder in das Gebirge zurück 16).
Während die beiden ersten Evangelisten damit schlies- sen, daſs sie zur Bedienung Jesu Engel erscheinen lassen, ist dem Lukas der Schluſs eigen, der Teufel sei von Jesu abgestanden άχρι καιροῦ (V. 13.), wodurch, wie es scheint, namentlich das Leiden Jesu als eine weitere Anfechtung des Teufels voraus bezeichnet werden soll, eine Bezeich- nung, welche übrigens unten bei Lukas nicht wieder auf- genommen, wohl aber bei Johannes, 14, 30, angedeutet ist.
§. 50. Die Versuchungsgeschichte im Sinne der Evangelisten aufgefasst.
Nicht leicht ist einer evangelischen Perikope eine fleis- sigere Bearbeitung zu Theil geworden, als der gegenwär- tigen, und nicht leicht hat eine so vollständig den Kreis aller möglichen Auffassungen durchlaufen. Denn die per- sönliche Teufelserscheinung, welche sie zu enthalten scheint, war ein Stachel, welcher die Erklärer bei der sich zuerst bietenden Deutung nicht ruhen lieſs, sondern sie rastlos immer weiter zu andern und wieder andern Versuchen fort- trieb. Die hiemit sich bildende Reihe verschiedener Erklä- rungsversuche lud zu beurtheilenden Zusammenstellungen
16) Doch vergl. Schneckenburger, über den Ursprung u. s. w. S. 46 f.
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Zweites Kapitel. §. 50.
der Hauptrücksicht auf das Gewicht der Versuchungen ge-
macht sei, in welcher Beziehung die Aufforderung zur An-
betung, mit welcher Matthäus schlieſst, als die stärkste
Versuchung sich verhalte; wogegen die Anordnung des Lu-
kas einer späteren, nicht sehr glücklichen Umstellung ähn-
lich sehe, welche von der dem ursprünglichen Sinn der
Erzählung fremden Rücksicht ausgehe, daſs Jesus mit dem
Teufel wohl eher aus der Wüste auf den nahe gelegenen
Berg und von da nach Jerusalem werde gegangen sein,
als aus der Wüste in die Stadt, und von da wieder in
das Gebirge zurück 16).
Während die beiden ersten Evangelisten damit schlies-
sen, daſs sie zur Bedienung Jesu Engel erscheinen lassen,
ist dem Lukas der Schluſs eigen, der Teufel sei von Jesu
abgestanden άχρι καιροῦ (V. 13.), wodurch, wie es scheint,
namentlich das Leiden Jesu als eine weitere Anfechtung
des Teufels voraus bezeichnet werden soll, eine Bezeich-
nung, welche übrigens unten bei Lukas nicht wieder auf-
genommen, wohl aber bei Johannes, 14, 30, angedeutet ist.
§. 50.
Die Versuchungsgeschichte im Sinne der Evangelisten aufgefasst.
Nicht leicht ist einer evangelischen Perikope eine fleis-
sigere Bearbeitung zu Theil geworden, als der gegenwär-
tigen, und nicht leicht hat eine so vollständig den Kreis
aller möglichen Auffassungen durchlaufen. Denn die per-
sönliche Teufelserscheinung, welche sie zu enthalten scheint,
war ein Stachel, welcher die Erklärer bei der sich zuerst
bietenden Deutung nicht ruhen lieſs, sondern sie rastlos
immer weiter zu andern und wieder andern Versuchen fort-
trieb. Die hiemit sich bildende Reihe verschiedener Erklä-
rungsversuche lud zu beurtheilenden Zusammenstellungen
16) Doch vergl. Schneckenburger, über den Ursprung u. s. w.
S. 46 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/427>, abgerufen am 19.11.2024.
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