hannes die Täuflinge in angegebener Weise angeredet ha- be: so mussten doch die Gebärden derjenigen, welche in die reinigende Fluth hinabstiegen und wieder auftauchten, die von Büssenden sein, und wenn Jesus diese auch nur stillschweigend mitmachte, ohne sie doch auf sich zu bezie- hen: so könnte er von Simulation nicht freigesprochen werden.
Hier ist also kein anderer Ausweg, als dass Jesus, wie er bei seiner Taufe noch nicht daran gedacht haben kann, selbst der Messias zu sein, so auch, was die metanoia betrifft, sich zwar unter die Trefflichsten in Israel mit Recht mag haben zählen können, ohne sich jedoch von dem, was Hiob 4, 18. 15, 15. gesagt ist, auszuschliessen. Von histo- rischer Seite wird hiegegen wenig einzuwenden sein; denn das tis ex umon elegkhei me peri amartias; (Joh. S, 46.) konn- te sich doch theils nur auf offenkundige Fehltritte, theils nur auf die spätere Zeit der gereiften Entwicklung Jesu beziehen; die Scene aus seinem zwölften Jahre aber wür- de für sich eine sündlose Entwicklung selbst dann nicht beweisen, wenn sie historisch wäre.
§. 46. Die Vorfälle bei der Taufe Jesu als übernatürliche und als natürliche aufgefasst.
Eben als Johannes seine Taufe an Jesus vollendet hat- te, ereignete es sich nach den synoptischen Evangelien, dass der Himmel sich öffnete, der heilige Geist in Gestalt einer Taube auf Jesum herabkam und eine Himmelsstimme sich hören liess, die ihn als den Sohn Gottes, auf welchem des Vaters Wohlgefallen ruhe, bezeichnete (Matth. 13, 16. f. Marc. 1, 10. f. Luc. 3, 21. f.). Das vierte Evangelium lässt (1, 32. ff.) durch den Täufer erzählen, wie er den heiligen Geist einer Taube gleich auf Jesum habe herab- kommen und über ihm bleiben sehen; von einer Stimme wird hier nichts gesagt, auch nicht, dass die Scene gerade bei der Taufe Jesu vorgefallen sei: doch da im unmittel- bar Vorhergehenden Johannes von seiner Taufe gesagt hat-
Zweiter Abschnitt.
hannes die Täuflinge in angegebener Weise angeredet ha- be: so muſsten doch die Gebärden derjenigen, welche in die reinigende Fluth hinabstiegen und wieder auftauchten, die von Büſsenden sein, und wenn Jesus diese auch nur stillschweigend mitmachte, ohne sie doch auf sich zu bezie- hen: so könnte er von Simulation nicht freigesprochen werden.
Hier ist also kein anderer Ausweg, als daſs Jesus, wie er bei seiner Taufe noch nicht daran gedacht haben kann, selbst der Messias zu sein, so auch, was die μετάνοια betrifft, sich zwar unter die Trefflichsten in Israël mit Recht mag haben zählen können, ohne sich jedoch von dem, was Hiob 4, 18. 15, 15. gesagt ist, auszuschlieſsen. Von histo- rischer Seite wird hiegegen wenig einzuwenden sein; denn das τίς ἐξ ὑμῶν ἐλέγχει με περὶ ἁμαρτίας; (Joh. S, 46.) konn- te sich doch theils nur auf offenkundige Fehltritte, theils nur auf die spätere Zeit der gereiften Entwicklung Jesu beziehen; die Scene aus seinem zwölften Jahre aber wür- de für sich eine sündlose Entwicklung selbst dann nicht beweisen, wenn sie historisch wäre.
§. 46. Die Vorfälle bei der Taufe Jesu als übernatürliche und als natürliche aufgefasst.
Eben als Johannes seine Taufe an Jesus vollendet hat- te, ereignete es sich nach den synoptischen Evangelien, daſs der Himmel sich öffnete, der heilige Geist in Gestalt einer Taube auf Jesum herabkam und eine Himmelsstimme sich hören lieſs, die ihn als den Sohn Gottes, auf welchem des Vaters Wohlgefallen ruhe, bezeichnete (Matth. 13, 16. f. Marc. 1, 10. f. Luc. 3, 21. f.). Das vierte Evangelium läſst (1, 32. ff.) durch den Täufer erzählen, wie er den heiligen Geist einer Taube gleich auf Jesum habe herab- kommen und über ihm bleiben sehen; von einer Stimme wird hier nichts gesagt, auch nicht, daſs die Scene gerade bei der Taufe Jesu vorgefallen sei: doch da im unmittel- bar Vorhergehenden Johannes von seiner Taufe gesagt hat-
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Zweiter Abschnitt.
hannes die Täuflinge in angegebener Weise angeredet ha-
be: so muſsten doch die Gebärden derjenigen, welche in
die reinigende Fluth hinabstiegen und wieder auftauchten,
die von Büſsenden sein, und wenn Jesus diese auch nur
stillschweigend mitmachte, ohne sie doch auf sich zu bezie-
hen: so könnte er von Simulation nicht freigesprochen werden.
Hier ist also kein anderer Ausweg, als daſs Jesus,
wie er bei seiner Taufe noch nicht daran gedacht haben
kann, selbst der Messias zu sein, so auch, was die μετάνοια
betrifft, sich zwar unter die Trefflichsten in Israël mit Recht
mag haben zählen können, ohne sich jedoch von dem, was
Hiob 4, 18. 15, 15. gesagt ist, auszuschlieſsen. Von histo-
rischer Seite wird hiegegen wenig einzuwenden sein; denn
das τίς ἐξ ὑμῶν ἐλέγχει με περὶ ἁμαρτίας; (Joh. S, 46.) konn-
te sich doch theils nur auf offenkundige Fehltritte, theils
nur auf die spätere Zeit der gereiften Entwicklung Jesu
beziehen; die Scene aus seinem zwölften Jahre aber wür-
de für sich eine sündlose Entwicklung selbst dann nicht
beweisen, wenn sie historisch wäre.
§. 46.
Die Vorfälle bei der Taufe Jesu als übernatürliche und als
natürliche aufgefasst.
Eben als Johannes seine Taufe an Jesus vollendet hat-
te, ereignete es sich nach den synoptischen Evangelien,
daſs der Himmel sich öffnete, der heilige Geist in Gestalt
einer Taube auf Jesum herabkam und eine Himmelsstimme
sich hören lieſs, die ihn als den Sohn Gottes, auf welchem
des Vaters Wohlgefallen ruhe, bezeichnete (Matth. 13, 16. f.
Marc. 1, 10. f. Luc. 3, 21. f.). Das vierte Evangelium
läſst (1, 32. ff.) durch den Täufer erzählen, wie er den
heiligen Geist einer Taube gleich auf Jesum habe herab-
kommen und über ihm bleiben sehen; von einer Stimme
wird hier nichts gesagt, auch nicht, daſs die Scene gerade
bei der Taufe Jesu vorgefallen sei: doch da im unmittel-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/398>, abgerufen am 19.11.2024.
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