Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844.Schlußbetrachtung. Andere Zeiten andere Sitten! Der Handwerksstand hat Jahr- *) Polizeiordnung von 1548, Tit. 37, und von 1577, Tit. 38.
Schlußbetrachtung. Andere Zeiten andere Sitten! Der Handwerksſtand hat Jahr- *) Polizeiordnung von 1548, Tit. 37, und von 1577, Tit. 38.
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0124" n="114"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Schlußbetrachtung</hi>.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p><hi rendition="#in">A</hi>ndere Zeiten andere Sitten! Der Handwerksſtand hat Jahr-<lb/> hunderte lang an den ſeinigen feſtgehalten und nur das allge-<lb/> meine Schickſal der deutſchen Reichsverfaſſung konnte auflöſende<lb/> Spaltungen in ſeinen abgeſchloſſenen Verhältniſſen hervorbringen.<lb/> Die gewaltſame Aufhebung aller Corporationen in den Theilen<lb/> unſeres Vaterlandes, die dem franzöſiſchen Reich eine kurze Zeit<lb/> unterworfen wurden, ferner in den Fürſtenthümern, die das Kö-<lb/> nigreich Weſtphalen bildeten, fand auch in den übrigen Staaten,<lb/> wenn auch nicht unbedingte, doch theilweiſe Nachahmung; ſeit-<lb/> dem und bis dieſen Augenblick wird im höhern Publiko die An-<lb/> ſicht feſtgehalten: die Verfaſſung der Gilden, Innungen und<lb/> Handwerke habe ſich längſt überlebt, ſie paſſe nicht mehr für den<lb/> Standpunkt der Nation überhaupt, ſelbſt nicht mehr für den<lb/> Handwerksſtand, der eine bedeutende Stufe ſittlicher Cultur<lb/> erſtiegen habe und ſich vollkommen frei bewegen müſſe. Des<lb/> Verfaſſers Abſicht und Beruf iſt es nicht, hierüber eine Meinung<lb/> zu äußern, er erlaubt ſich nur noch auf die Ungleichheit der Er-<lb/> ziehung <hi rendition="#g">der Jugend</hi> hinzuweiſen, welcher die Handwerke zu-<lb/> gänglich ſind, und dabei auf eine einflußreiche hiſtoriſche Epoche<lb/> der Innungen aufmerkſam zu machen. Es iſt nehmlich ein<lb/> bekannter und in gegenwärtiger Schrift wieder berührter Zug<lb/> der Innungen und Gilden, daß ſie in den frühern Jahrhunderten<lb/> ſich von der niedern Volksklaſſe möglichſt frei hielten, bis die<lb/> Reichsgeſetze im ſechszehnten Jahrhundert <note place="foot" n="*)">Polizeiordnung von 1548, Tit. 37, und von 1577, Tit. 38.</note> ſie auch dieſer öff-<lb/> neten. Welche Mittel hatten nun die Corporationen, bei dem<lb/> dürftigen Schulunterricht jener Zeit, zu verhüten, daß ihr Stand<lb/> dadurch nicht in moraliſchen Nachtheil gerieth, und zu bewirken,<lb/> daß die Aufgedrungenen ihren Söhnen ähnlich wurden? Die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [114/0124]
Schlußbetrachtung.
Andere Zeiten andere Sitten! Der Handwerksſtand hat Jahr-
hunderte lang an den ſeinigen feſtgehalten und nur das allge-
meine Schickſal der deutſchen Reichsverfaſſung konnte auflöſende
Spaltungen in ſeinen abgeſchloſſenen Verhältniſſen hervorbringen.
Die gewaltſame Aufhebung aller Corporationen in den Theilen
unſeres Vaterlandes, die dem franzöſiſchen Reich eine kurze Zeit
unterworfen wurden, ferner in den Fürſtenthümern, die das Kö-
nigreich Weſtphalen bildeten, fand auch in den übrigen Staaten,
wenn auch nicht unbedingte, doch theilweiſe Nachahmung; ſeit-
dem und bis dieſen Augenblick wird im höhern Publiko die An-
ſicht feſtgehalten: die Verfaſſung der Gilden, Innungen und
Handwerke habe ſich längſt überlebt, ſie paſſe nicht mehr für den
Standpunkt der Nation überhaupt, ſelbſt nicht mehr für den
Handwerksſtand, der eine bedeutende Stufe ſittlicher Cultur
erſtiegen habe und ſich vollkommen frei bewegen müſſe. Des
Verfaſſers Abſicht und Beruf iſt es nicht, hierüber eine Meinung
zu äußern, er erlaubt ſich nur noch auf die Ungleichheit der Er-
ziehung der Jugend hinzuweiſen, welcher die Handwerke zu-
gänglich ſind, und dabei auf eine einflußreiche hiſtoriſche Epoche
der Innungen aufmerkſam zu machen. Es iſt nehmlich ein
bekannter und in gegenwärtiger Schrift wieder berührter Zug
der Innungen und Gilden, daß ſie in den frühern Jahrhunderten
ſich von der niedern Volksklaſſe möglichſt frei hielten, bis die
Reichsgeſetze im ſechszehnten Jahrhundert *) ſie auch dieſer öff-
neten. Welche Mittel hatten nun die Corporationen, bei dem
dürftigen Schulunterricht jener Zeit, zu verhüten, daß ihr Stand
dadurch nicht in moraliſchen Nachtheil gerieth, und zu bewirken,
daß die Aufgedrungenen ihren Söhnen ähnlich wurden? Die
*) Polizeiordnung von 1548, Tit. 37, und von 1577, Tit. 38.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |