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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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thums nicht verwirklichen, wenn er sich nicht auf die ganze
Menschheit stützt, nicht aus ihr wie Antäos seine Kräfte
schöpft."

Ebendaselbst heißt es: "Die Beziehung des Menschen zur
res publica wird von der theologischen Ansicht zur reinen Pri¬
vatsache herabgewürdigt, wird somit hinweg geleugnet." Als
ob die politische Ansicht es mit der Religion anders machte!
Da ist die Religion eine "Privatsache".

Wenn statt der "heiligen Pflicht", der "Bestimmung des
Menschen", des "Berufes zum vollen Menschenthum" und
ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Ei¬
gennutz verkümmert werde, wenn sie im Staate Alles gehen
lassen, wie's geht, so würden sie ohne Tiraden so angeredet,
wie man sie im entscheidenden Augenblicke wird anreden müssen,
wenn man seinen Zweck erreichen will. Statt dessen sagt der
Theologenfeindliche Verfasser: "Wenn irgend eine Zeit, so ist
es auch die unsrige, in welcher der Staat auf alle die Se
nigen Ansprüche macht. -- Der denkende Mensch erblickt in
der Betheiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine
Pflicht, eine der heiligsten Pflichten, welche ihm obliegen"
-- und zieht dann die "unbedingte Nothwendigkeit, daß Jeder¬
mann sich am Staate betheilige", näher in Betrachtung.

Politiker ist und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der
Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden sitzt, der vom
Staate Besessene oder der Staatsgläubige.

"Der Staat ist das nothwendigste Mittel für die vollstän¬
dige Entwicklung der Menschheit." Er ist's allerdings ge¬
wesen, so lange Wir die Menschheit entwickeln wollten; wenn
Wir aber Uns weiden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein
Hemmungsmittel sein.

thums nicht verwirklichen, wenn er ſich nicht auf die ganze
Menſchheit ſtützt, nicht aus ihr wie Antäos ſeine Kräfte
ſchöpft.“

Ebendaſelbſt heißt es: „Die Beziehung des Menſchen zur
res publica wird von der theologiſchen Anſicht zur reinen Pri¬
vatſache herabgewürdigt, wird ſomit hinweg geleugnet.“ Als
ob die politiſche Anſicht es mit der Religion anders machte!
Da iſt die Religion eine „Privatſache“.

Wenn ſtatt der „heiligen Pflicht“, der „Beſtimmung des
Menſchen“, des „Berufes zum vollen Menſchenthum“ und
ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Ei¬
gennutz verkümmert werde, wenn ſie im Staate Alles gehen
laſſen, wie's geht, ſo würden ſie ohne Tiraden ſo angeredet,
wie man ſie im entſcheidenden Augenblicke wird anreden müſſen,
wenn man ſeinen Zweck erreichen will. Statt deſſen ſagt der
Theologenfeindliche Verfaſſer: „Wenn irgend eine Zeit, ſo iſt
es auch die unſrige, in welcher der Staat auf alle die Se
nigen Anſprüche macht. — Der denkende Menſch erblickt in
der Betheiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine
Pflicht, eine der heiligſten Pflichten, welche ihm obliegen“
— und zieht dann die „unbedingte Nothwendigkeit, daß Jeder¬
mann ſich am Staate betheilige“, näher in Betrachtung.

Politiker iſt und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der
Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden ſitzt, der vom
Staate Beſeſſene oder der Staatsgläubige.

„Der Staat iſt das nothwendigſte Mittel für die vollſtän¬
dige Entwicklung der Menſchheit.“ Er iſt's allerdings ge¬
weſen, ſo lange Wir die Menſchheit entwickeln wollten; wenn
Wir aber Uns weiden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein
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[309/0317] thums nicht verwirklichen, wenn er ſich nicht auf die ganze Menſchheit ſtützt, nicht aus ihr wie Antäos ſeine Kräfte ſchöpft.“ Ebendaſelbſt heißt es: „Die Beziehung des Menſchen zur res publica wird von der theologiſchen Anſicht zur reinen Pri¬ vatſache herabgewürdigt, wird ſomit hinweg geleugnet.“ Als ob die politiſche Anſicht es mit der Religion anders machte! Da iſt die Religion eine „Privatſache“. Wenn ſtatt der „heiligen Pflicht“, der „Beſtimmung des Menſchen“, des „Berufes zum vollen Menſchenthum“ und ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Ei¬ gennutz verkümmert werde, wenn ſie im Staate Alles gehen laſſen, wie's geht, ſo würden ſie ohne Tiraden ſo angeredet, wie man ſie im entſcheidenden Augenblicke wird anreden müſſen, wenn man ſeinen Zweck erreichen will. Statt deſſen ſagt der Theologenfeindliche Verfaſſer: „Wenn irgend eine Zeit, ſo iſt es auch die unſrige, in welcher der Staat auf alle die Sei¬ nigen Anſprüche macht. — Der denkende Menſch erblickt in der Betheiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine Pflicht, eine der heiligſten Pflichten, welche ihm obliegen“ — und zieht dann die „unbedingte Nothwendigkeit, daß Jeder¬ mann ſich am Staate betheilige“, näher in Betrachtung. Politiker iſt und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden ſitzt, der vom Staate Beſeſſene oder der Staatsgläubige. „Der Staat iſt das nothwendigſte Mittel für die vollſtän¬ dige Entwicklung der Menſchheit.“ Er iſt's allerdings ge¬ weſen, ſo lange Wir die Menſchheit entwickeln wollten; wenn Wir aber Uns weiden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein Hemmungsmittel ſein.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/317>, abgerufen am 27.04.2024.