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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sich ja nur die Volksthümlichkeit dar. "Die verschwommene
Allgemeinheit ist niedriger, als die in sich geschlossene Gestalt,
die ein Ganzes selber ist, und als lebendiges Glied des wahr¬
haft Allgemeinen, des Organisirten, lebt". Es ist ja eben das
Volk die "verschwommene Allgemeinheit", und ein Mensch erst
die "in sich geschlossene Gestalt".

Das Unpersönliche dessen, was man "Volk, Nation"
nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches sein
Ich nach besten Kräften zur Erscheinung bringen will, den
willenlosen Herrscher an seine Spitze stellt. Es befindet
sich in der Alternative, entweder einem Fürsten unterworfen
zu sein, der nur sich, sein individuelles Belieben verwirk¬
licht -- dann erkennt es an dem "absoluten Herrn" nicht den
eigenen, den sogenannten Volkswillen --, oder einen Fürsten
auf den Thron zu sehen, der keinen eigenen Willen gel¬
tend macht -- dann hat es einen willenlosen Fürsten,
dessen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht eben so gut
versähe --. Deshalb darf die Einsicht nur einen Schritt
weiter gehen, so ergiebt sich von selber, daß das Volks-Ich
eine unpersönliche, "geistige" Macht sei, das -- Gesetz. Das
Ich des Volkes, dieß folgt daraus, ist ein -- Spuk, nicht ein
Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h.
daß nicht ein Anderer Mich macht, sondem Ich mein eigen
Werk sein muß. Wie aber ist es mit jenem Volks-Ich?
Der Zufall spielt es dem Volke in die Hand, der Zufall
giebt ihm diesen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten ver¬
schaffen ihm den gewählten; er ist nicht sein, des "souverai¬
nen
" Volkes, Product, wie Ich mein Product bin. Denke
Dir, man wollte Dir einreden, Du wärest nicht dein Ich,
sondern Hans oder Kunz wäre dein Ich! So aber geht's

ſich ja nur die Volksthümlichkeit dar. „Die verſchwommene
Allgemeinheit iſt niedriger, als die in ſich geſchloſſene Geſtalt,
die ein Ganzes ſelber iſt, und als lebendiges Glied des wahr¬
haft Allgemeinen, des Organiſirten, lebt“. Es iſt ja eben das
Volk die „verſchwommene Allgemeinheit“, und ein Menſch erſt
die „in ſich geſchloſſene Geſtalt“.

Das Unperſönliche deſſen, was man „Volk, Nation“
nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches ſein
Ich nach beſten Kräften zur Erſcheinung bringen will, den
willenloſen Herrſcher an ſeine Spitze ſtellt. Es befindet
ſich in der Alternative, entweder einem Fürſten unterworfen
zu ſein, der nur ſich, ſein individuelles Belieben verwirk¬
licht — dann erkennt es an dem „abſoluten Herrn“ nicht den
eigenen, den ſogenannten Volkswillen —, oder einen Fürſten
auf den Thron zu ſehen, der keinen eigenen Willen gel¬
tend macht — dann hat es einen willenloſen Fürſten,
deſſen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht eben ſo gut
verſähe —. Deshalb darf die Einſicht nur einen Schritt
weiter gehen, ſo ergiebt ſich von ſelber, daß das Volks-Ich
eine unperſönliche, „geiſtige“ Macht ſei, das — Geſetz. Das
Ich des Volkes, dieß folgt daraus, iſt ein — Spuk, nicht ein
Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h.
daß nicht ein Anderer Mich macht, ſondem Ich mein eigen
Werk ſein muß. Wie aber iſt es mit jenem Volks-Ich?
Der Zufall ſpielt es dem Volke in die Hand, der Zufall
giebt ihm dieſen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten ver¬
ſchaffen ihm den gewählten; er iſt nicht ſein, des „ſouverai¬
nen
“ Volkes, Product, wie Ich mein Product bin. Denke
Dir, man wollte Dir einreden, Du wäreſt nicht dein Ich,
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[306/0314] ſich ja nur die Volksthümlichkeit dar. „Die verſchwommene Allgemeinheit iſt niedriger, als die in ſich geſchloſſene Geſtalt, die ein Ganzes ſelber iſt, und als lebendiges Glied des wahr¬ haft Allgemeinen, des Organiſirten, lebt“. Es iſt ja eben das Volk die „verſchwommene Allgemeinheit“, und ein Menſch erſt die „in ſich geſchloſſene Geſtalt“. Das Unperſönliche deſſen, was man „Volk, Nation“ nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches ſein Ich nach beſten Kräften zur Erſcheinung bringen will, den willenloſen Herrſcher an ſeine Spitze ſtellt. Es befindet ſich in der Alternative, entweder einem Fürſten unterworfen zu ſein, der nur ſich, ſein individuelles Belieben verwirk¬ licht — dann erkennt es an dem „abſoluten Herrn“ nicht den eigenen, den ſogenannten Volkswillen —, oder einen Fürſten auf den Thron zu ſehen, der keinen eigenen Willen gel¬ tend macht — dann hat es einen willenloſen Fürſten, deſſen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht eben ſo gut verſähe —. Deshalb darf die Einſicht nur einen Schritt weiter gehen, ſo ergiebt ſich von ſelber, daß das Volks-Ich eine unperſönliche, „geiſtige“ Macht ſei, das — Geſetz. Das Ich des Volkes, dieß folgt daraus, iſt ein — Spuk, nicht ein Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h. daß nicht ein Anderer Mich macht, ſondem Ich mein eigen Werk ſein muß. Wie aber iſt es mit jenem Volks-Ich? Der Zufall ſpielt es dem Volke in die Hand, der Zufall giebt ihm dieſen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten ver¬ ſchaffen ihm den gewählten; er iſt nicht ſein, des „ſouverai¬ nen“ Volkes, Product, wie Ich mein Product bin. Denke Dir, man wollte Dir einreden, Du wäreſt nicht dein Ich, ſondern Hans oder Kunz wäre dein Ich! So aber geht's

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/314>, abgerufen am 27.04.2024.