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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Lediglich aus dem Grundsatze, daß alles Recht und alle
Gewalt der Gesammtheit des Volkes angehöre, gehen
sämmtliche Regierungsweisen hervor. Denn keine derselben
ermangelt dieser Berufung auf die Gesammtheit, und der Des¬
pot so gut als der Präsident oder irgend eine Aristokratie
u. s. w. handeln und befehlen "im Namen des Staates".
Sie sind im Besitze der "Staatsgewalt", und es ist völlig
gleichgültig, ob, wäre dieß möglich, das Volk als Gesammt¬
heit
alle Einzelnen, oder ob nur die Repräsentanten dieser Ge¬
sammtheit, seien deren Viele, wie in Aristokratien, oder Einer,
wie in Monarchien, diese Staats-Gewalt ausüben. Immer
ist die Gesammtheit über dem Einzelnen, und hat eine Ge¬
walt, welche berechtigt genannt, d. h. welche Recht ist.

Der Heiligkeit des Staates gegenüber ist der Einzelne
nur ein Gesäß der Unehre, in welchem "Uebermuth, Böswillig¬
keit, Spott- und Schmähsucht, Frivolität u. s. w." übrig
bleiben, sobald er jenes Heiligthum, den Staat, nicht aner¬
kennenswerth findet. Der geistliche Hochmuth der Staats-
Diener und Staats-Unterthanen hat köstliche Strafen gegen
den ungeistlichen "Uebermuth".

Wenn die Regierung alles Spiel des Geistes gegen den
Staat als strafbar bezeichnet, so kommen die gemäßigten Libe¬
ralen und meinen: Laune, Satyre, Witz, Humor u. s. w. mü߬
ten doch sprudeln dürfen, und das Genie müsse Freiheit ge¬
nießen. Also zwar nicht der einzelne Mensch, aber doch
das Genie soll frei sein. Ganz in seinem Rechte sagt da
der Staat, oder im Namen desselben die Regierung: Wer nicht
für mich ist, ist wider mich. Die Laune, der Witz u. s. w.,
kurz die Komödirung des Staatswesens hat die Staaten von
jeher untergraben: sie ist nicht "unschuldig". Und ferner, welche

Lediglich aus dem Grundſatze, daß alles Recht und alle
Gewalt der Geſammtheit des Volkes angehöre, gehen
ſämmtliche Regierungsweiſen hervor. Denn keine derſelben
ermangelt dieſer Berufung auf die Geſammtheit, und der Des¬
pot ſo gut als der Präſident oder irgend eine Ariſtokratie
u. ſ. w. handeln und befehlen „im Namen des Staates“.
Sie ſind im Beſitze der „Staatsgewalt“, und es iſt völlig
gleichgültig, ob, wäre dieß möglich, das Volk als Geſammt¬
heit
alle Einzelnen, oder ob nur die Repräſentanten dieſer Ge¬
ſammtheit, ſeien deren Viele, wie in Ariſtokratien, oder Einer,
wie in Monarchien, dieſe Staats-Gewalt ausüben. Immer
iſt die Geſammtheit über dem Einzelnen, und hat eine Ge¬
walt, welche berechtigt genannt, d. h. welche Recht iſt.

Der Heiligkeit des Staates gegenüber iſt der Einzelne
nur ein Geſäß der Unehre, in welchem „Uebermuth, Böswillig¬
keit, Spott- und Schmähſucht, Frivolität u. ſ. w.“ übrig
bleiben, ſobald er jenes Heiligthum, den Staat, nicht aner¬
kennenswerth findet. Der geiſtliche Hochmuth der Staats-
Diener und Staats-Unterthanen hat köſtliche Strafen gegen
den ungeiſtlichen „Uebermuth“.

Wenn die Regierung alles Spiel des Geiſtes gegen den
Staat als ſtrafbar bezeichnet, ſo kommen die gemäßigten Libe¬
ralen und meinen: Laune, Satyre, Witz, Humor u. ſ. w. mü߬
ten doch ſprudeln dürfen, und das Genie müſſe Freiheit ge¬
nießen. Alſo zwar nicht der einzelne Menſch, aber doch
das Genie ſoll frei ſein. Ganz in ſeinem Rechte ſagt da
der Staat, oder im Namen deſſelben die Regierung: Wer nicht
für mich iſt, iſt wider mich. Die Laune, der Witz u. ſ. w.,
kurz die Komödirung des Staatsweſens hat die Staaten von
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[260/0268] Lediglich aus dem Grundſatze, daß alles Recht und alle Gewalt der Geſammtheit des Volkes angehöre, gehen ſämmtliche Regierungsweiſen hervor. Denn keine derſelben ermangelt dieſer Berufung auf die Geſammtheit, und der Des¬ pot ſo gut als der Präſident oder irgend eine Ariſtokratie u. ſ. w. handeln und befehlen „im Namen des Staates“. Sie ſind im Beſitze der „Staatsgewalt“, und es iſt völlig gleichgültig, ob, wäre dieß möglich, das Volk als Geſammt¬ heit alle Einzelnen, oder ob nur die Repräſentanten dieſer Ge¬ ſammtheit, ſeien deren Viele, wie in Ariſtokratien, oder Einer, wie in Monarchien, dieſe Staats-Gewalt ausüben. Immer iſt die Geſammtheit über dem Einzelnen, und hat eine Ge¬ walt, welche berechtigt genannt, d. h. welche Recht iſt. Der Heiligkeit des Staates gegenüber iſt der Einzelne nur ein Geſäß der Unehre, in welchem „Uebermuth, Böswillig¬ keit, Spott- und Schmähſucht, Frivolität u. ſ. w.“ übrig bleiben, ſobald er jenes Heiligthum, den Staat, nicht aner¬ kennenswerth findet. Der geiſtliche Hochmuth der Staats- Diener und Staats-Unterthanen hat köſtliche Strafen gegen den ungeiſtlichen „Uebermuth“. Wenn die Regierung alles Spiel des Geiſtes gegen den Staat als ſtrafbar bezeichnet, ſo kommen die gemäßigten Libe¬ ralen und meinen: Laune, Satyre, Witz, Humor u. ſ. w. mü߬ ten doch ſprudeln dürfen, und das Genie müſſe Freiheit ge¬ nießen. Alſo zwar nicht der einzelne Menſch, aber doch das Genie ſoll frei ſein. Ganz in ſeinem Rechte ſagt da der Staat, oder im Namen deſſelben die Regierung: Wer nicht für mich iſt, iſt wider mich. Die Laune, der Witz u. ſ. w., kurz die Komödirung des Staatsweſens hat die Staaten von jeher untergraben: ſie iſt nicht „unſchuldig“. Und ferner, welche

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/268>, abgerufen am 26.04.2024.