wie Becker auf ihn. Während es aber unstatthaft ist, daß ein Sprachforscher in sprachwissenschaftlichen Dingen sich auf einen Philosophen beruft, ist es diesem durchaus gestattet, so oft sein Gegenstand es erfordert, sich auf eine bedeutende Erscheinung in der Sprachwissenschaft zu berufen. Bis jetzt aber ist das Ineinandergreifen der Grammatik und Logik, wie wir hier im Voraus bemerken wollen, nur unheilvoll für beide gewesen. Zu- rück zu Becker.
§. 23. Logik und Mechanik.
Wir wollten zeigen, wie der unorganische Charakter der Beckerschen Sprachbetrachtung dadurch seine volle Festigkeit erhielt, daß nicht nur die Form derselben, sondern auch ihr Inhalt logisch ist. Es kommt uns hier noch gar nicht darauf an, in so fern es sich nicht schon aus allem Vorhergehenden er- giebt, weiter darzuthun, wie dieses Verfahren, Logisches in die Grammatik zu ziehen, völlig falsch und für diese ein zerstören- der Irrthum war; es genügt uns hier zunächst und ist sehr wichtig, als ein abgelegtes Selbstbekenntniß Beckers in diesen Verhörsacten niederzuschreiben, daß er in der Sprache als dem organischen Leibe des Gedankens gefunden habe "die Gesetze des Denkens"; ja, daß er sagt: "alle Formen des Gedankens, aber auch nur diese stellen sich auch leiblich in der Sprache dar." Weil sich dies nach Beckers Sprachbetrachtung so verhält, so ist sie nach Inhalt und Form nicht organisch, wie Becker meint, sondern logisch, d. h. unorganisch. Denn die Logik ist nicht bloß deswegen unorganisch, weil der Gegensatz in ihr wie im Unorganischen von so hoher Bedeutung ist, daß man den Gegensatz der Begriffe für eine Dichotomie der Kräfte ansehen kann; sondern dies ist nur Folge einer tiefern Verwandtschaft. Wir nennen Physik und Chemie unorganische Wissenschaften, obwohl doch fast alle in ihnen behandelten Eigenschaften der Kör- per auch am organischen Leibe hervortreten, wie Wärme, Elek- tricität, Schwefel. Dies geschieht deshalb, weil jene Wissen- schaften diese Kräfte in ihrer Vereinzelung, in ihrer durch das Experiment bewirkten Analyse und Abstraction betrachten. Eben so treten zwar alle logischen Formen im organischen Gedanken auf; aber so wie sie Gegenstand der Logik sind, abgelöst aus der Concretion des Bewußtseins, rein und lediglich an sich, sind sie unorganisch. Der Name Analytik für Logik bei Aristoteles
wie Becker auf ihn. Während es aber unstatthaft ist, daß ein Sprachforscher in sprachwissenschaftlichen Dingen sich auf einen Philosophen beruft, ist es diesem durchaus gestattet, so oft sein Gegenstand es erfordert, sich auf eine bedeutende Erscheinung in der Sprachwissenschaft zu berufen. Bis jetzt aber ist das Ineinandergreifen der Grammatik und Logik, wie wir hier im Voraus bemerken wollen, nur unheilvoll für beide gewesen. Zu- rück zu Becker.
§. 23. Logik und Mechanik.
Wir wollten zeigen, wie der unorganische Charakter der Beckerschen Sprachbetrachtung dadurch seine volle Festigkeit erhielt, daß nicht nur die Form derselben, sondern auch ihr Inhalt logisch ist. Es kommt uns hier noch gar nicht darauf an, in so fern es sich nicht schon aus allem Vorhergehenden er- giebt, weiter darzuthun, wie dieses Verfahren, Logisches in die Grammatik zu ziehen, völlig falsch und für diese ein zerstören- der Irrthum war; es genügt uns hier zunächst und ist sehr wichtig, als ein abgelegtes Selbstbekenntniß Beckers in diesen Verhörsacten niederzuschreiben, daß er in der Sprache als dem organischen Leibe des Gedankens gefunden habe „die Gesetze des Denkens“; ja, daß er sagt: „alle Formen des Gedankens, aber auch nur diese stellen sich auch leiblich in der Sprache dar.“ Weil sich dies nach Beckers Sprachbetrachtung so verhält, so ist sie nach Inhalt und Form nicht organisch, wie Becker meint, sondern logisch, d. h. unorganisch. Denn die Logik ist nicht bloß deswegen unorganisch, weil der Gegensatz in ihr wie im Unorganischen von so hoher Bedeutung ist, daß man den Gegensatz der Begriffe für eine Dichotomie der Kräfte ansehen kann; sondern dies ist nur Folge einer tiefern Verwandtschaft. Wir nennen Physik und Chemie unorganische Wissenschaften, obwohl doch fast alle in ihnen behandelten Eigenschaften der Kör- per auch am organischen Leibe hervortreten, wie Wärme, Elek- tricität, Schwefel. Dies geschieht deshalb, weil jene Wissen- schaften diese Kräfte in ihrer Vereinzelung, in ihrer durch das Experiment bewirkten Analyse und Abstraction betrachten. Eben so treten zwar alle logischen Formen im organischen Gedanken auf; aber so wie sie Gegenstand der Logik sind, abgelöst aus der Concretion des Bewußtseins, rein und lediglich an sich, sind sie unorganisch. Der Name Analytik für Logik bei Aristoteles
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0092"n="54"/>
wie Becker auf ihn. Während es aber unstatthaft ist, daß ein<lb/>
Sprachforscher in sprachwissenschaftlichen Dingen sich auf einen<lb/>
Philosophen beruft, ist es diesem durchaus gestattet, so oft sein<lb/>
Gegenstand es erfordert, sich auf eine bedeutende Erscheinung<lb/>
in der Sprachwissenschaft zu berufen. Bis jetzt aber ist das<lb/>
Ineinandergreifen der Grammatik und Logik, wie wir hier im<lb/>
Voraus bemerken wollen, nur unheilvoll für beide gewesen. Zu-<lb/>
rück zu Becker.</p></div><lb/><divn="5"><head>§. 23. Logik und Mechanik.</head><lb/><p>Wir wollten zeigen, wie der unorganische Charakter der<lb/>
Beckerschen Sprachbetrachtung dadurch seine volle Festigkeit<lb/>
erhielt, daß nicht nur die <hirendition="#g">Form</hi> derselben, sondern auch ihr<lb/>
Inhalt logisch ist. Es kommt uns hier noch gar nicht darauf<lb/>
an, in so fern es sich nicht schon aus allem Vorhergehenden er-<lb/>
giebt, weiter darzuthun, wie dieses Verfahren, Logisches in die<lb/>
Grammatik zu ziehen, völlig falsch und für diese ein zerstören-<lb/>
der Irrthum war; es genügt uns hier zunächst und ist sehr<lb/>
wichtig, als ein abgelegtes Selbstbekenntniß Beckers in diesen<lb/>
Verhörsacten niederzuschreiben, daß er in der Sprache als dem<lb/>
organischen Leibe des Gedankens gefunden habe „die Gesetze<lb/>
des Denkens“; ja, daß er sagt: „alle Formen des Gedankens,<lb/>
aber auch <hirendition="#g">nur</hi> diese stellen sich auch leiblich in der Sprache<lb/>
dar.“ Weil sich dies nach Beckers Sprachbetrachtung so verhält,<lb/>
so ist sie nach Inhalt und Form nicht organisch, wie Becker<lb/>
meint, sondern logisch, d. h. unorganisch. Denn die Logik ist<lb/>
nicht bloß deswegen unorganisch, weil der Gegensatz in ihr wie<lb/>
im Unorganischen von so hoher Bedeutung ist, daß man den<lb/>
Gegensatz der Begriffe für eine Dichotomie der Kräfte ansehen<lb/>
kann; sondern dies ist nur Folge einer tiefern Verwandtschaft.<lb/>
Wir nennen Physik und Chemie unorganische Wissenschaften,<lb/>
obwohl doch fast alle in ihnen behandelten Eigenschaften der Kör-<lb/>
per auch am organischen Leibe hervortreten, wie Wärme, Elek-<lb/>
tricität, Schwefel. Dies geschieht deshalb, weil jene Wissen-<lb/>
schaften diese Kräfte in ihrer Vereinzelung, in ihrer durch das<lb/>
Experiment bewirkten Analyse und Abstraction betrachten. Eben<lb/>
so treten zwar alle logischen Formen im organischen Gedanken<lb/>
auf; aber so wie sie Gegenstand der Logik sind, abgelöst aus<lb/>
der Concretion des Bewußtseins, rein und lediglich an sich, sind<lb/>
sie unorganisch. Der Name Analytik für Logik bei Aristoteles<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[54/0092]
wie Becker auf ihn. Während es aber unstatthaft ist, daß ein
Sprachforscher in sprachwissenschaftlichen Dingen sich auf einen
Philosophen beruft, ist es diesem durchaus gestattet, so oft sein
Gegenstand es erfordert, sich auf eine bedeutende Erscheinung
in der Sprachwissenschaft zu berufen. Bis jetzt aber ist das
Ineinandergreifen der Grammatik und Logik, wie wir hier im
Voraus bemerken wollen, nur unheilvoll für beide gewesen. Zu-
rück zu Becker.
§. 23. Logik und Mechanik.
Wir wollten zeigen, wie der unorganische Charakter der
Beckerschen Sprachbetrachtung dadurch seine volle Festigkeit
erhielt, daß nicht nur die Form derselben, sondern auch ihr
Inhalt logisch ist. Es kommt uns hier noch gar nicht darauf
an, in so fern es sich nicht schon aus allem Vorhergehenden er-
giebt, weiter darzuthun, wie dieses Verfahren, Logisches in die
Grammatik zu ziehen, völlig falsch und für diese ein zerstören-
der Irrthum war; es genügt uns hier zunächst und ist sehr
wichtig, als ein abgelegtes Selbstbekenntniß Beckers in diesen
Verhörsacten niederzuschreiben, daß er in der Sprache als dem
organischen Leibe des Gedankens gefunden habe „die Gesetze
des Denkens“; ja, daß er sagt: „alle Formen des Gedankens,
aber auch nur diese stellen sich auch leiblich in der Sprache
dar.“ Weil sich dies nach Beckers Sprachbetrachtung so verhält,
so ist sie nach Inhalt und Form nicht organisch, wie Becker
meint, sondern logisch, d. h. unorganisch. Denn die Logik ist
nicht bloß deswegen unorganisch, weil der Gegensatz in ihr wie
im Unorganischen von so hoher Bedeutung ist, daß man den
Gegensatz der Begriffe für eine Dichotomie der Kräfte ansehen
kann; sondern dies ist nur Folge einer tiefern Verwandtschaft.
Wir nennen Physik und Chemie unorganische Wissenschaften,
obwohl doch fast alle in ihnen behandelten Eigenschaften der Kör-
per auch am organischen Leibe hervortreten, wie Wärme, Elek-
tricität, Schwefel. Dies geschieht deshalb, weil jene Wissen-
schaften diese Kräfte in ihrer Vereinzelung, in ihrer durch das
Experiment bewirkten Analyse und Abstraction betrachten. Eben
so treten zwar alle logischen Formen im organischen Gedanken
auf; aber so wie sie Gegenstand der Logik sind, abgelöst aus
der Concretion des Bewußtseins, rein und lediglich an sich, sind
sie unorganisch. Der Name Analytik für Logik bei Aristoteles
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/92>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.