Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

die Differenz also, die an sich selbst das Verbindende, der Zeu-
gungsgrund der organischen Einheit ist, soll doch nun erst noch
eines anderen Umstandes bedürfen, um zur Einheit verbunden
zu werden? Hierin liegt eine, freilich unbewußt gebliebene,
Selbstkritik Beckers zu Tage. Seine differenten Elemente bil-
den also keine organische Einheit, sondern stoßen sich unorga-
nisch von einander ab; werden durch eine ihnen fremde Macht
an einander gebunden, indem ihre Wirksamkeit gehemmt wird.
Wie also kommt nach Becker diese Einheit der sich gegenseitig
abstoßenden Elemente zu Stande? dadurch --, "daß das eine
Glied des Verhältnisses in das andere aufgenommen, und
das eine dem anderen untergeordnet wird." Dadurch? wie
wäre aber überhaupt nur dieser Vorgang möglich? Die beiden
Factoren des Gegensatzes sind nothwendig einander nebenge-
ordnet; wie soll man einen dem andern unterordnen können?
Sie stoßen sich ab; wie soll einer den andern in sich aufneh-
men? "Diese durch eine organische Unterordnung bewirkte Ver-
bindung des Differenten zu einer Einheit, die sich auf die man-
nigfaltigste Weise in den Begriffsverhältnissen des Gedankens
wiederholt, und die man als die logische Form des Gedan-
kens und aller Begriffsverhältnisse in dem Gedanken bezeichnen
kann..." Hier erklärt Becker selbst diese organische Einheit
für die logische; sie ist gar nicht die, welche in den wirkli-
chen Dingen lebt, sondern beruht darauf, daß zwei Begriffe nach
irgend einem logischen Merkmale in eine Beziehung versetzt
sind. Wie wir oben bei Becker den Gegensatz zur bloßen Ver-
schiedenheit herabsinken sahen, so hier die Einheit in gleicher
Weise. So erwarte man nun auch gar nicht, daß Beckers di-
chotomische Constructionen wirklich streng durchgeführt seien;
sie beruhen nur darauf, daß überhaupt zwei Begriffe auf einan-
der irgendwie logisch bezogen werden.

b) Grammatik und Logik.
§. 20. Logischer Formalismus.

So hat sich nun der unorganische Charakter der Becker-
schen Sprachbetrachtung näher als logischer Formalismus
erwiesen; der Gegensatz ist bloß Dichotomie, die Einheit logi-
sche Beziehung. Hiermit ist aber Becker schon gänzlich aus
seiner beabsichtigten Bahn seitwärts geschleudert. Er wollte
die Sprache als Naturproduct betrachten, eine Naturlehre (Phy-

die Differenz also, die an sich selbst das Verbindende, der Zeu-
gungsgrund der organischen Einheit ist, soll doch nun erst noch
eines anderen Umstandes bedürfen, um zur Einheit verbunden
zu werden? Hierin liegt eine, freilich unbewußt gebliebene,
Selbstkritik Beckers zu Tage. Seine differenten Elemente bil-
den also keine organische Einheit, sondern stoßen sich unorga-
nisch von einander ab; werden durch eine ihnen fremde Macht
an einander gebunden, indem ihre Wirksamkeit gehemmt wird.
Wie also kommt nach Becker diese Einheit der sich gegenseitig
abstoßenden Elemente zu Stande? dadurch —, „daß das eine
Glied des Verhältnisses in das andere aufgenommen, und
das eine dem anderen untergeordnet wird.“ Dadurch? wie
wäre aber überhaupt nur dieser Vorgang möglich? Die beiden
Factoren des Gegensatzes sind nothwendig einander nebenge-
ordnet; wie soll man einen dem andern unterordnen können?
Sie stoßen sich ab; wie soll einer den andern in sich aufneh-
men? „Diese durch eine organische Unterordnung bewirkte Ver-
bindung des Differenten zu einer Einheit, die sich auf die man-
nigfaltigste Weise in den Begriffsverhältnissen des Gedankens
wiederholt, und die man als die logische Form des Gedan-
kens und aller Begriffsverhältnisse in dem Gedanken bezeichnen
kann…“ Hier erklärt Becker selbst diese organische Einheit
für die logische; sie ist gar nicht die, welche in den wirkli-
chen Dingen lebt, sondern beruht darauf, daß zwei Begriffe nach
irgend einem logischen Merkmale in eine Beziehung versetzt
sind. Wie wir oben bei Becker den Gegensatz zur bloßen Ver-
schiedenheit herabsinken sahen, so hier die Einheit in gleicher
Weise. So erwarte man nun auch gar nicht, daß Beckers di-
chotomische Constructionen wirklich streng durchgeführt seien;
sie beruhen nur darauf, daß überhaupt zwei Begriffe auf einan-
der irgendwie logisch bezogen werden.

b) Grammatik und Logik.
§. 20. Logischer Formalismus.

So hat sich nun der unorganische Charakter der Becker-
schen Sprachbetrachtung näher als logischer Formalismus
erwiesen; der Gegensatz ist bloß Dichotomie, die Einheit logi-
sche Beziehung. Hiermit ist aber Becker schon gänzlich aus
seiner beabsichtigten Bahn seitwärts geschleudert. Er wollte
die Sprache als Naturproduct betrachten, eine Naturlehre (Phy-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0085" n="47"/>
die Differenz also, die an sich selbst das Verbindende, der Zeu-<lb/>
gungsgrund der organischen Einheit ist, soll doch nun erst noch<lb/>
eines anderen Umstandes bedürfen, um zur Einheit verbunden<lb/>
zu werden? Hierin liegt eine, freilich unbewußt gebliebene,<lb/>
Selbstkritik Beckers zu Tage. Seine differenten Elemente bil-<lb/>
den also keine organische Einheit, sondern stoßen sich unorga-<lb/>
nisch von einander ab; werden durch eine ihnen fremde Macht<lb/>
an einander gebunden, indem ihre Wirksamkeit gehemmt wird.<lb/>
Wie also kommt nach Becker diese Einheit der sich gegenseitig<lb/>
abstoßenden Elemente zu Stande? dadurch &#x2014;, &#x201E;daß das eine<lb/>
Glied des Verhältnisses in das andere <hi rendition="#g">aufgenommen,</hi> und<lb/>
das eine dem anderen <hi rendition="#g">untergeordnet</hi> wird.&#x201C; Dadurch? wie<lb/>
wäre aber überhaupt nur dieser Vorgang möglich? Die beiden<lb/>
Factoren des Gegensatzes sind nothwendig einander <hi rendition="#g">nebeng</hi>e-<lb/>
ordnet; wie soll man einen dem andern <hi rendition="#g">untero</hi>rdnen können?<lb/>
Sie stoßen sich ab; wie soll einer den andern in sich aufneh-<lb/>
men? &#x201E;Diese durch eine organische Unterordnung bewirkte Ver-<lb/>
bindung des Differenten zu einer Einheit, die sich auf die man-<lb/>
nigfaltigste Weise in den Begriffsverhältnissen des Gedankens<lb/>
wiederholt, und die man als die <hi rendition="#g">logische Form</hi> des Gedan-<lb/>
kens und aller Begriffsverhältnisse in dem Gedanken bezeichnen<lb/>
kann&#x2026;&#x201C; Hier erklärt Becker selbst diese organische Einheit<lb/>
für die <hi rendition="#g">logische;</hi> sie ist gar nicht die, welche in den wirkli-<lb/>
chen Dingen lebt, sondern beruht darauf, daß zwei Begriffe nach<lb/>
irgend einem logischen Merkmale in eine Beziehung versetzt<lb/>
sind. Wie wir oben bei Becker den Gegensatz zur bloßen Ver-<lb/>
schiedenheit herabsinken sahen, so hier die Einheit in gleicher<lb/>
Weise. So erwarte man nun auch gar nicht, daß Beckers di-<lb/>
chotomische Constructionen wirklich streng durchgeführt seien;<lb/>
sie beruhen nur darauf, daß überhaupt zwei Begriffe auf einan-<lb/>
der irgendwie logisch bezogen werden.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>b) Grammatik und Logik.</head><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 20. Logischer Formalismus.</head><lb/>
                <p>So hat sich nun der <hi rendition="#g">unorganische</hi> Charakter der Becker-<lb/>
schen Sprachbetrachtung näher als <hi rendition="#g">logischer Formalismus</hi><lb/>
erwiesen; der Gegensatz ist bloß Dichotomie, die Einheit logi-<lb/>
sche Beziehung. Hiermit ist aber Becker schon gänzlich aus<lb/>
seiner beabsichtigten Bahn seitwärts geschleudert. Er wollte<lb/>
die Sprache als Naturproduct betrachten, eine Naturlehre (Phy-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0085] die Differenz also, die an sich selbst das Verbindende, der Zeu- gungsgrund der organischen Einheit ist, soll doch nun erst noch eines anderen Umstandes bedürfen, um zur Einheit verbunden zu werden? Hierin liegt eine, freilich unbewußt gebliebene, Selbstkritik Beckers zu Tage. Seine differenten Elemente bil- den also keine organische Einheit, sondern stoßen sich unorga- nisch von einander ab; werden durch eine ihnen fremde Macht an einander gebunden, indem ihre Wirksamkeit gehemmt wird. Wie also kommt nach Becker diese Einheit der sich gegenseitig abstoßenden Elemente zu Stande? dadurch —, „daß das eine Glied des Verhältnisses in das andere aufgenommen, und das eine dem anderen untergeordnet wird.“ Dadurch? wie wäre aber überhaupt nur dieser Vorgang möglich? Die beiden Factoren des Gegensatzes sind nothwendig einander nebenge- ordnet; wie soll man einen dem andern unterordnen können? Sie stoßen sich ab; wie soll einer den andern in sich aufneh- men? „Diese durch eine organische Unterordnung bewirkte Ver- bindung des Differenten zu einer Einheit, die sich auf die man- nigfaltigste Weise in den Begriffsverhältnissen des Gedankens wiederholt, und die man als die logische Form des Gedan- kens und aller Begriffsverhältnisse in dem Gedanken bezeichnen kann…“ Hier erklärt Becker selbst diese organische Einheit für die logische; sie ist gar nicht die, welche in den wirkli- chen Dingen lebt, sondern beruht darauf, daß zwei Begriffe nach irgend einem logischen Merkmale in eine Beziehung versetzt sind. Wie wir oben bei Becker den Gegensatz zur bloßen Ver- schiedenheit herabsinken sahen, so hier die Einheit in gleicher Weise. So erwarte man nun auch gar nicht, daß Beckers di- chotomische Constructionen wirklich streng durchgeführt seien; sie beruhen nur darauf, daß überhaupt zwei Begriffe auf einan- der irgendwie logisch bezogen werden. b) Grammatik und Logik. §. 20. Logischer Formalismus. So hat sich nun der unorganische Charakter der Becker- schen Sprachbetrachtung näher als logischer Formalismus erwiesen; der Gegensatz ist bloß Dichotomie, die Einheit logi- sche Beziehung. Hiermit ist aber Becker schon gänzlich aus seiner beabsichtigten Bahn seitwärts geschleudert. Er wollte die Sprache als Naturproduct betrachten, eine Naturlehre (Phy-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/85
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/85>, abgerufen am 22.12.2024.