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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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gebnisse ist sie dazu unfähig, da sie nun mit dem Organismus
selbst das zu Definirende wird und nicht in die Definition ein-
treten darf. Welche Unklarheit muß einen Begriff umhüllen,
dessen erklärendes Merkmal herausgerissen und als das zu Er-
klärende hingestellt ist. Und ein solcher Begriff soll als Princip
dienen!

§. 9. Umschlag des Organismus in sein Gegentheil.

Wir haben bisher nur die Dunkelheit und Unbestimmtheit
des Beckerschen Princips kennen gelernt, noch nicht sein Um-
schlagen, also noch nicht eigentlich Falsches. Doch dies kann
unmöglich ausbleiben. Das Unbestimmte ist nicht festzuhalten.
Begrenzt und bestimmt aber wird ein Begriff nur durch den
entgegengesetzten; wird er von dem nicht scharf geschieden, so
schlägt er in ihn um, da er mit ihm zu sehr verwandt, ja im
Grunde genommen identisch ist. Beckers Begriff des Orga-
nismus nun hat sein Wesen im Zweck, also seinen Gegensatz
in der causalen Naturbetrachtung. Die in letzterer hervortreten-
den Kategorien sind Ursache und Wirkung, Kraft und Aeuße-
rung; und gerade hier vorzüglich gelten die Bestimmungen der
Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit. Bei Spinoza, der nur
die Ursache gelten läßt, herrscht darum auch ausschließlich die
Nothwendigkeit, welche sich wegen ihrer Unwandelbarkeit in
Gesetze fassen läßt. Diese Momente aber gerade, die Noth-
wendigkeit und Gesetzmäßigkeit, sind es, welche bei Becker
fast ausschließlich als Merkmale des Organischen hervortreten;
denn das Moment des Natürlichen wird nichtssagend, wenn es
mit organisch gleichbedeutend wird, und der Zweck schwindet
bis auf wenige Anklänge und hohle Phrasen gänzlich aus Beckers
Betrachtungsweise. So haben wir schon gelesen, daß das Or-
ganische von dem Werke menschlicher Erfindung und Kunst
dadurch geschieden wird, daß dieses durch Willkür, jenes aber
mit Nothwendigkeit entstanden sei.

Es kommt noch Folgendes hinzu. Die ursächliche Betrach-
tung wird dort vorzüglich angewendet werden, wo wir den Zweck
nicht vollständig erkennen, oder wo er so niedrig ist, daß er
die Ursachen in ihrer vereinzelten, blinden Wirkung wenig oder
gar nicht hemmt; und sie wird auch absichtlich einseitig verfolgt
werden müssen, um die Verhältnisse der ursächlichen Wirkungs-
weise, durch welche allein sich der Zweck verwirklichen kann,
an sich genau zu erforschen. Wie will man begreifen, was sie

gebnisse ist sie dazu unfähig, da sie nun mit dem Organismus
selbst das zu Definirende wird und nicht in die Definition ein-
treten darf. Welche Unklarheit muß einen Begriff umhüllen,
dessen erklärendes Merkmal herausgerissen und als das zu Er-
klärende hingestellt ist. Und ein solcher Begriff soll als Princip
dienen!

§. 9. Umschlag des Organismus in sein Gegentheil.

Wir haben bisher nur die Dunkelheit und Unbestimmtheit
des Beckerschen Princips kennen gelernt, noch nicht sein Um-
schlagen, also noch nicht eigentlich Falsches. Doch dies kann
unmöglich ausbleiben. Das Unbestimmte ist nicht festzuhalten.
Begrenzt und bestimmt aber wird ein Begriff nur durch den
entgegengesetzten; wird er von dem nicht scharf geschieden, so
schlägt er in ihn um, da er mit ihm zu sehr verwandt, ja im
Grunde genommen identisch ist. Beckers Begriff des Orga-
nismus nun hat sein Wesen im Zweck, also seinen Gegensatz
in der causalen Naturbetrachtung. Die in letzterer hervortreten-
den Kategorien sind Ursache und Wirkung, Kraft und Aeuße-
rung; und gerade hier vorzüglich gelten die Bestimmungen der
Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit. Bei Spinoza, der nur
die Ursache gelten läßt, herrscht darum auch ausschließlich die
Nothwendigkeit, welche sich wegen ihrer Unwandelbarkeit in
Gesetze fassen läßt. Diese Momente aber gerade, die Noth-
wendigkeit und Gesetzmäßigkeit, sind es, welche bei Becker
fast ausschließlich als Merkmale des Organischen hervortreten;
denn das Moment des Natürlichen wird nichtssagend, wenn es
mit organisch gleichbedeutend wird, und der Zweck schwindet
bis auf wenige Anklänge und hohle Phrasen gänzlich aus Beckers
Betrachtungsweise. So haben wir schon gelesen, daß das Or-
ganische von dem Werke menschlicher Erfindung und Kunst
dadurch geschieden wird, daß dieses durch Willkür, jenes aber
mit Nothwendigkeit entstanden sei.

Es kommt noch Folgendes hinzu. Die ursächliche Betrach-
tung wird dort vorzüglich angewendet werden, wo wir den Zweck
nicht vollständig erkennen, oder wo er so niedrig ist, daß er
die Ursachen in ihrer vereinzelten, blinden Wirkung wenig oder
gar nicht hemmt; und sie wird auch absichtlich einseitig verfolgt
werden müssen, um die Verhältnisse der ursächlichen Wirkungs-
weise, durch welche allein sich der Zweck verwirklichen kann,
an sich genau zu erforschen. Wie will man begreifen, was sie

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[15/0053] gebnisse ist sie dazu unfähig, da sie nun mit dem Organismus selbst das zu Definirende wird und nicht in die Definition ein- treten darf. Welche Unklarheit muß einen Begriff umhüllen, dessen erklärendes Merkmal herausgerissen und als das zu Er- klärende hingestellt ist. Und ein solcher Begriff soll als Princip dienen! §. 9. Umschlag des Organismus in sein Gegentheil. Wir haben bisher nur die Dunkelheit und Unbestimmtheit des Beckerschen Princips kennen gelernt, noch nicht sein Um- schlagen, also noch nicht eigentlich Falsches. Doch dies kann unmöglich ausbleiben. Das Unbestimmte ist nicht festzuhalten. Begrenzt und bestimmt aber wird ein Begriff nur durch den entgegengesetzten; wird er von dem nicht scharf geschieden, so schlägt er in ihn um, da er mit ihm zu sehr verwandt, ja im Grunde genommen identisch ist. Beckers Begriff des Orga- nismus nun hat sein Wesen im Zweck, also seinen Gegensatz in der causalen Naturbetrachtung. Die in letzterer hervortreten- den Kategorien sind Ursache und Wirkung, Kraft und Aeuße- rung; und gerade hier vorzüglich gelten die Bestimmungen der Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit. Bei Spinoza, der nur die Ursache gelten läßt, herrscht darum auch ausschließlich die Nothwendigkeit, welche sich wegen ihrer Unwandelbarkeit in Gesetze fassen läßt. Diese Momente aber gerade, die Noth- wendigkeit und Gesetzmäßigkeit, sind es, welche bei Becker fast ausschließlich als Merkmale des Organischen hervortreten; denn das Moment des Natürlichen wird nichtssagend, wenn es mit organisch gleichbedeutend wird, und der Zweck schwindet bis auf wenige Anklänge und hohle Phrasen gänzlich aus Beckers Betrachtungsweise. So haben wir schon gelesen, daß das Or- ganische von dem Werke menschlicher Erfindung und Kunst dadurch geschieden wird, daß dieses durch Willkür, jenes aber mit Nothwendigkeit entstanden sei. Es kommt noch Folgendes hinzu. Die ursächliche Betrach- tung wird dort vorzüglich angewendet werden, wo wir den Zweck nicht vollständig erkennen, oder wo er so niedrig ist, daß er die Ursachen in ihrer vereinzelten, blinden Wirkung wenig oder gar nicht hemmt; und sie wird auch absichtlich einseitig verfolgt werden müssen, um die Verhältnisse der ursächlichen Wirkungs- weise, durch welche allein sich der Zweck verwirklichen kann, an sich genau zu erforschen. Wie will man begreifen, was sie

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/53>, abgerufen am 21.11.2024.