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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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sollten Stoff und Form unterscheiden können. Auch hat Heyse,
der Beckers falsche Unterscheidungsweise von Stoff und Form
verwirft, aber nach einer vorgenommenen Verbesserung beibe-
halten will, den Unterschied, wie mir scheint, durchaus nicht
aufrecht erhalten können; er verschwindet ihm unter den Hän-
den. Betrachten wir die Mundhöhle als das Sprachinstrument,
welches den Hauch zum Tönen bringt, so ist die Articulation
den Vorgängen gleichzustellen, durch welche beim Blasinstru-
ment die Röhre verlängert oder verkürzt wird. So mögen wir
leicht am Instrument Stoff und Form scheiden; aber am Ton
ist weder Stoff, noch Form.

§. 121. Unterschied von tenuis und media.

Rücksichtlich der Einzelheiten sei noch einmal auf Heyse
verwiesen. Nur zwei Punkte will ich hier hervorheben. Daß
der Unterschied zwischen b und p auf der Intensität beruht,
nimmt auch Heyse an; er bezieht dieselbe auf die stärkere oder
gelindere Stemmung der Organe (a. a. O. S. 57 f.), und mit Recht.
Wir glauben aber eben darum auch Recht zu haben, wenn wir
sie zugleich auf den Hanch beziehen, wodurch wir Heyses und
Müllers Ansicht vereinen. Je intensiver sich die Organe gegen
einander stemmen, desto intensiver muß der Stoß des Hauches
sein, der sie von einander drängt; und umgekehrt kann sich bei
gelinder Stemmung kein starker Hauch bilden. Auf die gelinde
Stemmung der Lippen bei b folgt also ein gelinder Hauch, Spi-
ritus lenis; auf die kräftige Stemmung bei p nothwendig ein
starker Hauch, der Asper. "Stärkere Explosion" ohne starken
Hauch, p mit Sp. lenis, ist nicht möglich. Man halte die Fin-
ger vor den Mund, spreche den Lenis und b, den Asper und p,
und vergleiche die Stärke des Eindruckes, den der Hauch in
diesen Fällen auf die Finger macht.

Rücksichtlich des von Heyse gegen Müller vorgebrachten
Einwandes, daß b + h nicht p, sondern bh giebt, und daß h
auch zu p tritt und ph bildet, bemerken wir, daß dieser Ein-
wand mindestens unsere hier vorgetragene Auffassung nicht trifft;
denn wir sagen nicht b + sp. a. = p; sondern Lippenarticula-
tion mit sp. a. giebt p, und da nun b schon Lippenarticulation
mit sp. len. ist, so sagen wir: b -- sp. l. + sp. a. = p, während
b + sp. a. allerdings = bh. Das heißt also, b und p unterschei-
den sich nicht durch den vollen sp. a., sondern nur durch so
viel Hauch, als der Asper den Lenis übertrifft. Lippenarticu-

sollten Stoff und Form unterscheiden können. Auch hat Heyse,
der Beckers falsche Unterscheidungsweise von Stoff und Form
verwirft, aber nach einer vorgenommenen Verbesserung beibe-
halten will, den Unterschied, wie mir scheint, durchaus nicht
aufrecht erhalten können; er verschwindet ihm unter den Hän-
den. Betrachten wir die Mundhöhle als das Sprachinstrument,
welches den Hauch zum Tönen bringt, so ist die Articulation
den Vorgängen gleichzustellen, durch welche beim Blasinstru-
ment die Röhre verlängert oder verkürzt wird. So mögen wir
leicht am Instrument Stoff und Form scheiden; aber am Ton
ist weder Stoff, noch Form.

§. 121. Unterschied von tenuis und media.

Rücksichtlich der Einzelheiten sei noch einmal auf Heyse
verwiesen. Nur zwei Punkte will ich hier hervorheben. Daß
der Unterschied zwischen b und p auf der Intensität beruht,
nimmt auch Heyse an; er bezieht dieselbe auf die stärkere oder
gelindere Stemmung der Organe (a. a. O. S. 57 f.), und mit Recht.
Wir glauben aber eben darum auch Recht zu haben, wenn wir
sie zugleich auf den Hanch beziehen, wodurch wir Heyses und
Müllers Ansicht vereinen. Je intensiver sich die Organe gegen
einander stemmen, desto intensiver muß der Stoß des Hauches
sein, der sie von einander drängt; und umgekehrt kann sich bei
gelinder Stemmung kein starker Hauch bilden. Auf die gelinde
Stemmung der Lippen bei b folgt also ein gelinder Hauch, Spi-
ritus lenis; auf die kräftige Stemmung bei p nothwendig ein
starker Hauch, der Asper. „Stärkere Explosion“ ohne starken
Hauch, p mit Sp. lenis, ist nicht möglich. Man halte die Fin-
ger vor den Mund, spreche den Lenis und b, den Asper und p,
und vergleiche die Stärke des Eindruckes, den der Hauch in
diesen Fällen auf die Finger macht.

Rücksichtlich des von Heyse gegen Müller vorgebrachten
Einwandes, daß b + h nicht p, sondern bh giebt, und daß h
auch zu p tritt und ph bildet, bemerken wir, daß dieser Ein-
wand mindestens unsere hier vorgetragene Auffassung nicht trifft;
denn wir sagen nicht b + sp. a. = p; sondern Lippenarticula-
tion mit sp. a. giebt p, und da nun b schon Lippenarticulation
mit sp. len. ist, so sagen wir: b — sp. l. + sp. a. = p, während
b + sp. a. allerdings = bh. Das heißt also, b und p unterschei-
den sich nicht durch den vollen sp. a., sondern nur durch so
viel Hauch, als der Asper den Lenis übertrifft. Lippenarticu-

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[352/0390] sollten Stoff und Form unterscheiden können. Auch hat Heyse, der Beckers falsche Unterscheidungsweise von Stoff und Form verwirft, aber nach einer vorgenommenen Verbesserung beibe- halten will, den Unterschied, wie mir scheint, durchaus nicht aufrecht erhalten können; er verschwindet ihm unter den Hän- den. Betrachten wir die Mundhöhle als das Sprachinstrument, welches den Hauch zum Tönen bringt, so ist die Articulation den Vorgängen gleichzustellen, durch welche beim Blasinstru- ment die Röhre verlängert oder verkürzt wird. So mögen wir leicht am Instrument Stoff und Form scheiden; aber am Ton ist weder Stoff, noch Form. §. 121. Unterschied von tenuis und media. Rücksichtlich der Einzelheiten sei noch einmal auf Heyse verwiesen. Nur zwei Punkte will ich hier hervorheben. Daß der Unterschied zwischen b und p auf der Intensität beruht, nimmt auch Heyse an; er bezieht dieselbe auf die stärkere oder gelindere Stemmung der Organe (a. a. O. S. 57 f.), und mit Recht. Wir glauben aber eben darum auch Recht zu haben, wenn wir sie zugleich auf den Hanch beziehen, wodurch wir Heyses und Müllers Ansicht vereinen. Je intensiver sich die Organe gegen einander stemmen, desto intensiver muß der Stoß des Hauches sein, der sie von einander drängt; und umgekehrt kann sich bei gelinder Stemmung kein starker Hauch bilden. Auf die gelinde Stemmung der Lippen bei b folgt also ein gelinder Hauch, Spi- ritus lenis; auf die kräftige Stemmung bei p nothwendig ein starker Hauch, der Asper. „Stärkere Explosion“ ohne starken Hauch, p mit Sp. lenis, ist nicht möglich. Man halte die Fin- ger vor den Mund, spreche den Lenis und b, den Asper und p, und vergleiche die Stärke des Eindruckes, den der Hauch in diesen Fällen auf die Finger macht. Rücksichtlich des von Heyse gegen Müller vorgebrachten Einwandes, daß b + h nicht p, sondern bh giebt, und daß h auch zu p tritt und ph bildet, bemerken wir, daß dieser Ein- wand mindestens unsere hier vorgetragene Auffassung nicht trifft; denn wir sagen nicht b + sp. a. = p; sondern Lippenarticula- tion mit sp. a. giebt p, und da nun b schon Lippenarticulation mit sp. len. ist, so sagen wir: b — sp. l. + sp. a. = p, während b + sp. a. allerdings = bh. Das heißt also, b und p unterschei- den sich nicht durch den vollen sp. a., sondern nur durch so viel Hauch, als der Asper den Lenis übertrifft. Lippenarticu-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/390>, abgerufen am 21.11.2024.