§. 111. Fernere Betrachtungen über die Leistungen der Sprache für das Denken.
Ehe wir diesen Abschnitt abschließen, wollen wir noch Her- bart hören von der Wirkung der Sprache (a. a. O.): "Etwas schwerer" (als die Entstehung der Sprache) "mag die Frage von der Wirkung der Sprache sein; doch hat man auch hievon zu viel Aufhebens gemacht. Daß man vermittelst der Spra- che denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern" (d. h. ihr Wortlaut) "mit den Begriffen complicirt ist ... Die Summe aber, oder der Grad des Vorstellens, oder die Innigkeit der Ver- bindung unter den Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirksamkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täuschung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann daher entstehen, weil, nachdem alle andern Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll" (Hier haben wir das Gegenstück zu Becker, dem die Wortschö- pfung gleich gilt mit der Ideenschöpfung. Jedes dieser Extreme gereicht dem andern zur Entschuldigung). "So bildet sich wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch außer der Mutter- sprache, gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniß des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen kann!" Einen solchen "Einen" möchte ich kennen. In Deutsch- land lebt er schwerlich! wo man nicht einmal, wenn man das Ding nicht in der Muttersprache zu benennen weiß, einen Man- gel fühlt.
Man sieht übrigens von selbst, daß dieser Stelle die aller- niedrigste Ansicht von der Sprache zu Grunde liegt. Die Spra- che ist also "ein Ballast", von dem gar nicht eingesehen wer- den kann, wie der Mensch dazu kommt. Sie ist eben darum auch als ein Uebel anzusehen: "Aller Vortheil der Sprache be- ruht auf dem geselligen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Ver- längerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedan- ken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hierdurch treten für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, -- die- jenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, -- scheinbar in einen Rang. Daher so viel thörichter Wortkram, und so
§. 111. Fernere Betrachtungen über die Leistungen der Sprache für das Denken.
Ehe wir diesen Abschnitt abschließen, wollen wir noch Her- bart hören von der Wirkung der Sprache (a. a. O.): „Etwas schwerer“ (als die Entstehung der Sprache) „mag die Frage von der Wirkung der Sprache sein; doch hat man auch hievon zu viel Aufhebens gemacht. Daß man vermittelst der Spra- che denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern“ (d. h. ihr Wortlaut) „mit den Begriffen complicirt ist … Die Summe aber, oder der Grad des Vorstellens, oder die Innigkeit der Ver- bindung unter den Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirksamkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täuschung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann daher entstehen, weil, nachdem alle andern Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll“ (Hier haben wir das Gegenstück zu Becker, dem die Wortschö- pfung gleich gilt mit der Ideenschöpfung. Jedes dieser Extreme gereicht dem andern zur Entschuldigung). „So bildet sich wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch außer der Mutter- sprache, gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniß des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen kann!“ Einen solchen „Einen“ möchte ich kennen. In Deutsch- land lebt er schwerlich! wo man nicht einmal, wenn man das Ding nicht in der Muttersprache zu benennen weiß, einen Man- gel fühlt.
Man sieht übrigens von selbst, daß dieser Stelle die aller- niedrigste Ansicht von der Sprache zu Grunde liegt. Die Spra- che ist also „ein Ballast“, von dem gar nicht eingesehen wer- den kann, wie der Mensch dazu kommt. Sie ist eben darum auch als ein Uebel anzusehen: „Aller Vortheil der Sprache be- ruht auf dem geselligen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Ver- längerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedan- ken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hierdurch treten für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, — die- jenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, — scheinbar in einen Rang. Daher so viel thörichter Wortkram, und so
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§. 111. Fernere Betrachtungen über die Leistungen der Sprache für das
Denken.
Ehe wir diesen Abschnitt abschließen, wollen wir noch Her-
bart hören von der Wirkung der Sprache (a. a. O.): „Etwas
schwerer“ (als die Entstehung der Sprache) „mag die Frage
von der Wirkung der Sprache sein; doch hat man auch hievon
zu viel Aufhebens gemacht. Daß man vermittelst der Spra-
che denke, ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die
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Wortlaut) „mit den Begriffen complicirt ist … Die Summe
aber, oder der Grad des Vorstellens, oder die Innigkeit der Ver-
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die Wirksamkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im
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ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann
daher entstehen, weil, nachdem alle andern Dinge den Ballast
eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu
fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll“
(Hier haben wir das Gegenstück zu Becker, dem die Wortschö-
pfung gleich gilt mit der Ideenschöpfung. Jedes dieser Extreme
gereicht dem andern zur Entschuldigung). „So bildet sich wohl
auch Einer, der eine fremde Sprache, noch außer der Mutter-
sprache, gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniß
des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen
kann!“ Einen solchen „Einen“ möchte ich kennen. In Deutsch-
land lebt er schwerlich! wo man nicht einmal, wenn man das
Ding nicht in der Muttersprache zu benennen weiß, einen Man-
gel fühlt.
Man sieht übrigens von selbst, daß dieser Stelle die aller-
niedrigste Ansicht von der Sprache zu Grunde liegt. Die Spra-
che ist also „ein Ballast“, von dem gar nicht eingesehen wer-
den kann, wie der Mensch dazu kommt. Sie ist eben darum
auch als ein Uebel anzusehen: „Aller Vortheil der Sprache be-
ruht auf dem geselligen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Ver-
längerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der
Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedan-
ken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hierdurch treten
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/370>, abgerufen am 21.11.2024.
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