men von Gesichts-, Tast- und Gehörempfindungen sind, so ist diese bestimmte Weise der Summirung schon eine Form, welche die Seele zu den Empfindungen hinzuthut. Daß wir nicht bloß keine andern Empfindungen hinzuzählen, sondern auch gerade diese in solcher Weise vereinigen; daß wir die gelbe Farbe mit solchem Klange und Gewichte u. s. w., als Gold, die weiße Farbe mit anderm Klange und Gewichte, und nicht mit jenen, als Sil- ber zusammenfassen: das ist schon Formthätigkeit der Seele. Eben so die räumlichen geometrischen Formen. Indessen alle diese Formen, die schon bei der Anschauung auftreten, haben ihren Grund in den Objecten selbst; diese sind es, welche die Seele zwingen, die Empfindungen in solchen bestimmten Formen aufzu- fassen; es sind Formen der Objecte selbst, nicht Formen der Auffassung der Objecte, nicht Formen des Denkens; materiale Formen, möchte ich sagen, nicht formale; Bestimmungen am Stoffe, Bestimmungen des Gedachten, nicht der Denkthätigkeit.
Erst mit der Vorstellung, erst mit dem Selbstbewußtsein, zunächst nur dem instinctiven, treten Formbestimmungen des Denkens auf; denn erst hier wird das Denken rein thätig, wäh- rend es in der Wahrnehmung nur empfängt, leidet. Mit der Vorstellung beginnt die selbstthätige Entwickelung des Denkens auf seinem eigenen Boden. Hier beginnen die eigenthümlichen Operationen des Denkens mit dem Erkenntnißschatze, den die Seele durch die Sinne von der Außenwelt erlangt hat; und die- ser Anfang liegt in der Sprache.
§. 108. Benennungen als erste Form der Sätze.
Wir stellen uns nun den Urmenschen oder das Kind vor, die menschliche Seele, der alle Dinge noch neu genug sind, deren Sinne noch frisch genug sind, um am bloßen Wahrneh- men der Dinge ihre Freude zu haben, wie sich die Glieder ihres Leibes an der bloßen nutzlosen Spielbewegung erfreuen. Ihre Erkenntniß ergeht sich munter im Wiedererkennen schon gese- hener Dinge und im Aufsuchen und Auffassen neuer; das heißt: im Benennen der Dinge. "Das ist das!" und "was ist das?" dies sind die allgemeinen Kategorien, in denen sich dieses Den- ken bewegt; wirklich sprachlich aber treten hier die Ausrufe- Sätze auf: Hund! (oder Wauwau) Kuh! Auch wir brechen in solche Ausrufesätze aus, sobald wir bei dem Erkennen eines Din- ges in Affect gerathen, weil es uns angenehm oder unangenehm ist, weil wir es anfangs nicht erkennen konnten, oder es nicht
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men von Gesichts-, Tast- und Gehörempfindungen sind, so ist diese bestimmte Weise der Summirung schon eine Form, welche die Seele zu den Empfindungen hinzuthut. Daß wir nicht bloß keine andern Empfindungen hinzuzählen, sondern auch gerade diese in solcher Weise vereinigen; daß wir die gelbe Farbe mit solchem Klange und Gewichte u. s. w., als Gold, die weiße Farbe mit anderm Klange und Gewichte, und nicht mit jenen, als Sil- ber zusammenfassen: das ist schon Formthätigkeit der Seele. Eben so die räumlichen geometrischen Formen. Indessen alle diese Formen, die schon bei der Anschauung auftreten, haben ihren Grund in den Objecten selbst; diese sind es, welche die Seele zwingen, die Empfindungen in solchen bestimmten Formen aufzu- fassen; es sind Formen der Objecte selbst, nicht Formen der Auffassung der Objecte, nicht Formen des Denkens; materiale Formen, möchte ich sagen, nicht formale; Bestimmungen am Stoffe, Bestimmungen des Gedachten, nicht der Denkthätigkeit.
Erst mit der Vorstellung, erst mit dem Selbstbewußtsein, zunächst nur dem instinctiven, treten Formbestimmungen des Denkens auf; denn erst hier wird das Denken rein thätig, wäh- rend es in der Wahrnehmung nur empfängt, leidet. Mit der Vorstellung beginnt die selbstthätige Entwickelung des Denkens auf seinem eigenen Boden. Hier beginnen die eigenthümlichen Operationen des Denkens mit dem Erkenntnißschatze, den die Seele durch die Sinne von der Außenwelt erlangt hat; und die- ser Anfang liegt in der Sprache.
§. 108. Benennungen als erste Form der Sätze.
Wir stellen uns nun den Urmenschen oder das Kind vor, die menschliche Seele, der alle Dinge noch neu genug sind, deren Sinne noch frisch genug sind, um am bloßen Wahrneh- men der Dinge ihre Freude zu haben, wie sich die Glieder ihres Leibes an der bloßen nutzlosen Spielbewegung erfreuen. Ihre Erkenntniß ergeht sich munter im Wiedererkennen schon gese- hener Dinge und im Aufsuchen und Auffassen neuer; das heißt: im Benennen der Dinge. „Das ist das!“ und „was ist das?“ dies sind die allgemeinen Kategorien, in denen sich dieses Den- ken bewegt; wirklich sprachlich aber treten hier die Ausrufe- Sätze auf: Hund! (oder Wauwau) Kuh! Auch wir brechen in solche Ausrufesätze aus, sobald wir bei dem Erkennen eines Din- ges in Affect gerathen, weil es uns angenehm oder unangenehm ist, weil wir es anfangs nicht erkennen konnten, oder es nicht
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men von Gesichts-, Tast- und Gehörempfindungen sind, so ist
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die Seele zu den Empfindungen hinzuthut. Daß wir nicht bloß
keine andern Empfindungen hinzuzählen, sondern auch gerade
diese in solcher Weise vereinigen; daß wir die gelbe Farbe mit
solchem Klange und Gewichte u. s. w., als Gold, die weiße Farbe
mit anderm Klange und Gewichte, und nicht mit jenen, als Sil-
ber zusammenfassen: das ist schon Formthätigkeit der Seele.
Eben so die räumlichen geometrischen Formen. Indessen alle diese
Formen, die schon bei der Anschauung auftreten, haben ihren
Grund in den Objecten selbst; diese sind es, welche die Seele
zwingen, die Empfindungen in solchen bestimmten Formen aufzu-
fassen; es sind Formen der Objecte selbst, nicht Formen der
Auffassung der Objecte, nicht Formen des Denkens; materiale
Formen, möchte ich sagen, nicht formale; Bestimmungen am
Stoffe, Bestimmungen des Gedachten, nicht der Denkthätigkeit.
Erst mit der Vorstellung, erst mit dem Selbstbewußtsein,
zunächst nur dem instinctiven, treten Formbestimmungen des
Denkens auf; denn erst hier wird das Denken rein thätig, wäh-
rend es in der Wahrnehmung nur empfängt, leidet. Mit der
Vorstellung beginnt die selbstthätige Entwickelung des Denkens
auf seinem eigenen Boden. Hier beginnen die eigenthümlichen
Operationen des Denkens mit dem Erkenntnißschatze, den die
Seele durch die Sinne von der Außenwelt erlangt hat; und die-
ser Anfang liegt in der Sprache.
§. 108. Benennungen als erste Form der Sätze.
Wir stellen uns nun den Urmenschen oder das Kind vor,
die menschliche Seele, der alle Dinge noch neu genug sind,
deren Sinne noch frisch genug sind, um am bloßen Wahrneh-
men der Dinge ihre Freude zu haben, wie sich die Glieder ihres
Leibes an der bloßen nutzlosen Spielbewegung erfreuen. Ihre
Erkenntniß ergeht sich munter im Wiedererkennen schon gese-
hener Dinge und im Aufsuchen und Auffassen neuer; das heißt:
im Benennen der Dinge. „Das ist das!“ und „was ist das?“
dies sind die allgemeinen Kategorien, in denen sich dieses Den-
ken bewegt; wirklich sprachlich aber treten hier die Ausrufe-
Sätze auf: Hund! (oder Wauwau) Kuh! Auch wir brechen in
solche Ausrufesätze aus, sobald wir bei dem Erkennen eines Din-
ges in Affect gerathen, weil es uns angenehm oder unangenehm
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/361>, abgerufen am 03.12.2024.
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