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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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stimmte und begrenzte Gefühle, und immer von Gefühlen be-
gleitet sind. Das die Anschauung begleitende Gefühl also ist
das Schöpferische in der Sprache; denn nur dieses setzt Stimme
und articulirende Organe in Bewegung. In der ursprünglichen
Sprache, auf der Stufe der Onomatopöie, ist das Gefühl das
eigentlich Tönende; und weil dieses ein viel bestimmteres Ge-
fühl ist, als bloß Lust und Schmerz im Allgemeinen, weil es
ein ganz besonderes, auf eigenthümlichen Associationen und be-
grenzten Empfindungen beruhendes Gefühl ist: darum wirkt es
auch in viel feinerer, begrenzterer Weise nicht bloß auf den
Athem, sondern auch auf einzelne Organe, und bringt dadurch
nicht ein unbestimmtes Aechzen, Schluchzen, Lachen, sondern
eine Articulation hervor. Die bestimmte Articulation als bloße
Reflexbewegung einer Anschauung hat nicht mehr Räthselhaftes,
als der verschiedene Gesichtsausdruck bei verschiedenen leiden-
schaftlichen und Gefühls-Erregungen, welcher Ausdruck, bei ge-
bildeten Menschen sehr fein abgeschattet, immer nur durch
denselben physiognomischen Gesichtsnerv (N. facialis) hervorge-
bracht wird.

Diese Betrachtung dient uns erstlich dazu, unsere Defini-
tion von der Sprache zu vervollständigen. Wenn wir aber die
Sprache als eine pathologische Reflexbewegung auffaßten, so
haben wir damit die allgemeine Classe der physiologischen Er-
scheinungen erkannt, zu der die Sprache gehörte; haben das
Genus proximum der Sprache angegeben. Damit aber ist die
Definition erst halb gegeben; wir verlangen noch das specifische
Merkmal, und dies ist nun gefunden. Sprache ist diejenige
pathognomische Reflexbewegung, welche auf rein
theoretische Anschauungen erfolgt,
was vermittelst ge-
wisser mit den Anschauungen in mannigfacher Weise verbun-
dener Gefühle geschieht.

§. 99. Inhalt der innern Sprachform auf der Stufe der Onomatopöie.

Indem nun das Bewußtsein die Anschauung anschaut und
gerade, während sie dies thut, zugleich den reflectirten Laut
wahrnimmt: so associirt sich nicht bloß der Laut mit der An-
schauung im Bewußtsein; sondern die Anschauung erhält auch
nur den Werth, den der Laut von ihr verkündet. Das Be-
wußtsein erfaßt von dem ganzen Inhalte der Anschauung na-
türlich nur das, was sich ihm durch den Laut in einer gegen-
wärtigen Wahrnehmung so lebendig aufdrängt. Indem sich die

stimmte und begrenzte Gefühle, und immer von Gefühlen be-
gleitet sind. Das die Anschauung begleitende Gefühl also ist
das Schöpferische in der Sprache; denn nur dieses setzt Stimme
und articulirende Organe in Bewegung. In der ursprünglichen
Sprache, auf der Stufe der Onomatopöie, ist das Gefühl das
eigentlich Tönende; und weil dieses ein viel bestimmteres Ge-
fühl ist, als bloß Lust und Schmerz im Allgemeinen, weil es
ein ganz besonderes, auf eigenthümlichen Associationen und be-
grenzten Empfindungen beruhendes Gefühl ist: darum wirkt es
auch in viel feinerer, begrenzterer Weise nicht bloß auf den
Athem, sondern auch auf einzelne Organe, und bringt dadurch
nicht ein unbestimmtes Aechzen, Schluchzen, Lachen, sondern
eine Articulation hervor. Die bestimmte Articulation als bloße
Reflexbewegung einer Anschauung hat nicht mehr Räthselhaftes,
als der verschiedene Gesichtsausdruck bei verschiedenen leiden-
schaftlichen und Gefühls-Erregungen, welcher Ausdruck, bei ge-
bildeten Menschen sehr fein abgeschattet, immer nur durch
denselben physiognomischen Gesichtsnerv (N. facialis) hervorge-
bracht wird.

Diese Betrachtung dient uns erstlich dazu, unsere Defini-
tion von der Sprache zu vervollständigen. Wenn wir aber die
Sprache als eine pathologische Reflexbewegung auffaßten, so
haben wir damit die allgemeine Classe der physiologischen Er-
scheinungen erkannt, zu der die Sprache gehörte; haben das
Genus proximum der Sprache angegeben. Damit aber ist die
Definition erst halb gegeben; wir verlangen noch das specifische
Merkmal, und dies ist nun gefunden. Sprache ist diejenige
pathognomische Reflexbewegung, welche auf rein
theoretische Anschauungen erfolgt,
was vermittelst ge-
wisser mit den Anschauungen in mannigfacher Weise verbun-
dener Gefühle geschieht.

§. 99. Inhalt der innern Sprachform auf der Stufe der Onomatopöie.

Indem nun das Bewußtsein die Anschauung anschaut und
gerade, während sie dies thut, zugleich den reflectirten Laut
wahrnimmt: so associirt sich nicht bloß der Laut mit der An-
schauung im Bewußtsein; sondern die Anschauung erhält auch
nur den Werth, den der Laut von ihr verkündet. Das Be-
wußtsein erfaßt von dem ganzen Inhalte der Anschauung na-
türlich nur das, was sich ihm durch den Laut in einer gegen-
wärtigen Wahrnehmung so lebendig aufdrängt. Indem sich die

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[311/0349] stimmte und begrenzte Gefühle, und immer von Gefühlen be- gleitet sind. Das die Anschauung begleitende Gefühl also ist das Schöpferische in der Sprache; denn nur dieses setzt Stimme und articulirende Organe in Bewegung. In der ursprünglichen Sprache, auf der Stufe der Onomatopöie, ist das Gefühl das eigentlich Tönende; und weil dieses ein viel bestimmteres Ge- fühl ist, als bloß Lust und Schmerz im Allgemeinen, weil es ein ganz besonderes, auf eigenthümlichen Associationen und be- grenzten Empfindungen beruhendes Gefühl ist: darum wirkt es auch in viel feinerer, begrenzterer Weise nicht bloß auf den Athem, sondern auch auf einzelne Organe, und bringt dadurch nicht ein unbestimmtes Aechzen, Schluchzen, Lachen, sondern eine Articulation hervor. Die bestimmte Articulation als bloße Reflexbewegung einer Anschauung hat nicht mehr Räthselhaftes, als der verschiedene Gesichtsausdruck bei verschiedenen leiden- schaftlichen und Gefühls-Erregungen, welcher Ausdruck, bei ge- bildeten Menschen sehr fein abgeschattet, immer nur durch denselben physiognomischen Gesichtsnerv (N. facialis) hervorge- bracht wird. Diese Betrachtung dient uns erstlich dazu, unsere Defini- tion von der Sprache zu vervollständigen. Wenn wir aber die Sprache als eine pathologische Reflexbewegung auffaßten, so haben wir damit die allgemeine Classe der physiologischen Er- scheinungen erkannt, zu der die Sprache gehörte; haben das Genus proximum der Sprache angegeben. Damit aber ist die Definition erst halb gegeben; wir verlangen noch das specifische Merkmal, und dies ist nun gefunden. Sprache ist diejenige pathognomische Reflexbewegung, welche auf rein theoretische Anschauungen erfolgt, was vermittelst ge- wisser mit den Anschauungen in mannigfacher Weise verbun- dener Gefühle geschieht. §. 99. Inhalt der innern Sprachform auf der Stufe der Onomatopöie. Indem nun das Bewußtsein die Anschauung anschaut und gerade, während sie dies thut, zugleich den reflectirten Laut wahrnimmt: so associirt sich nicht bloß der Laut mit der An- schauung im Bewußtsein; sondern die Anschauung erhält auch nur den Werth, den der Laut von ihr verkündet. Das Be- wußtsein erfaßt von dem ganzen Inhalte der Anschauung na- türlich nur das, was sich ihm durch den Laut in einer gegen- wärtigen Wahrnehmung so lebendig aufdrängt. Indem sich die

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/349>, abgerufen am 21.11.2024.