Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

her geschieht es, daß in der Sprache sehr häufig Formen, wel-
che die Arten der Begriffe ausdrücken, an die Stelle solcher
Formen treten, welche Verhältnisse der Gedanken ausdrücken,
z. B. Ableitungsformen an die Stelle syntaktischer Formen, und
umgekehrt" (S. 154), und "oft wird ein wirkliches Urtheil des
Sprechenden nur in der Form eines Attributes" (also ein Ge-
danke als Gedankenverhältniß) "dargestellt, z. B. ""Weg mit
diesem weichlichen Mitleiden!"" (Dieses Mitleiden ist weich-
lich, darum weg damit). ""Er zieht diesen undankbaren Sohn
allen andern vor"" (Er ist undankbar, und doch zieht er ihn
vor)" (S. 266.). Hierin sehen wir ein Zugeständniß der Auto-
nomie der Sprache dem Gedanken gegenüber; Becker nimmt
aber daran keinen Anstoß, und seine Bemerkung, daß sowohl
die Entwickelung der Begriffe, als die der Sätze darauf beruhe,
"daß Besonderes unter ein Allgemeines aufgenommen, und All-
gemeines wieder auf Besonderes zurückgeführt wird" (S. 153),
kann weder zur Erklärung, noch zur Entschuldigung solcher Ver-
tauschungen dienen.

§. 74. Das Object.

Kommen wir jetzt zum Object. Die Logik kennt weder
den Begriff, noch das Wort Object. In der Metaphysik da-
gegen spielt das Object eine bedeutende Rolle; denn hier han-
delt es sich nicht mehr, mindestens nicht mehr bloß, um das
subjective Denken, wie in der Logik, sondern um das objective
Denken, d. h. um das auf das Object, die Wirklichkeit, bezo-
gene subjective Denken. Diese Bemerkung genügt nun aber
auch schon, um die völlige Verschiedenheit der metaphysischen
Kategorie Object von der gleichnamigen grammatischen er-
kennen zu lassen. Das metaphysische Object steht dem Subject,
d. h. der Denkthätigkeit gegenüber. Das logische und das gram-
matische Subject ist gerade das metaphysische Object; und das
metaphysische Subject, das Denken, ist Object, d. h. Gegen-
stand der Betrachtung, für die Logik. In der Grammatik aber
-- es genügt hier, dies nur ganz allgemein zu bemerken -- spie-
len Subject und Object abermals eine ganz andere Rolle, als in
der Metaphysik und in der Logik. In einer jeden dieser drei
Wissenschaften haben also Subject und Object eine andere Be-
deutung, ein anderes Wesen, als in der andern; und die Weise,
wie sie in der einen bestimmt werden, darf nicht in die andere
übertragen werden.

her geschieht es, daß in der Sprache sehr häufig Formen, wel-
che die Arten der Begriffe ausdrücken, an die Stelle solcher
Formen treten, welche Verhältnisse der Gedanken ausdrücken,
z. B. Ableitungsformen an die Stelle syntaktischer Formen, und
umgekehrt“ (S. 154), und „oft wird ein wirkliches Urtheil des
Sprechenden nur in der Form eines Attributes“ (also ein Ge-
danke als Gedankenverhältniß) „dargestellt, z. B. „„Weg mit
diesem weichlichen Mitleiden!““ (Dieses Mitleiden ist weich-
lich, darum weg damit). „„Er zieht diesen undankbaren Sohn
allen andern vor““ (Er ist undankbar, und doch zieht er ihn
vor)“ (S. 266.). Hierin sehen wir ein Zugeständniß der Auto-
nomie der Sprache dem Gedanken gegenüber; Becker nimmt
aber daran keinen Anstoß, und seine Bemerkung, daß sowohl
die Entwickelung der Begriffe, als die der Sätze darauf beruhe,
„daß Besonderes unter ein Allgemeines aufgenommen, und All-
gemeines wieder auf Besonderes zurückgeführt wird“ (S. 153),
kann weder zur Erklärung, noch zur Entschuldigung solcher Ver-
tauschungen dienen.

§. 74. Das Object.

Kommen wir jetzt zum Object. Die Logik kennt weder
den Begriff, noch das Wort Object. In der Metaphysik da-
gegen spielt das Object eine bedeutende Rolle; denn hier han-
delt es sich nicht mehr, mindestens nicht mehr bloß, um das
subjective Denken, wie in der Logik, sondern um das objective
Denken, d. h. um das auf das Object, die Wirklichkeit, bezo-
gene subjective Denken. Diese Bemerkung genügt nun aber
auch schon, um die völlige Verschiedenheit der metaphysischen
Kategorie Object von der gleichnamigen grammatischen er-
kennen zu lassen. Das metaphysische Object steht dem Subject,
d. h. der Denkthätigkeit gegenüber. Das logische und das gram-
matische Subject ist gerade das metaphysische Object; und das
metaphysische Subject, das Denken, ist Object, d. h. Gegen-
stand der Betrachtung, für die Logik. In der Grammatik aber
— es genügt hier, dies nur ganz allgemein zu bemerken — spie-
len Subject und Object abermals eine ganz andere Rolle, als in
der Metaphysik und in der Logik. In einer jeden dieser drei
Wissenschaften haben also Subject und Object eine andere Be-
deutung, ein anderes Wesen, als in der andern; und die Weise,
wie sie in der einen bestimmt werden, darf nicht in die andere
übertragen werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0227" n="189"/>
her geschieht es, daß in der Sprache sehr häufig Formen, wel-<lb/>
che die Arten der <hi rendition="#g">Begriffe</hi> ausdrücken, an die Stelle solcher<lb/>
Formen treten, welche Verhältnisse der <hi rendition="#g">Gedanken</hi> ausdrücken,<lb/>
z. B. Ableitungsformen an die Stelle syntaktischer Formen, und<lb/>
umgekehrt&#x201C; (S. 154), und &#x201E;oft wird ein wirkliches Urtheil des<lb/>
Sprechenden nur in der Form eines Attributes&#x201C; (also ein Ge-<lb/>
danke als Gedankenverhältniß) &#x201E;<hi rendition="#g">dargestellt,</hi> z. B. &#x201E;&#x201E;Weg mit<lb/>
diesem <hi rendition="#i">weichlichen</hi> Mitleiden!&#x201C;&#x201C; (Dieses Mitleiden ist weich-<lb/>
lich, darum weg damit). &#x201E;&#x201E;Er zieht diesen <hi rendition="#i">undankbaren</hi> Sohn<lb/>
allen andern vor&#x201C;&#x201C; (Er ist undankbar, und doch zieht er ihn<lb/>
vor)&#x201C; (S. 266.). Hierin sehen wir ein Zugeständniß der Auto-<lb/>
nomie der Sprache dem Gedanken gegenüber; Becker nimmt<lb/>
aber daran keinen Anstoß, und seine Bemerkung, daß sowohl<lb/>
die Entwickelung der Begriffe, als die der Sätze darauf beruhe,<lb/>
&#x201E;daß Besonderes unter ein Allgemeines aufgenommen, und All-<lb/>
gemeines wieder auf Besonderes zurückgeführt wird&#x201C; (S. 153),<lb/>
kann weder zur Erklärung, noch zur Entschuldigung solcher Ver-<lb/>
tauschungen dienen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 74. Das Object.</head><lb/>
              <p>Kommen wir jetzt zum <hi rendition="#g">Object</hi>. Die Logik kennt weder<lb/>
den Begriff, noch das Wort <hi rendition="#g">Object</hi>. In der Metaphysik da-<lb/>
gegen spielt das Object eine bedeutende Rolle; denn hier han-<lb/>
delt es sich nicht mehr, mindestens nicht mehr bloß, um das<lb/>
subjective Denken, wie in der Logik, sondern um das objective<lb/>
Denken, d. h. um das auf das Object, die Wirklichkeit, bezo-<lb/>
gene subjective Denken. Diese Bemerkung genügt nun aber<lb/>
auch schon, um die völlige Verschiedenheit der metaphysischen<lb/>
Kategorie <hi rendition="#g">Object</hi> von der gleichnamigen grammatischen er-<lb/>
kennen zu lassen. Das metaphysische Object steht dem Subject,<lb/>
d. h. der Denkthätigkeit gegenüber. Das logische und das gram-<lb/>
matische Subject ist gerade das metaphysische Object; und das<lb/>
metaphysische Subject, das Denken, ist Object, d. h. Gegen-<lb/>
stand der Betrachtung, für die Logik. In der Grammatik aber<lb/>
&#x2014; es genügt hier, dies nur ganz allgemein zu bemerken &#x2014; spie-<lb/>
len Subject und Object abermals eine ganz andere Rolle, als in<lb/>
der Metaphysik und in der Logik. In einer jeden dieser drei<lb/>
Wissenschaften haben also Subject und Object eine andere Be-<lb/>
deutung, ein anderes Wesen, als in der andern; und die Weise,<lb/>
wie sie in der einen bestimmt werden, darf nicht in die andere<lb/>
übertragen werden.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0227] her geschieht es, daß in der Sprache sehr häufig Formen, wel- che die Arten der Begriffe ausdrücken, an die Stelle solcher Formen treten, welche Verhältnisse der Gedanken ausdrücken, z. B. Ableitungsformen an die Stelle syntaktischer Formen, und umgekehrt“ (S. 154), und „oft wird ein wirkliches Urtheil des Sprechenden nur in der Form eines Attributes“ (also ein Ge- danke als Gedankenverhältniß) „dargestellt, z. B. „„Weg mit diesem weichlichen Mitleiden!““ (Dieses Mitleiden ist weich- lich, darum weg damit). „„Er zieht diesen undankbaren Sohn allen andern vor““ (Er ist undankbar, und doch zieht er ihn vor)“ (S. 266.). Hierin sehen wir ein Zugeständniß der Auto- nomie der Sprache dem Gedanken gegenüber; Becker nimmt aber daran keinen Anstoß, und seine Bemerkung, daß sowohl die Entwickelung der Begriffe, als die der Sätze darauf beruhe, „daß Besonderes unter ein Allgemeines aufgenommen, und All- gemeines wieder auf Besonderes zurückgeführt wird“ (S. 153), kann weder zur Erklärung, noch zur Entschuldigung solcher Ver- tauschungen dienen. §. 74. Das Object. Kommen wir jetzt zum Object. Die Logik kennt weder den Begriff, noch das Wort Object. In der Metaphysik da- gegen spielt das Object eine bedeutende Rolle; denn hier han- delt es sich nicht mehr, mindestens nicht mehr bloß, um das subjective Denken, wie in der Logik, sondern um das objective Denken, d. h. um das auf das Object, die Wirklichkeit, bezo- gene subjective Denken. Diese Bemerkung genügt nun aber auch schon, um die völlige Verschiedenheit der metaphysischen Kategorie Object von der gleichnamigen grammatischen er- kennen zu lassen. Das metaphysische Object steht dem Subject, d. h. der Denkthätigkeit gegenüber. Das logische und das gram- matische Subject ist gerade das metaphysische Object; und das metaphysische Subject, das Denken, ist Object, d. h. Gegen- stand der Betrachtung, für die Logik. In der Grammatik aber — es genügt hier, dies nur ganz allgemein zu bemerken — spie- len Subject und Object abermals eine ganz andere Rolle, als in der Metaphysik und in der Logik. In einer jeden dieser drei Wissenschaften haben also Subject und Object eine andere Be- deutung, ein anderes Wesen, als in der andern; und die Weise, wie sie in der einen bestimmt werden, darf nicht in die andere übertragen werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/227
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/227>, abgerufen am 21.11.2024.