mindeste Handhabe. Wir hätten nichts dagegen, wenn jemand ein Wurzellexikon nach der Beckerschen Begriffsentwicklung ordnete; diese Ordnung wäre eben so wissenschaftlich wie die alphabetische, sei diese nach dem An- oder Auslaute gemacht; denn beide sind gleich künstlich. Die Sprache weiß nichts von einer Anordnung nach Buchstaben, ja sie weiß nicht einmal etwas von Buchstaben: und eben so wenig kennt sie eine Begriffsableitung, ja nur überhaupt Begriffe. Sie deutet die im Beckerschen Systeme dargestellten Verwandtschafts- und Ablei- tungsverhältnisse durchaus nicht in einer Weise an, aus welcher zu schließen wäre, sie habe wirklich dieses System befolgt, sei nach ihm gebildet, das System gehöre ihr an. Wir haben über Beckers Wurzelsystem schon ausführlich gesprochen und die trostlose Verwirrung dargelegt, in die er gerathen ist. Hier nur noch eine Bemerkung. Das ursprünglichste Wort, weil der ur- sprünglichste Begriff, soll nach Becker die Bewegung sein. Nun fragen wir: welche Sprache hat denn wohl für "Bewegung" ein ursprüngliches Wort? Bewegung ist eine Abstraction, welche die Sprache erst durch Cultur erhalten hat. Ueberhaupt aber würde die Voraussetzung, daß die Wurzeln sich so, wie sie in Beckers System an einander gereiht sind, auch in zeitlicher Ord- nung entwickelt haben -- und eine Genesis der Wurzeln hat die zeitliche Entwickelung darzulegen -- gar zu lächerliche Fol- gerungen veranlassen.
Wenn der Wurzelschatz einer Sprache ein System ist, wie Humboldt ausgesprochen hat, so ist sein Princip, seine schöpfe- rische Einheit ganz wo anders zu suchen, als in der logisch-me- taphysischen Deduction der Begriffe. Denn diese Begriffe ha- ben mit den Wörtern nichts zu thun.
§. 65. Wort- und Begriffsverhältnisse.
Wir haben hier die Begriffe an sich und ihren sprachlichen Ausdruck, die Wurzeln, an sich betrachtet und sie als verschie- denartigen Wesens erkannt. Verschiedene Wesen haben noth- wendig auch verschiedene Verhältnisse und Beziehungen; folglich sind die logischen und metaphysischen Verhältnisse und Bezie- hungen des Begriffes andere, als die grammatischen der Wurzel. Das wollen wir näher betrachten.
Zunächst die Wortbildung und Wortableitung. Hier tref- fen wir sogleich auf Unterscheidungen der Wörter, denen die Logik keine entsprechende Unterscheidungen der Begriffe gegen-
mindeste Handhabe. Wir hätten nichts dagegen, wenn jemand ein Wurzellexikon nach der Beckerschen Begriffsentwicklung ordnete; diese Ordnung wäre eben so wissenschaftlich wie die alphabetische, sei diese nach dem An- oder Auslaute gemacht; denn beide sind gleich künstlich. Die Sprache weiß nichts von einer Anordnung nach Buchstaben, ja sie weiß nicht einmal etwas von Buchstaben: und eben so wenig kennt sie eine Begriffsableitung, ja nur überhaupt Begriffe. Sie deutet die im Beckerschen Systeme dargestellten Verwandtschafts- und Ablei- tungsverhältnisse durchaus nicht in einer Weise an, aus welcher zu schließen wäre, sie habe wirklich dieses System befolgt, sei nach ihm gebildet, das System gehöre ihr an. Wir haben über Beckers Wurzelsystem schon ausführlich gesprochen und die trostlose Verwirrung dargelegt, in die er gerathen ist. Hier nur noch eine Bemerkung. Das ursprünglichste Wort, weil der ur- sprünglichste Begriff, soll nach Becker die Bewegung sein. Nun fragen wir: welche Sprache hat denn wohl für „Bewegung“ ein ursprüngliches Wort? Bewegung ist eine Abstraction, welche die Sprache erst durch Cultur erhalten hat. Ueberhaupt aber würde die Voraussetzung, daß die Wurzeln sich so, wie sie in Beckers System an einander gereiht sind, auch in zeitlicher Ord- nung entwickelt haben — und eine Genesis der Wurzeln hat die zeitliche Entwickelung darzulegen — gar zu lächerliche Fol- gerungen veranlassen.
Wenn der Wurzelschatz einer Sprache ein System ist, wie Humboldt ausgesprochen hat, so ist sein Princip, seine schöpfe- rische Einheit ganz wo anders zu suchen, als in der logisch-me- taphysischen Deduction der Begriffe. Denn diese Begriffe ha- ben mit den Wörtern nichts zu thun.
§. 65. Wort- und Begriffsverhältnisse.
Wir haben hier die Begriffe an sich und ihren sprachlichen Ausdruck, die Wurzeln, an sich betrachtet und sie als verschie- denartigen Wesens erkannt. Verschiedene Wesen haben noth- wendig auch verschiedene Verhältnisse und Beziehungen; folglich sind die logischen und metaphysischen Verhältnisse und Bezie- hungen des Begriffes andere, als die grammatischen der Wurzel. Das wollen wir näher betrachten.
Zunächst die Wortbildung und Wortableitung. Hier tref- fen wir sogleich auf Unterscheidungen der Wörter, denen die Logik keine entsprechende Unterscheidungen der Begriffe gegen-
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mindeste Handhabe. Wir hätten nichts dagegen, wenn jemand
ein Wurzellexikon nach der Beckerschen Begriffsentwicklung
ordnete; diese Ordnung wäre eben so wissenschaftlich wie die
alphabetische, sei diese nach dem An- oder Auslaute gemacht;
denn beide sind gleich künstlich. Die Sprache weiß nichts
von einer Anordnung nach Buchstaben, ja sie weiß nicht einmal
etwas von Buchstaben: und eben so wenig kennt sie eine
Begriffsableitung, ja nur überhaupt Begriffe. Sie deutet die im
Beckerschen Systeme dargestellten Verwandtschafts- und Ablei-
tungsverhältnisse durchaus nicht in einer Weise an, aus welcher
zu schließen wäre, sie habe wirklich dieses System befolgt, sei
nach ihm gebildet, das System gehöre ihr an. Wir haben über
Beckers Wurzelsystem schon ausführlich gesprochen und die
trostlose Verwirrung dargelegt, in die er gerathen ist. Hier nur
noch eine Bemerkung. Das ursprünglichste Wort, weil der ur-
sprünglichste Begriff, soll nach Becker die Bewegung sein. Nun
fragen wir: welche Sprache hat denn wohl für „Bewegung“ ein
ursprüngliches Wort? Bewegung ist eine Abstraction, welche
die Sprache erst durch Cultur erhalten hat. Ueberhaupt aber
würde die Voraussetzung, daß die Wurzeln sich so, wie sie in
Beckers System an einander gereiht sind, auch in zeitlicher Ord-
nung entwickelt haben — und eine Genesis der Wurzeln hat
die zeitliche Entwickelung darzulegen — gar zu lächerliche Fol-
gerungen veranlassen.
Wenn der Wurzelschatz einer Sprache ein System ist, wie
Humboldt ausgesprochen hat, so ist sein Princip, seine schöpfe-
rische Einheit ganz wo anders zu suchen, als in der logisch-me-
taphysischen Deduction der Begriffe. Denn diese Begriffe ha-
ben mit den Wörtern nichts zu thun.
§. 65. Wort- und Begriffsverhältnisse.
Wir haben hier die Begriffe an sich und ihren sprachlichen
Ausdruck, die Wurzeln, an sich betrachtet und sie als verschie-
denartigen Wesens erkannt. Verschiedene Wesen haben noth-
wendig auch verschiedene Verhältnisse und Beziehungen; folglich
sind die logischen und metaphysischen Verhältnisse und Bezie-
hungen des Begriffes andere, als die grammatischen der Wurzel.
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/204>, abgerufen am 21.11.2024.
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