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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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nämlich auf Kenntniß des Lesens und Schreibens, oder, wenn
man will, auf die Lautlehre und die schematische Zusammen-
stellung der Wortformen.

Je größeres Gewicht wir auf diesen Vorwurf legen, den
wir hier Becker machen, die Grammatik gestrichen und mit der
Logik vertauscht zu haben: um so sorgfältiger haben wir zuzu-
sehen, ob nicht Becker irgend eine Seite an der Sprache gefun-
den hat, welche einen Unterschied zwischen Grammatik und Lo-
gik begründen und ersterer ein besonderes Dasein verleihen könnte.

Wir haben aber zuvor noch einen andern Punkt zu erwäh-
nen, der mit dem vorliegenden eng zusammenhängt. Die Gram-
matiker haben zu allen Zeiten eine größere oder geringere Ver-
schiedenheit der Grammatiken der einzelnen Sprachen zugestan-
den. Wenn aber das, was man für Grammatik ausgab, nach
Becker vielmehr Logik ist, so versteht sich von selbst, daß diese
Unterschiede in den Sprachen nicht existiren können; daß der
Bedeutung nach die Sprachformen in allen Sprachen durchaus
dieselben sein müssen. Der Begriff des menschlichen Denkens
kann sich nur in einer gesetzmäßig organischen Weise beson-
dert haben, und es kann der organischen Freiheit nur rücksicht-
lich des lautlichen Ausdruckes Raum gestattet werden. Mit dem
Satze "die Logik ist nur eine" wäre auch zugleich ausgesprochen,
daß alle Sprachen in der Bedeutung ihrer Formen übereinstim-
men. Wir haben also auch zugleich zu sehen, wie sich Becker
zu dieser Gleichheit der Sprachen verhält.

§. 40. Mangel eines grammatischen Princips.

Schon in der Vorrede stoßen wir auf Sätze, welche rück-
sichtlich des vorliegenden Punktes Bedenken erregen. Becker
sagt (S. XIV.): "Da die Sprache von der sinnlichen Anschau-
ung ausgeht und den Gedanken wieder in sinnlicher Anschau-
lichkeit darstellt; so haben auch die eigentlichen Denkgesetze
als solche keinen besondern Ausdruck, sondern werden unter die
Anschauungsformen gestellt." Auch sonst wird oft von Becker
darauf hingewiesen, daß die Sprache "ursprünglich von der
sinnlichen Anschauung ausgeht", und damit manches, was als
Schnitzer gegen die Logik gelten müßte, entschuldigt oder auch
erklärt. Wir fragen aber Becker: wie ist es denn möglich, wenn
anders die Sprache die organische Verleiblichung des Gedankens
ist, daß die Anschauung zwar als Anschauung, aber nicht auch
der Begriff und die Formen des Denkens als Begriff und als

nämlich auf Kenntniß des Lesens und Schreibens, oder, wenn
man will, auf die Lautlehre und die schematische Zusammen-
stellung der Wortformen.

Je größeres Gewicht wir auf diesen Vorwurf legen, den
wir hier Becker machen, die Grammatik gestrichen und mit der
Logik vertauscht zu haben: um so sorgfältiger haben wir zuzu-
sehen, ob nicht Becker irgend eine Seite an der Sprache gefun-
den hat, welche einen Unterschied zwischen Grammatik und Lo-
gik begründen und ersterer ein besonderes Dasein verleihen könnte.

Wir haben aber zuvor noch einen andern Punkt zu erwäh-
nen, der mit dem vorliegenden eng zusammenhängt. Die Gram-
matiker haben zu allen Zeiten eine größere oder geringere Ver-
schiedenheit der Grammatiken der einzelnen Sprachen zugestan-
den. Wenn aber das, was man für Grammatik ausgab, nach
Becker vielmehr Logik ist, so versteht sich von selbst, daß diese
Unterschiede in den Sprachen nicht existiren können; daß der
Bedeutung nach die Sprachformen in allen Sprachen durchaus
dieselben sein müssen. Der Begriff des menschlichen Denkens
kann sich nur in einer gesetzmäßig organischen Weise beson-
dert haben, und es kann der organischen Freiheit nur rücksicht-
lich des lautlichen Ausdruckes Raum gestattet werden. Mit dem
Satze „die Logik ist nur eine“ wäre auch zugleich ausgesprochen,
daß alle Sprachen in der Bedeutung ihrer Formen übereinstim-
men. Wir haben also auch zugleich zu sehen, wie sich Becker
zu dieser Gleichheit der Sprachen verhält.

§. 40. Mangel eines grammatischen Princips.

Schon in der Vorrede stoßen wir auf Sätze, welche rück-
sichtlich des vorliegenden Punktes Bedenken erregen. Becker
sagt (S. XIV.): „Da die Sprache von der sinnlichen Anschau-
ung ausgeht und den Gedanken wieder in sinnlicher Anschau-
lichkeit darstellt; so haben auch die eigentlichen Denkgesetze
als solche keinen besondern Ausdruck, sondern werden unter die
Anschauungsformen gestellt.“ Auch sonst wird oft von Becker
darauf hingewiesen, daß die Sprache „ursprünglich von der
sinnlichen Anschauung ausgeht“, und damit manches, was als
Schnitzer gegen die Logik gelten müßte, entschuldigt oder auch
erklärt. Wir fragen aber Becker: wie ist es denn möglich, wenn
anders die Sprache die organische Verleiblichung des Gedankens
ist, daß die Anschauung zwar als Anschauung, aber nicht auch
der Begriff und die Formen des Denkens als Begriff und als

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[98/0136] nämlich auf Kenntniß des Lesens und Schreibens, oder, wenn man will, auf die Lautlehre und die schematische Zusammen- stellung der Wortformen. Je größeres Gewicht wir auf diesen Vorwurf legen, den wir hier Becker machen, die Grammatik gestrichen und mit der Logik vertauscht zu haben: um so sorgfältiger haben wir zuzu- sehen, ob nicht Becker irgend eine Seite an der Sprache gefun- den hat, welche einen Unterschied zwischen Grammatik und Lo- gik begründen und ersterer ein besonderes Dasein verleihen könnte. Wir haben aber zuvor noch einen andern Punkt zu erwäh- nen, der mit dem vorliegenden eng zusammenhängt. Die Gram- matiker haben zu allen Zeiten eine größere oder geringere Ver- schiedenheit der Grammatiken der einzelnen Sprachen zugestan- den. Wenn aber das, was man für Grammatik ausgab, nach Becker vielmehr Logik ist, so versteht sich von selbst, daß diese Unterschiede in den Sprachen nicht existiren können; daß der Bedeutung nach die Sprachformen in allen Sprachen durchaus dieselben sein müssen. Der Begriff des menschlichen Denkens kann sich nur in einer gesetzmäßig organischen Weise beson- dert haben, und es kann der organischen Freiheit nur rücksicht- lich des lautlichen Ausdruckes Raum gestattet werden. Mit dem Satze „die Logik ist nur eine“ wäre auch zugleich ausgesprochen, daß alle Sprachen in der Bedeutung ihrer Formen übereinstim- men. Wir haben also auch zugleich zu sehen, wie sich Becker zu dieser Gleichheit der Sprachen verhält. §. 40. Mangel eines grammatischen Princips. Schon in der Vorrede stoßen wir auf Sätze, welche rück- sichtlich des vorliegenden Punktes Bedenken erregen. Becker sagt (S. XIV.): „Da die Sprache von der sinnlichen Anschau- ung ausgeht und den Gedanken wieder in sinnlicher Anschau- lichkeit darstellt; so haben auch die eigentlichen Denkgesetze als solche keinen besondern Ausdruck, sondern werden unter die Anschauungsformen gestellt.“ Auch sonst wird oft von Becker darauf hingewiesen, daß die Sprache „ursprünglich von der sinnlichen Anschauung ausgeht“, und damit manches, was als Schnitzer gegen die Logik gelten müßte, entschuldigt oder auch erklärt. Wir fragen aber Becker: wie ist es denn möglich, wenn anders die Sprache die organische Verleiblichung des Gedankens ist, daß die Anschauung zwar als Anschauung, aber nicht auch der Begriff und die Formen des Denkens als Begriff und als

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/136>, abgerufen am 22.12.2024.