haben oben Beckers Ansicht über die Einheit der Grammatik und Logik mit seinen eigenen Worten dargestellt, ohne ihn zu unterbrechen; nur die Neuheit dieser Ansicht haben wir geläug- net. Jetzt haben wir aber zu zeigen, daß nach Becker eine Disciplin wie Grammatik gar keinen Gegenstand vorfindet, den sie bearbeiten könnte; daß dieser Gegenstand vielmehr der Lo- gik gehört. Becker setzt nicht, wie er meint, die Grammatik mit der Logik in Verbindung; sondern er streicht sie völlig und setzt die Logik an ihre Stelle.
§. 39. Vernichtung der Grammatik durch Beckers Princip.
Vergegenwärtigen wir uns nur Beckers Princip und sehen wir, was in ihm liegt. Wenn die Sprache der im Laute leiblich gewordene, der verlautlichte Gedanke ist, wenn "die Sprache nichts anderes ist als der in die Erscheinung tretende Gedanke", so sind nicht "beide, Gedanke und Sprache, innerlich nur eins und dasselbe", wie Becker schließt, sondern dann ist vielmehr der Gedanke das Innere der Sprache, die Sprache, aber das Aeußere des Gedankens. Die Sprache ist also bloß Aeußeres, und ihr Inneres, d. h. was in ihr ist, ist nicht ihr Inneres, d. h. gehört nicht ihr, sondern ist etwas anderes als sie, der Gedanke. Oder: das Innere der Sprache nennen wir Gedanke, das Aeußere des Gedankens Sprache; aber es ist hier nur ein Inneres, Gedanke, und ein Aeußeres, Laut. Das Innere der Sprache betrachten, heißt demnach den Gedanken betrachten, und das geschieht in der Metaphysik, Logik und Philosophie, wozu etwa noch Hegels Phänomenologie kommt.
Von einem Innern der Sprache läßt sich füglich gar nicht mehr reden. Wer nennt das Sehen das Innere des Auges? Nun ist aber nach Becker der Gedanke gerade so der Begriff der Sprache, wie das Sehen der Begriff des Auges. Wenn nun der anatomischen Betrachtung des Auges die Zergliederung der Laut- gebilde der Sprache entspricht, so giebt es für die philosophi- sche Betrachtung des Sehens auf Seiten der Sprache nur den Gedanken, der zu untersuchen wäre. -- Die Sprache ist das Organ, die verleiblichte Function des Denkens; also bleibt nach der anatomischen Zergliederung der Laute nur die Betrachtung der Function selbst, des Denkens, übrig.
Wo bleibt also Stoff und Gelegenheit für die Grammatik als eine von den eben genannten Disciplinen des Denkens und der Begriffe geschiedene Wissenschaft? Nirgends. Beckers Clas-
haben oben Beckers Ansicht über die Einheit der Grammatik und Logik mit seinen eigenen Worten dargestellt, ohne ihn zu unterbrechen; nur die Neuheit dieser Ansicht haben wir geläug- net. Jetzt haben wir aber zu zeigen, daß nach Becker eine Disciplin wie Grammatik gar keinen Gegenstand vorfindet, den sie bearbeiten könnte; daß dieser Gegenstand vielmehr der Lo- gik gehört. Becker setzt nicht, wie er meint, die Grammatik mit der Logik in Verbindung; sondern er streicht sie völlig und setzt die Logik an ihre Stelle.
§. 39. Vernichtung der Grammatik durch Beckers Princip.
Vergegenwärtigen wir uns nur Beckers Princip und sehen wir, was in ihm liegt. Wenn die Sprache der im Laute leiblich gewordene, der verlautlichte Gedanke ist, wenn „die Sprache nichts anderes ist als der in die Erscheinung tretende Gedanke“, so sind nicht „beide, Gedanke und Sprache, innerlich nur eins und dasselbe“, wie Becker schließt, sondern dann ist vielmehr der Gedanke das Innere der Sprache, die Sprache, aber das Aeußere des Gedankens. Die Sprache ist also bloß Aeußeres, und ihr Inneres, d. h. was in ihr ist, ist nicht ihr Inneres, d. h. gehört nicht ihr, sondern ist etwas anderes als sie, der Gedanke. Oder: das Innere der Sprache nennen wir Gedanke, das Aeußere des Gedankens Sprache; aber es ist hier nur ein Inneres, Gedanke, und ein Aeußeres, Laut. Das Innere der Sprache betrachten, heißt demnach den Gedanken betrachten, und das geschieht in der Metaphysik, Logik und Philosophie, wozu etwa noch Hegels Phänomenologie kommt.
Von einem Innern der Sprache läßt sich füglich gar nicht mehr reden. Wer nennt das Sehen das Innere des Auges? Nun ist aber nach Becker der Gedanke gerade so der Begriff der Sprache, wie das Sehen der Begriff des Auges. Wenn nun der anatomischen Betrachtung des Auges die Zergliederung der Laut- gebilde der Sprache entspricht, so giebt es für die philosophi- sche Betrachtung des Sehens auf Seiten der Sprache nur den Gedanken, der zu untersuchen wäre. — Die Sprache ist das Organ, die verleiblichte Function des Denkens; also bleibt nach der anatomischen Zergliederung der Laute nur die Betrachtung der Function selbst, des Denkens, übrig.
Wo bleibt also Stoff und Gelegenheit für die Grammatik als eine von den eben genannten Disciplinen des Denkens und der Begriffe geschiedene Wissenschaft? Nirgends. Beckers Clas-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0134"n="96"/>
haben oben Beckers Ansicht über die Einheit der Grammatik<lb/>
und Logik mit seinen eigenen Worten dargestellt, ohne ihn zu<lb/>
unterbrechen; nur die Neuheit dieser Ansicht haben wir geläug-<lb/>
net. Jetzt haben wir aber zu zeigen, daß nach Becker eine<lb/>
Disciplin wie Grammatik gar keinen Gegenstand vorfindet, den<lb/>
sie bearbeiten könnte; daß dieser Gegenstand vielmehr der Lo-<lb/>
gik gehört. Becker setzt nicht, wie er meint, die Grammatik<lb/>
mit der Logik in Verbindung; sondern er streicht sie völlig und<lb/>
setzt die Logik an ihre Stelle.</p><lb/><divn="4"><head>§. 39. Vernichtung der Grammatik durch Beckers Princip.</head><lb/><p>Vergegenwärtigen wir uns nur Beckers Princip und sehen<lb/>
wir, was in ihm liegt. Wenn die Sprache der im Laute leiblich<lb/>
gewordene, der verlautlichte Gedanke ist, wenn „die Sprache nichts<lb/>
anderes ist als der in die Erscheinung tretende Gedanke“, so<lb/>
sind nicht „beide, Gedanke und Sprache, innerlich nur eins und<lb/>
dasselbe“, wie Becker schließt, sondern dann ist vielmehr der<lb/>
Gedanke das Innere der Sprache, die Sprache, aber das Aeußere<lb/>
des Gedankens. Die Sprache ist also bloß Aeußeres, und ihr<lb/>
Inneres, d. h. was in ihr ist, ist nicht <hirendition="#g">ihr</hi> Inneres, d. h. gehört<lb/>
nicht ihr, sondern ist etwas anderes als sie, der Gedanke. Oder:<lb/>
das Innere der Sprache nennen wir Gedanke, das Aeußere des<lb/>
Gedankens Sprache; aber es ist hier nur <hirendition="#g">ein</hi> Inneres, Gedanke,<lb/>
und <hirendition="#g">ein</hi> Aeußeres, Laut. Das Innere der Sprache betrachten,<lb/>
heißt demnach den Gedanken betrachten, und das geschieht in<lb/>
der Metaphysik, Logik und Philosophie, wozu etwa noch Hegels<lb/>
Phänomenologie kommt.</p><lb/><p>Von einem Innern der Sprache läßt sich füglich gar nicht<lb/>
mehr reden. Wer nennt das Sehen das Innere des Auges? Nun<lb/>
ist aber nach Becker der Gedanke gerade so der Begriff der<lb/>
Sprache, wie das Sehen der Begriff des Auges. Wenn nun der<lb/>
anatomischen Betrachtung des Auges die Zergliederung der Laut-<lb/>
gebilde der Sprache entspricht, so giebt es für die philosophi-<lb/>
sche Betrachtung des Sehens auf Seiten der Sprache nur den<lb/>
Gedanken, der zu untersuchen wäre. — Die Sprache ist das<lb/>
Organ, die verleiblichte Function des Denkens; also bleibt nach<lb/>
der anatomischen Zergliederung der Laute nur die Betrachtung<lb/>
der Function selbst, des Denkens, übrig.</p><lb/><p>Wo bleibt also Stoff und Gelegenheit für die Grammatik<lb/>
als eine von den eben genannten Disciplinen des Denkens und<lb/>
der Begriffe geschiedene Wissenschaft? Nirgends. Beckers Clas-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[96/0134]
haben oben Beckers Ansicht über die Einheit der Grammatik
und Logik mit seinen eigenen Worten dargestellt, ohne ihn zu
unterbrechen; nur die Neuheit dieser Ansicht haben wir geläug-
net. Jetzt haben wir aber zu zeigen, daß nach Becker eine
Disciplin wie Grammatik gar keinen Gegenstand vorfindet, den
sie bearbeiten könnte; daß dieser Gegenstand vielmehr der Lo-
gik gehört. Becker setzt nicht, wie er meint, die Grammatik
mit der Logik in Verbindung; sondern er streicht sie völlig und
setzt die Logik an ihre Stelle.
§. 39. Vernichtung der Grammatik durch Beckers Princip.
Vergegenwärtigen wir uns nur Beckers Princip und sehen
wir, was in ihm liegt. Wenn die Sprache der im Laute leiblich
gewordene, der verlautlichte Gedanke ist, wenn „die Sprache nichts
anderes ist als der in die Erscheinung tretende Gedanke“, so
sind nicht „beide, Gedanke und Sprache, innerlich nur eins und
dasselbe“, wie Becker schließt, sondern dann ist vielmehr der
Gedanke das Innere der Sprache, die Sprache, aber das Aeußere
des Gedankens. Die Sprache ist also bloß Aeußeres, und ihr
Inneres, d. h. was in ihr ist, ist nicht ihr Inneres, d. h. gehört
nicht ihr, sondern ist etwas anderes als sie, der Gedanke. Oder:
das Innere der Sprache nennen wir Gedanke, das Aeußere des
Gedankens Sprache; aber es ist hier nur ein Inneres, Gedanke,
und ein Aeußeres, Laut. Das Innere der Sprache betrachten,
heißt demnach den Gedanken betrachten, und das geschieht in
der Metaphysik, Logik und Philosophie, wozu etwa noch Hegels
Phänomenologie kommt.
Von einem Innern der Sprache läßt sich füglich gar nicht
mehr reden. Wer nennt das Sehen das Innere des Auges? Nun
ist aber nach Becker der Gedanke gerade so der Begriff der
Sprache, wie das Sehen der Begriff des Auges. Wenn nun der
anatomischen Betrachtung des Auges die Zergliederung der Laut-
gebilde der Sprache entspricht, so giebt es für die philosophi-
sche Betrachtung des Sehens auf Seiten der Sprache nur den
Gedanken, der zu untersuchen wäre. — Die Sprache ist das
Organ, die verleiblichte Function des Denkens; also bleibt nach
der anatomischen Zergliederung der Laute nur die Betrachtung
der Function selbst, des Denkens, übrig.
Wo bleibt also Stoff und Gelegenheit für die Grammatik
als eine von den eben genannten Disciplinen des Denkens und
der Begriffe geschiedene Wissenschaft? Nirgends. Beckers Clas-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/134>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.