als Tätowierung je eine Linie oder Doppellinie, die den innern Konturen der Schulter- blätter folgten, bald als stumpfe oder annähernd rechte Winkel, die ihre Scheitel der Wirbelsäule zukehrten, bald als Bogenstücke -- ein Muster, das nun in die Kunst der Mehinaku übergegangen ist und aussen auf den Böden der grossen Töpfe er- scheint, vgl. Tafel 15. Die Frauen trugen entweder auf dem Oberarm, oder um das Handgelenk, oder auf dem Oberschenkel zwei, auch drei horizontale Bogen- linien, die den vordern Teil des Gliedes umspannten, also Halbkreise darstellten.
Die Tätowierung leistet im Allgemeinen noch nichts als einfache Linien und verrät noch ihren Ursprung aus dem ungeschickten Wundkratzen mit dem Fisch- zahn. In diesem Sinne ist die umstehende Abbildung einer wie tätowiert erscheinenden, aber nur medizinisch geritzten Kamayurafrau merkwürdig. Die Kamayura hatten keine Tätowierung, dagegen waren Hände und Arme vielfach eng liniirt mit Ritznarben des Wundkratzers.
Allein schon diente die Tätowierung bewusster Auszeichnung. Sie kenn- zeichnete Männer und Frauen der Häuptlingsfamilien, die eben nicht wie der Bakairi Felipe in der Lage waren, Galons zu tragen; man sorgte für diese Unterscheidung schon bei den kleinen Kindern. So liefert sie hier zunächst ein Unterscheidungszeichen innerhalb des Stammes, das aber im Lauf der Zeit wie jedes Rangabzeichen der Verallgemeinerung verfallen wird. Schon gelüstete es einzelne Bakairi- und Nahuqua-Aristokraten, sich um die fremde Auszeichnung zu bewerben. Die Nahuqua hatten mehrere Mehinakufrauen mit Tätowierung. Ich traf bei den Mehinaku einen Kamayura zu Besuch und dieser trug auf dem Arm charakte- ristischer Weise, aufgemalt freilich und nicht tätowiert, die beiden Tätowierlinien der Mehinakufrauen. Ich glaube, kann es aber nicht behaupten und beweisen, dass hier ein Zusammenhang mit dem System des Matriachats vorliegt. Die Söhne gehören nach indianischer Vorstellung zum Stamm der Mutter und in jedem Fall verkehren sie unter friedlichen Verhältnissen in dem Stammdorf der Mutter. Sicher ist es, dass die Mehinakuweiber und die Mehinakutöpfe ihren Heimatsstempel trugen.
II. Sexualia.
Die Vorrichtungen bei Männern und Frauen sind keine Hüllen. Schutz der Schleimhaut und sein Nutzen bei eintretender Geschlechtsreife. Ursprung aber bei den Frauen als Verband und Pelotte, bei den Männern als gymnastische Behandlung der Phimose.
Unsere Eingeborenen haben keine geheimen Körperteile. Sie scherzen über sie in Wort und Bild mit voller Unbefangenheit, sodass es thöricht wäre, sie des- halb unanständig zu nennen. Sie beneiden uns um unsere Kleidung als um einen wertvollen Schmuck, sie legen ihn an und tragen ihn in unserer Gesellschaft mit einer so gänzlichen Nichtachtung unserer einfachsten Regeln und einer so gänz- lichen Verkennung aller diesen gewidmeten Vorrichtungen, dass ihre paradiesische Ahnungslosigkeit auf das Auffälligste bewiesen wird. Einige von ihnen begehen
als Tätowierung je eine Linie oder Doppellinie, die den innern Konturen der Schulter- blätter folgten, bald als stumpfe oder annähernd rechte Winkel, die ihre Scheitel der Wirbelsäule zukehrten, bald als Bogenstücke — ein Muster, das nun in die Kunst der Mehinakú übergegangen ist und aussen auf den Böden der grossen Töpfe er- scheint, vgl. Tafel 15. Die Frauen trugen entweder auf dem Oberarm, oder um das Handgelenk, oder auf dem Oberschenkel zwei, auch drei horizontale Bogen- linien, die den vordern Teil des Gliedes umspannten, also Halbkreise darstellten.
Die Tätowierung leistet im Allgemeinen noch nichts als einfache Linien und verrät noch ihren Ursprung aus dem ungeschickten Wundkratzen mit dem Fisch- zahn. In diesem Sinne ist die umstehende Abbildung einer wie tätowiert erscheinenden, aber nur medizinisch geritzten Kamayuráfrau merkwürdig. Die Kamayurá hatten keine Tätowierung, dagegen waren Hände und Arme vielfach eng liniirt mit Ritznarben des Wundkratzers.
Allein schon diente die Tätowierung bewusster Auszeichnung. Sie kenn- zeichnete Männer und Frauen der Häuptlingsfamilien, die eben nicht wie der Bakaïrí Felipe in der Lage waren, Galons zu tragen; man sorgte für diese Unterscheidung schon bei den kleinen Kindern. So liefert sie hier zunächst ein Unterscheidungszeichen innerhalb des Stammes, das aber im Lauf der Zeit wie jedes Rangabzeichen der Verallgemeinerung verfallen wird. Schon gelüstete es einzelne Bakaïrí- und Nahuquá-Aristokraten, sich um die fremde Auszeichnung zu bewerben. Die Nahuquá hatten mehrere Mehinakúfrauen mit Tätowierung. Ich traf bei den Mehinakú einen Kamayurá zu Besuch und dieser trug auf dem Arm charakte- ristischer Weise, aufgemalt freilich und nicht tätowiert, die beiden Tätowierlinien der Mehinakúfrauen. Ich glaube, kann es aber nicht behaupten und beweisen, dass hier ein Zusammenhang mit dem System des Matriachats vorliegt. Die Söhne gehören nach indianischer Vorstellung zum Stamm der Mutter und in jedem Fall verkehren sie unter friedlichen Verhältnissen in dem Stammdorf der Mutter. Sicher ist es, dass die Mehinakúweiber und die Mehinakútöpfe ihren Heimatsstempel trugen.
II. Sexualia.
Die Vorrichtungen bei Männern und Frauen sind keine Hüllen. Schutz der Schleimhaut und sein Nutzen bei eintretender Geschlechtsreife. Ursprung aber bei den Frauen als Verband und Pelotte, bei den Männern als gymnastische Behandlung der Phimose.
Unsere Eingeborenen haben keine geheimen Körperteile. Sie scherzen über sie in Wort und Bild mit voller Unbefangenheit, sodass es thöricht wäre, sie des- halb unanständig zu nennen. Sie beneiden uns um unsere Kleidung als um einen wertvollen Schmuck, sie legen ihn an und tragen ihn in unserer Gesellschaft mit einer so gänzlichen Nichtachtung unserer einfachsten Regeln und einer so gänz- lichen Verkennung aller diesen gewidmeten Vorrichtungen, dass ihre paradiesische Ahnungslosigkeit auf das Auffälligste bewiesen wird. Einige von ihnen begehen
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als Tätowierung je eine Linie oder Doppellinie, die den innern Konturen der Schulter-
blätter folgten, bald als stumpfe oder annähernd rechte Winkel, die ihre Scheitel der
Wirbelsäule zukehrten, bald als Bogenstücke — ein Muster, das nun in die Kunst
der Mehinakú übergegangen ist und aussen auf den Böden der grossen Töpfe er-
scheint, vgl. Tafel 15. Die Frauen trugen entweder auf dem Oberarm, oder um
das Handgelenk, oder auf dem Oberschenkel zwei, auch drei horizontale Bogen-
linien, die den vordern Teil des Gliedes umspannten, also Halbkreise darstellten.
Die Tätowierung leistet im Allgemeinen noch nichts als einfache Linien und
verrät noch ihren Ursprung aus dem ungeschickten Wundkratzen mit dem Fisch-
zahn. In diesem Sinne ist die umstehende Abbildung einer wie tätowiert
erscheinenden, aber nur medizinisch geritzten Kamayuráfrau merkwürdig. Die
Kamayurá hatten keine Tätowierung, dagegen waren Hände und Arme vielfach
eng liniirt mit Ritznarben des Wundkratzers.
Allein schon diente die Tätowierung bewusster Auszeichnung. Sie kenn-
zeichnete Männer und Frauen der Häuptlingsfamilien, die eben nicht wie der
Bakaïrí Felipe in der Lage waren, Galons zu tragen; man sorgte für diese
Unterscheidung schon bei den kleinen Kindern. So liefert sie hier zunächst ein
Unterscheidungszeichen innerhalb des Stammes, das aber im Lauf der Zeit wie
jedes Rangabzeichen der Verallgemeinerung verfallen wird. Schon gelüstete es
einzelne Bakaïrí- und Nahuquá-Aristokraten, sich um die fremde Auszeichnung zu
bewerben. Die Nahuquá hatten mehrere Mehinakúfrauen mit Tätowierung. Ich traf
bei den Mehinakú einen Kamayurá zu Besuch und dieser trug auf dem Arm charakte-
ristischer Weise, aufgemalt freilich und nicht tätowiert, die beiden Tätowierlinien der
Mehinakúfrauen. Ich glaube, kann es aber nicht behaupten und beweisen, dass hier
ein Zusammenhang mit dem System des Matriachats vorliegt. Die Söhne gehören
nach indianischer Vorstellung zum Stamm der Mutter und in jedem Fall verkehren
sie unter friedlichen Verhältnissen in dem Stammdorf der Mutter. Sicher ist es,
dass die Mehinakúweiber und die Mehinakútöpfe ihren Heimatsstempel trugen.
II. Sexualia.
Die Vorrichtungen bei Männern und Frauen sind keine Hüllen. Schutz der Schleimhaut und sein
Nutzen bei eintretender Geschlechtsreife. Ursprung aber bei den Frauen als Verband und Pelotte,
bei den Männern als gymnastische Behandlung der Phimose.
Unsere Eingeborenen haben keine geheimen Körperteile. Sie scherzen über
sie in Wort und Bild mit voller Unbefangenheit, sodass es thöricht wäre, sie des-
halb unanständig zu nennen. Sie beneiden uns um unsere Kleidung als um einen
wertvollen Schmuck, sie legen ihn an und tragen ihn in unserer Gesellschaft mit
einer so gänzlichen Nichtachtung unserer einfachsten Regeln und einer so gänz-
lichen Verkennung aller diesen gewidmeten Vorrichtungen, dass ihre paradiesische
Ahnungslosigkeit auf das Auffälligste bewiesen wird. Einige von ihnen begehen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/234>, abgerufen am 21.11.2024.
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