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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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Staaten liegt gar nichts vor. Die medicinischen Fachmänner haben
dieses Recht erst zu erschaffen; es ist eine, ihrer im edelsten Sinne des
Wortes würdige Aufgabe!

2) Genehmigung von Anlagen.

Man kann wohl kaum zweifelhaft sein, daß das französische System
dieser Genehmigung, durch das Dekret vom 15. Oktober 1810 eingeführt
und in allem Wesentlichen erhalten, dem sich auch das preußische ange-
schlossen hat, alle Bedingungen der sanitären Commission erfüllt. Das-
selbe beruht auf folgenden an sich einfachen Grundlagen. Die der
Commission unterworfenen Gewerbe werden speciell bezeichnet --
die Anlage wird der Behörde mitgetheilt -- wenn dieselbe sie nicht
sogleich zurückweist, wird sie veröffentlicht und andere Interessenten
darüber gehört -- darauf entsteht das Verfahren vor der entscheidenden
Behörde mit Recurs -- endlich erfolgt die Genehmigung. In einzelnen
Punkten weichen die deutschen Rechte davon ab; im Ganzen sind sie
mit jenen Principien übereinstimmend. Nur das englische Verfahren
der Nuisances Removal Act beginnt erst nach der geschehenen Anlage.
Es ist klar, daß das französische viel mehr den rationellen Anforderungen
der Sache, das englische mehr der englischen Rechtsauffassung entspricht
und zu sehr ernsten Bedenken Anlaß gibt.


Die französische Gesetzgebung beginnt schon mit einer Ordonnanz
vom 12. Februar 1806. Diese Ordonnanz stellte allerdings schon das ent-
scheidende Princip des nachbarlichen Beschwerdeverfahrens de commodo
et incommodo
auf; jedoch hat erst das Dekret von 1810 den sanitären
Gesichtspunkt anerkannt. Dasselbe stellt drei Classen auf. Die erste
Classe soll von den Wohnungen entfernt sein; die zweite Classe
wird von solchen Anlagen gebildet, deren Entfernung nicht nothwendig,
aber wünschenswerth ist; die dritte von solchen, die ohne Uebelstand
in der Nähe von Wohnungen bleiben können, aber unter polizeilicher
Aufsicht stehen müssen. Die Ordonnanz vom 14. Januar 1815 gab
für das Verfahren die leitenden Bestimmungen; das Dekret vom 23. März
1852 ordnete die Competenzen und den Beschwerdezug. Die Einthei-
lung der einzelnen Gewerbe hat gewechselt. Die neueste Tabelle bei
Tardieu a. a. O. S. 543 ff. Die daraus entstandene Literatur bei
Joubert (vid. Block Dictionnaire de l'administration v. etablisse-
ments insalubres
). Pappenheim hat in seinem citirten Artikel diese
Gesetzgebung gut charakterisirt. Die preußische Gesetzgebung bestand
bisher nur in dem, was die Gewerbeordnung von 1845 sagt (T. II.

Staaten liegt gar nichts vor. Die mediciniſchen Fachmänner haben
dieſes Recht erſt zu erſchaffen; es iſt eine, ihrer im edelſten Sinne des
Wortes würdige Aufgabe!

2) Genehmigung von Anlagen.

Man kann wohl kaum zweifelhaft ſein, daß das franzöſiſche Syſtem
dieſer Genehmigung, durch das Dekret vom 15. Oktober 1810 eingeführt
und in allem Weſentlichen erhalten, dem ſich auch das preußiſche ange-
ſchloſſen hat, alle Bedingungen der ſanitären Commiſſion erfüllt. Das-
ſelbe beruht auf folgenden an ſich einfachen Grundlagen. Die der
Commiſſion unterworfenen Gewerbe werden ſpeciell bezeichnet
die Anlage wird der Behörde mitgetheilt — wenn dieſelbe ſie nicht
ſogleich zurückweist, wird ſie veröffentlicht und andere Intereſſenten
darüber gehört — darauf entſteht das Verfahren vor der entſcheidenden
Behörde mit Recurs — endlich erfolgt die Genehmigung. In einzelnen
Punkten weichen die deutſchen Rechte davon ab; im Ganzen ſind ſie
mit jenen Principien übereinſtimmend. Nur das engliſche Verfahren
der Nuisances Removal Act beginnt erſt nach der geſchehenen Anlage.
Es iſt klar, daß das franzöſiſche viel mehr den rationellen Anforderungen
der Sache, das engliſche mehr der engliſchen Rechtsauffaſſung entſpricht
und zu ſehr ernſten Bedenken Anlaß gibt.


Die franzöſiſche Geſetzgebung beginnt ſchon mit einer Ordonnanz
vom 12. Februar 1806. Dieſe Ordonnanz ſtellte allerdings ſchon das ent-
ſcheidende Princip des nachbarlichen Beſchwerdeverfahrens de commodo
et incommodo
auf; jedoch hat erſt das Dekret von 1810 den ſanitären
Geſichtspunkt anerkannt. Daſſelbe ſtellt drei Claſſen auf. Die erſte
Claſſe ſoll von den Wohnungen entfernt ſein; die zweite Claſſe
wird von ſolchen Anlagen gebildet, deren Entfernung nicht nothwendig,
aber wünſchenswerth iſt; die dritte von ſolchen, die ohne Uebelſtand
in der Nähe von Wohnungen bleiben können, aber unter polizeilicher
Aufſicht ſtehen müſſen. Die Ordonnanz vom 14. Januar 1815 gab
für das Verfahren die leitenden Beſtimmungen; das Dekret vom 23. März
1852 ordnete die Competenzen und den Beſchwerdezug. Die Einthei-
lung der einzelnen Gewerbe hat gewechſelt. Die neueſte Tabelle bei
Tardieu a. a. O. S. 543 ff. Die daraus entſtandene Literatur bei
Joubert (vid. Block Dictionnaire de l’administration v. établisse-
ments insalubres
). Pappenheim hat in ſeinem citirten Artikel dieſe
Geſetzgebung gut charakteriſirt. Die preußiſche Geſetzgebung beſtand
bisher nur in dem, was die Gewerbeordnung von 1845 ſagt (T. II.

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[83/0099] Staaten liegt gar nichts vor. Die mediciniſchen Fachmänner haben dieſes Recht erſt zu erſchaffen; es iſt eine, ihrer im edelſten Sinne des Wortes würdige Aufgabe! 2) Genehmigung von Anlagen. Man kann wohl kaum zweifelhaft ſein, daß das franzöſiſche Syſtem dieſer Genehmigung, durch das Dekret vom 15. Oktober 1810 eingeführt und in allem Weſentlichen erhalten, dem ſich auch das preußiſche ange- ſchloſſen hat, alle Bedingungen der ſanitären Commiſſion erfüllt. Das- ſelbe beruht auf folgenden an ſich einfachen Grundlagen. Die der Commiſſion unterworfenen Gewerbe werden ſpeciell bezeichnet — die Anlage wird der Behörde mitgetheilt — wenn dieſelbe ſie nicht ſogleich zurückweist, wird ſie veröffentlicht und andere Intereſſenten darüber gehört — darauf entſteht das Verfahren vor der entſcheidenden Behörde mit Recurs — endlich erfolgt die Genehmigung. In einzelnen Punkten weichen die deutſchen Rechte davon ab; im Ganzen ſind ſie mit jenen Principien übereinſtimmend. Nur das engliſche Verfahren der Nuisances Removal Act beginnt erſt nach der geſchehenen Anlage. Es iſt klar, daß das franzöſiſche viel mehr den rationellen Anforderungen der Sache, das engliſche mehr der engliſchen Rechtsauffaſſung entſpricht und zu ſehr ernſten Bedenken Anlaß gibt. Die franzöſiſche Geſetzgebung beginnt ſchon mit einer Ordonnanz vom 12. Februar 1806. Dieſe Ordonnanz ſtellte allerdings ſchon das ent- ſcheidende Princip des nachbarlichen Beſchwerdeverfahrens de commodo et incommodo auf; jedoch hat erſt das Dekret von 1810 den ſanitären Geſichtspunkt anerkannt. Daſſelbe ſtellt drei Claſſen auf. Die erſte Claſſe ſoll von den Wohnungen entfernt ſein; die zweite Claſſe wird von ſolchen Anlagen gebildet, deren Entfernung nicht nothwendig, aber wünſchenswerth iſt; die dritte von ſolchen, die ohne Uebelſtand in der Nähe von Wohnungen bleiben können, aber unter polizeilicher Aufſicht ſtehen müſſen. Die Ordonnanz vom 14. Januar 1815 gab für das Verfahren die leitenden Beſtimmungen; das Dekret vom 23. März 1852 ordnete die Competenzen und den Beſchwerdezug. Die Einthei- lung der einzelnen Gewerbe hat gewechſelt. Die neueſte Tabelle bei Tardieu a. a. O. S. 543 ff. Die daraus entſtandene Literatur bei Joubert (vid. Block Dictionnaire de l’administration v. établisse- ments insalubres). Pappenheim hat in ſeinem citirten Artikel dieſe Geſetzgebung gut charakteriſirt. Die preußiſche Geſetzgebung beſtand bisher nur in dem, was die Gewerbeordnung von 1845 ſagt (T. II.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/99>, abgerufen am 19.11.2024.