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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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III. Abschnitt.
Das Heilwesen.
Begriff.

Trotz der großen Einfachheit, welche auch hier in dem Begriffe
an sich liegt, ist es doch nicht überflüssig denselben vor allen Dingen
formell und genau zu präcisiren. Denn während gewiß die Auffassungen
im Großen und Ganzen klar sein mögen, sind die Ausdrücke in so ver-
schiedenem Sinne gebraucht, daß eine feste Ordnung der Wissenschaft
speziell für die Zwecke des Verwaltungsrechts ohne eine solche fachgemäße
Definition kaum zu erzielen sein dürfte.

Die Heilung ist ein physiologischer Proceß, den das Verwal-
tungsrecht natürlich vorauszusetzen hat, wie den Begriff der Gesund-
heit. Die Heilkunde enthält die Gesammtheit der Kenntnisse, Er-
fahrungen und Geschicklichkeiten, vermöge deren die Gesundheit durch
menschliche Hilfe hergestellt werden kann. Auch dieser Begriff berührt
das Verwaltungsrecht nicht. Von der Heilkunde gehen dann mehr oder
weniger geeignete Bestrebungen aller Art aus, welche diese Heilung her-
stellen wollen. So lange diese Bestrebungen Sache des Einzelnen oder
vorübergehender Natur sind, gehören sie der Sphäre des Einzellebens.
Sowie dieselben aber dadurch eine feste und dauernde Gestalt annehmen,
daß sie entweder zum bestimmten Lebensberuf Einzelner werden, oder
die spezielle Aufgabe einzelner, eigends für die Heilung bestimmter An-
stalten bilden, wird die Heilung eine selbständige Funktion im Gesammt-
leben, mit eigenem Organismus und eigenen Aufgaben, und die Ge-
sammtheit dieser Funktionen und ihrer Organe nennen wir das Heil-
wesen
.

Es ergibt sich daraus, daß die erste Grundlage eines guten Heil-
wesens die fachgemäße Bildung dieser Organe im Sinne der Heilkunde
ist; die zweite besteht in der Gewißheit, daß die durch die Heilkunde
gewonnene Bildung in der Funktion der Heilung von Krankheiten auch
angewendet werde. Auf diesen beiden Momenten beruht das, was
wir das öffentliche Heilwesen nennen.

Das öffentliche Heilwesen bezeichnet uns demnach diejenige Ord-
nung in der Heilung der Krankheiten, sei es durch Personen, sei es
durch Anstalten, welche nach den Grundsätzen der Heilkunde vor sich geht.

Allerdings nun scheint es zunächst, als sei es Sache des Einzelnen,
einerseits sich jene Bildung zu erwerben und sie anzuwenden, andrer-
seits sich selbst bei vorkommenden Krankheiten vor denjenigen zu hüten,

III. Abſchnitt.
Das Heilweſen.
Begriff.

Trotz der großen Einfachheit, welche auch hier in dem Begriffe
an ſich liegt, iſt es doch nicht überflüſſig denſelben vor allen Dingen
formell und genau zu präciſiren. Denn während gewiß die Auffaſſungen
im Großen und Ganzen klar ſein mögen, ſind die Ausdrücke in ſo ver-
ſchiedenem Sinne gebraucht, daß eine feſte Ordnung der Wiſſenſchaft
ſpeziell für die Zwecke des Verwaltungsrechts ohne eine ſolche fachgemäße
Definition kaum zu erzielen ſein dürfte.

Die Heilung iſt ein phyſiologiſcher Proceß, den das Verwal-
tungsrecht natürlich vorauszuſetzen hat, wie den Begriff der Geſund-
heit. Die Heilkunde enthält die Geſammtheit der Kenntniſſe, Er-
fahrungen und Geſchicklichkeiten, vermöge deren die Geſundheit durch
menſchliche Hilfe hergeſtellt werden kann. Auch dieſer Begriff berührt
das Verwaltungsrecht nicht. Von der Heilkunde gehen dann mehr oder
weniger geeignete Beſtrebungen aller Art aus, welche dieſe Heilung her-
ſtellen wollen. So lange dieſe Beſtrebungen Sache des Einzelnen oder
vorübergehender Natur ſind, gehören ſie der Sphäre des Einzellebens.
Sowie dieſelben aber dadurch eine feſte und dauernde Geſtalt annehmen,
daß ſie entweder zum beſtimmten Lebensberuf Einzelner werden, oder
die ſpezielle Aufgabe einzelner, eigends für die Heilung beſtimmter An-
ſtalten bilden, wird die Heilung eine ſelbſtändige Funktion im Geſammt-
leben, mit eigenem Organismus und eigenen Aufgaben, und die Ge-
ſammtheit dieſer Funktionen und ihrer Organe nennen wir das Heil-
weſen
.

Es ergibt ſich daraus, daß die erſte Grundlage eines guten Heil-
weſens die fachgemäße Bildung dieſer Organe im Sinne der Heilkunde
iſt; die zweite beſteht in der Gewißheit, daß die durch die Heilkunde
gewonnene Bildung in der Funktion der Heilung von Krankheiten auch
angewendet werde. Auf dieſen beiden Momenten beruht das, was
wir das öffentliche Heilweſen nennen.

Das öffentliche Heilweſen bezeichnet uns demnach diejenige Ord-
nung in der Heilung der Krankheiten, ſei es durch Perſonen, ſei es
durch Anſtalten, welche nach den Grundſätzen der Heilkunde vor ſich geht.

Allerdings nun ſcheint es zunächſt, als ſei es Sache des Einzelnen,
einerſeits ſich jene Bildung zu erwerben und ſie anzuwenden, andrer-
ſeits ſich ſelbſt bei vorkommenden Krankheiten vor denjenigen zu hüten,

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[88/0104] III. Abſchnitt. Das Heilweſen. Begriff. Trotz der großen Einfachheit, welche auch hier in dem Begriffe an ſich liegt, iſt es doch nicht überflüſſig denſelben vor allen Dingen formell und genau zu präciſiren. Denn während gewiß die Auffaſſungen im Großen und Ganzen klar ſein mögen, ſind die Ausdrücke in ſo ver- ſchiedenem Sinne gebraucht, daß eine feſte Ordnung der Wiſſenſchaft ſpeziell für die Zwecke des Verwaltungsrechts ohne eine ſolche fachgemäße Definition kaum zu erzielen ſein dürfte. Die Heilung iſt ein phyſiologiſcher Proceß, den das Verwal- tungsrecht natürlich vorauszuſetzen hat, wie den Begriff der Geſund- heit. Die Heilkunde enthält die Geſammtheit der Kenntniſſe, Er- fahrungen und Geſchicklichkeiten, vermöge deren die Geſundheit durch menſchliche Hilfe hergeſtellt werden kann. Auch dieſer Begriff berührt das Verwaltungsrecht nicht. Von der Heilkunde gehen dann mehr oder weniger geeignete Beſtrebungen aller Art aus, welche dieſe Heilung her- ſtellen wollen. So lange dieſe Beſtrebungen Sache des Einzelnen oder vorübergehender Natur ſind, gehören ſie der Sphäre des Einzellebens. Sowie dieſelben aber dadurch eine feſte und dauernde Geſtalt annehmen, daß ſie entweder zum beſtimmten Lebensberuf Einzelner werden, oder die ſpezielle Aufgabe einzelner, eigends für die Heilung beſtimmter An- ſtalten bilden, wird die Heilung eine ſelbſtändige Funktion im Geſammt- leben, mit eigenem Organismus und eigenen Aufgaben, und die Ge- ſammtheit dieſer Funktionen und ihrer Organe nennen wir das Heil- weſen. Es ergibt ſich daraus, daß die erſte Grundlage eines guten Heil- weſens die fachgemäße Bildung dieſer Organe im Sinne der Heilkunde iſt; die zweite beſteht in der Gewißheit, daß die durch die Heilkunde gewonnene Bildung in der Funktion der Heilung von Krankheiten auch angewendet werde. Auf dieſen beiden Momenten beruht das, was wir das öffentliche Heilweſen nennen. Das öffentliche Heilweſen bezeichnet uns demnach diejenige Ord- nung in der Heilung der Krankheiten, ſei es durch Perſonen, ſei es durch Anſtalten, welche nach den Grundſätzen der Heilkunde vor ſich geht. Allerdings nun ſcheint es zunächſt, als ſei es Sache des Einzelnen, einerſeits ſich jene Bildung zu erwerben und ſie anzuwenden, andrer- ſeits ſich ſelbſt bei vorkommenden Krankheiten vor denjenigen zu hüten,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/104>, abgerufen am 19.11.2024.