Die Competenz und Zuständigkeit der ansäßig gewordenen Ge- schlechter in den Dorfschaften beruht auf dem Besitz eines Grundstücks und auf der Geburt; an beiden zeigt sich der erste Unterschied vom Gemeindebürgerrecht und Heimathsrecht.
Inhalt der Competenz und Zuständigkeit ist die Rechtspflege. Eine finanzielle und administrative Competenz gibt es noch so wenig, als eine amtliche. Daher gibt es auch noch kein Heimathswesen. Das ist im Allgemeinen die Ordnung der ersten fünf Jahrhunderte nach der Völkerwanderung.
2) Die Ordnung der Bevölkerung in der ständischen Epoche.
(Begriff und Inhalt der Standesangehörigkeit. Die feudale Angehörigkeit. Die städtische Angehörigkeit. Bürgerthum und Bürgerrecht. Schutzbürgerthum. Hörigkeit.)
Das Wesen der ständischen Gesellschaftsordnung besteht darin, daß dieselbe jede große Lebensstellung, und zwar die unfreie so gut als die freie in allen ihren Formen, geistig begreift, und die Thatsache der gegebenen individuellen Bestimmung als einen sittlichen Beruf auffaßt. Dieser abstrakte Begriff des Berufes durchdringt nun die ganze mensch- liche Gemeinschaft, und gibt ihr eine neue Gestalt. Indem sie dem geistigen Element des Berufes seinen Körper verleiht, entsteht die Cor- poration als das specifische Element der Ordnung in der ständischen Gesellschaft. Alle Grundformen des Lebens beginnen, sich als Corpora- tionen zu constituiren; das Angehören an eine solche wird eine Ehre; es enthält eine Pflicht; mit der Pflicht das Recht der Organe dieser Körperschaft, über die Erfüllung jener Pflicht zu wachen; das abstrakte Angehören an Beruf und Körperschaft bildet sich damit zu einer Ver- waltung des Berufes aus, und die Thatsache jener berufsmäßigen An- gehörigkeit wird dadurch zu einer selbständigen Ordnung der Bevölkerung, die wir nunmehr als die berufsmäßige Bevölkerungsordnung bezeichnen können.
Diese, aus dem ständischen Gesellschaftsprincip hervorgehende berufs- mäßige Bevölkerungsordnung zerstört nun nicht die Geschlechterordnung, sondern sie läßt sie vielmehr bestehen, und breitet sich in ihr aus, indem sie, wo sie es vermag, ihr ihren Charakter verleiht. Die letztere wird dadurch allerdings wesentlich anders; und indem sich beide verschmelzen, entsteht das, was wir die ständische Gesellschaftsordnung und für unsre Aufgabe die ständische Verwaltungsordnung der Bevölkerung nennen. Sie erstreckt sich über ganz Europa, und zeigt sich seit dem
Die Competenz und Zuſtändigkeit der anſäßig gewordenen Ge- ſchlechter in den Dorfſchaften beruht auf dem Beſitz eines Grundſtücks und auf der Geburt; an beiden zeigt ſich der erſte Unterſchied vom Gemeindebürgerrecht und Heimathsrecht.
Inhalt der Competenz und Zuſtändigkeit iſt die Rechtspflege. Eine finanzielle und adminiſtrative Competenz gibt es noch ſo wenig, als eine amtliche. Daher gibt es auch noch kein Heimathsweſen. Das iſt im Allgemeinen die Ordnung der erſten fünf Jahrhunderte nach der Völkerwanderung.
2) Die Ordnung der Bevölkerung in der ſtändiſchen Epoche.
(Begriff und Inhalt der Standesangehörigkeit. Die feudale Angehörigkeit. Die ſtädtiſche Angehörigkeit. Bürgerthum und Bürgerrecht. Schutzbürgerthum. Hörigkeit.)
Das Weſen der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung beſteht darin, daß dieſelbe jede große Lebensſtellung, und zwar die unfreie ſo gut als die freie in allen ihren Formen, geiſtig begreift, und die Thatſache der gegebenen individuellen Beſtimmung als einen ſittlichen Beruf auffaßt. Dieſer abſtrakte Begriff des Berufes durchdringt nun die ganze menſch- liche Gemeinſchaft, und gibt ihr eine neue Geſtalt. Indem ſie dem geiſtigen Element des Berufes ſeinen Körper verleiht, entſteht die Cor- poration als das ſpecifiſche Element der Ordnung in der ſtändiſchen Geſellſchaft. Alle Grundformen des Lebens beginnen, ſich als Corpora- tionen zu conſtituiren; das Angehören an eine ſolche wird eine Ehre; es enthält eine Pflicht; mit der Pflicht das Recht der Organe dieſer Körperſchaft, über die Erfüllung jener Pflicht zu wachen; das abſtrakte Angehören an Beruf und Körperſchaft bildet ſich damit zu einer Ver- waltung des Berufes aus, und die Thatſache jener berufsmäßigen An- gehörigkeit wird dadurch zu einer ſelbſtändigen Ordnung der Bevölkerung, die wir nunmehr als die berufsmäßige Bevölkerungsordnung bezeichnen können.
Dieſe, aus dem ſtändiſchen Geſellſchaftsprincip hervorgehende berufs- mäßige Bevölkerungsordnung zerſtört nun nicht die Geſchlechterordnung, ſondern ſie läßt ſie vielmehr beſtehen, und breitet ſich in ihr aus, indem ſie, wo ſie es vermag, ihr ihren Charakter verleiht. Die letztere wird dadurch allerdings weſentlich anders; und indem ſich beide verſchmelzen, entſteht das, was wir die ſtändiſche Geſellſchaftsordnung und für unſre Aufgabe die ſtändiſche Verwaltungsordnung der Bevölkerung nennen. Sie erſtreckt ſich über ganz Europa, und zeigt ſich ſeit dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><pbfacs="#f0336"n="314"/><p>Die Competenz und Zuſtändigkeit der anſäßig gewordenen Ge-<lb/>ſchlechter in den Dorfſchaften beruht auf dem Beſitz eines Grundſtücks<lb/>
und auf der Geburt; an beiden zeigt ſich der erſte Unterſchied vom<lb/>
Gemeindebürgerrecht und Heimathsrecht.</p><lb/><p><hirendition="#g">Inhalt</hi> der Competenz und Zuſtändigkeit iſt die <hirendition="#g">Rechtspflege</hi>.<lb/>
Eine finanzielle und adminiſtrative Competenz gibt es noch ſo wenig,<lb/>
als eine amtliche. Daher gibt es auch noch kein Heimathsweſen. Das<lb/>
iſt im Allgemeinen die Ordnung der erſten fünf Jahrhunderte nach der<lb/>
Völkerwanderung.</p></div><lb/><divn="8"><head>2) <hirendition="#g">Die Ordnung der Bevölkerung in der ſtändiſchen<lb/>
Epoche</hi>.</head><lb/><argument><p>(Begriff und Inhalt der Standesangehörigkeit. Die feudale Angehörigkeit.<lb/>
Die ſtädtiſche Angehörigkeit. Bürgerthum und Bürgerrecht. Schutzbürgerthum.<lb/>
Hörigkeit.)</p></argument><lb/><p>Das Weſen der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung beſteht darin, daß<lb/>
dieſelbe <hirendition="#g">jede</hi> große Lebensſtellung, und zwar die unfreie ſo gut als die<lb/>
freie in allen ihren Formen, geiſtig begreift, und die Thatſache der<lb/>
gegebenen individuellen Beſtimmung als einen ſittlichen <hirendition="#g">Beruf</hi> auffaßt.<lb/>
Dieſer abſtrakte Begriff des Berufes durchdringt nun die ganze menſch-<lb/>
liche Gemeinſchaft, und gibt ihr eine neue Geſtalt. Indem ſie dem<lb/>
geiſtigen Element des Berufes ſeinen Körper verleiht, entſteht die Cor-<lb/>
poration als das ſpecifiſche Element der Ordnung in der ſtändiſchen<lb/>
Geſellſchaft. Alle Grundformen des Lebens beginnen, ſich als Corpora-<lb/>
tionen zu conſtituiren; das Angehören an eine ſolche wird eine Ehre;<lb/>
es enthält eine Pflicht; mit der Pflicht das Recht der Organe dieſer<lb/>
Körperſchaft, über die Erfüllung jener Pflicht zu wachen; das abſtrakte<lb/>
Angehören an Beruf und Körperſchaft bildet ſich damit zu einer Ver-<lb/>
waltung des Berufes aus, und die Thatſache jener berufsmäßigen An-<lb/>
gehörigkeit wird dadurch zu einer ſelbſtändigen Ordnung der Bevölkerung,<lb/>
die wir nunmehr als die <hirendition="#g">berufsmäßige Bevölkerungsordnung</hi><lb/>
bezeichnen können.</p><lb/><p>Dieſe, aus dem ſtändiſchen Geſellſchaftsprincip hervorgehende berufs-<lb/>
mäßige Bevölkerungsordnung zerſtört nun <hirendition="#g">nicht</hi> die Geſchlechterordnung,<lb/>ſondern ſie läßt ſie vielmehr beſtehen, und breitet ſich in ihr aus, indem<lb/>ſie, wo ſie es vermag, ihr ihren Charakter verleiht. Die letztere wird<lb/>
dadurch allerdings weſentlich anders; und indem ſich beide verſchmelzen,<lb/>
entſteht das, was wir die ſtändiſche Geſellſchaftsordnung und für unſre<lb/>
Aufgabe die <hirendition="#g">ſtändiſche Verwaltungsordnung</hi> der Bevölkerung<lb/>
nennen. Sie erſtreckt ſich über ganz Europa, und zeigt ſich ſeit dem<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[314/0336]
Die Competenz und Zuſtändigkeit der anſäßig gewordenen Ge-
ſchlechter in den Dorfſchaften beruht auf dem Beſitz eines Grundſtücks
und auf der Geburt; an beiden zeigt ſich der erſte Unterſchied vom
Gemeindebürgerrecht und Heimathsrecht.
Inhalt der Competenz und Zuſtändigkeit iſt die Rechtspflege.
Eine finanzielle und adminiſtrative Competenz gibt es noch ſo wenig,
als eine amtliche. Daher gibt es auch noch kein Heimathsweſen. Das
iſt im Allgemeinen die Ordnung der erſten fünf Jahrhunderte nach der
Völkerwanderung.
2) Die Ordnung der Bevölkerung in der ſtändiſchen
Epoche.
(Begriff und Inhalt der Standesangehörigkeit. Die feudale Angehörigkeit.
Die ſtädtiſche Angehörigkeit. Bürgerthum und Bürgerrecht. Schutzbürgerthum.
Hörigkeit.)
Das Weſen der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung beſteht darin, daß
dieſelbe jede große Lebensſtellung, und zwar die unfreie ſo gut als die
freie in allen ihren Formen, geiſtig begreift, und die Thatſache der
gegebenen individuellen Beſtimmung als einen ſittlichen Beruf auffaßt.
Dieſer abſtrakte Begriff des Berufes durchdringt nun die ganze menſch-
liche Gemeinſchaft, und gibt ihr eine neue Geſtalt. Indem ſie dem
geiſtigen Element des Berufes ſeinen Körper verleiht, entſteht die Cor-
poration als das ſpecifiſche Element der Ordnung in der ſtändiſchen
Geſellſchaft. Alle Grundformen des Lebens beginnen, ſich als Corpora-
tionen zu conſtituiren; das Angehören an eine ſolche wird eine Ehre;
es enthält eine Pflicht; mit der Pflicht das Recht der Organe dieſer
Körperſchaft, über die Erfüllung jener Pflicht zu wachen; das abſtrakte
Angehören an Beruf und Körperſchaft bildet ſich damit zu einer Ver-
waltung des Berufes aus, und die Thatſache jener berufsmäßigen An-
gehörigkeit wird dadurch zu einer ſelbſtändigen Ordnung der Bevölkerung,
die wir nunmehr als die berufsmäßige Bevölkerungsordnung
bezeichnen können.
Dieſe, aus dem ſtändiſchen Geſellſchaftsprincip hervorgehende berufs-
mäßige Bevölkerungsordnung zerſtört nun nicht die Geſchlechterordnung,
ſondern ſie läßt ſie vielmehr beſtehen, und breitet ſich in ihr aus, indem
ſie, wo ſie es vermag, ihr ihren Charakter verleiht. Die letztere wird
dadurch allerdings weſentlich anders; und indem ſich beide verſchmelzen,
entſteht das, was wir die ſtändiſche Geſellſchaftsordnung und für unſre
Aufgabe die ſtändiſche Verwaltungsordnung der Bevölkerung
nennen. Sie erſtreckt ſich über ganz Europa, und zeigt ſich ſeit dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/336>, abgerufen am 21.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.