Smith in die Nationalökonomie hineingezogen ward, fiel es derselben gar nicht ein, mit der Bevölkerungslehre das Paßwesen zu verbinden; selbst Rau läßt es ganz bei Seite liegen. Aber auch die Populationistik und Statistik nahmen es nicht auf, obwohl sie den Wechsel der Bevölkerung als wichtige statistische That- sachen anerkannten, und sich mit Geburts- und Sterbelisten eifrig beschäftigten. Vielleicht wäre es ganz aus der Wissenschaft verschwunden, wenn es nicht auf Grundlage von territorialen und zum Theil bundesrechtlichen Vorschriften noch eine Heimath im Staatsrecht gefunden hätte, wie bei Klüber und Zachariä, während die theoretische Staatsrechtslehre, wie bei Pölitz, Aretin, Rotteck, sich bis zu diesen rein "polizeilichen" Maßregeln nicht herabließen, und andere wie Zöpfl es, wie es scheint, einfach vergessen haben. Auch im territorialen Staatsrecht ist die größte Verschiedenheit. In den größeren Staaten, wie Oesterreich und Preußen, haben die Lehrer des positiven Rechts es allerdings behandelt, wie Kopetz, Stubenrauch, Rönne; in andern wieder nicht, wie Milhauser, Weiß; dagegen sind Pötzl für Bayern, Mohl für Württemberg, Funke für Sachsen wieder sehr ausführlich; die meisten Staaten haben gar keine Darstellung gefunden. Daran schließen sich rein praktische Darstellungen für die ausübende Paßpolizei, wie in Oesterreich von Mayerhofer, in Preußen die neueste Darstellung von Rauer, citirt bei Rönne, in Sachsen Richters systematische Darstellung von 1843; Arbeiten, die natürlich nur einen unmittel- baren praktischen Werth haben. Früher gab es auch ganz allgemeine Samm- lungen der Paßgesetze (Kamptz, Literatur des Völkerrechts, und dessen Samm- lung der Paßgesetze der europäischen Staaten, 1817). Der Einzige, der das Paßwesen in neuerer Zeit behandelt hat, ist Mohl in seiner Präventivjustiz (§. 11). Mohl hat dabei nach dem Vorgange der ganzen bisherigen Literatur im Paßwesen nichts als ein rein sicherheitspolizeiliches Institut gesehen, und seine Darstellung ist daher nichts als eine theoretische Paßpolizei; doch hat er die Fremdenbücher wenigstens mit aufgenommen. Gerstner ist in seiner Be- völkerungslehre über die Bevölkerungspolitik auch hier nicht hinausgekommen.
I. Das allgemeine Rechtsprincip und System des Paß- und Fremdenwesens.
(Begriff des öffentlichen Reiserechts. Doppelter Inhalt. Es enthält zuerst das Recht auf eventuelles Verbot der örtlichen Bewegung, zweitens die Her- stellung der öffentlich rechtlichen Bedingungen der Constatirung von Staats- angehörigkeit und Individualität. -- Das System der Mittel für diese Verwaltungsaufgabe.)
Offenbar ist der Wechsel des Aufenthalts zunächst ein Akt der freien individuellen Selbstbestimmung, und betrifft nur das Interesse des Einzelnen. Es ist daher zunächst nicht bloß an sich frei, sondern steht auch in so weit in keiner Beziehung zur Thätigkeit der Ver- waltung.
Allein dieser Wechsel enthält zugleich andere Beziehungen. Er ist zunächst das Verlassen der örtlichen Beziehungen des Individuums, die
Smith in die Nationalökonomie hineingezogen ward, fiel es derſelben gar nicht ein, mit der Bevölkerungslehre das Paßweſen zu verbinden; ſelbſt Rau läßt es ganz bei Seite liegen. Aber auch die Populationiſtik und Statiſtik nahmen es nicht auf, obwohl ſie den Wechſel der Bevölkerung als wichtige ſtatiſtiſche That- ſachen anerkannten, und ſich mit Geburts- und Sterbeliſten eifrig beſchäftigten. Vielleicht wäre es ganz aus der Wiſſenſchaft verſchwunden, wenn es nicht auf Grundlage von territorialen und zum Theil bundesrechtlichen Vorſchriften noch eine Heimath im Staatsrecht gefunden hätte, wie bei Klüber und Zachariä, während die theoretiſche Staatsrechtslehre, wie bei Pölitz, Aretin, Rotteck, ſich bis zu dieſen rein „polizeilichen“ Maßregeln nicht herabließen, und andere wie Zöpfl es, wie es ſcheint, einfach vergeſſen haben. Auch im territorialen Staatsrecht iſt die größte Verſchiedenheit. In den größeren Staaten, wie Oeſterreich und Preußen, haben die Lehrer des poſitiven Rechts es allerdings behandelt, wie Kopetz, Stubenrauch, Rönne; in andern wieder nicht, wie Milhauſer, Weiß; dagegen ſind Pötzl für Bayern, Mohl für Württemberg, Funke für Sachſen wieder ſehr ausführlich; die meiſten Staaten haben gar keine Darſtellung gefunden. Daran ſchließen ſich rein praktiſche Darſtellungen für die ausübende Paßpolizei, wie in Oeſterreich von Mayerhofer, in Preußen die neueſte Darſtellung von Rauer, citirt bei Rönne, in Sachſen Richters ſyſtematiſche Darſtellung von 1843; Arbeiten, die natürlich nur einen unmittel- baren praktiſchen Werth haben. Früher gab es auch ganz allgemeine Samm- lungen der Paßgeſetze (Kamptz, Literatur des Völkerrechts, und deſſen Samm- lung der Paßgeſetze der europäiſchen Staaten, 1817). Der Einzige, der das Paßweſen in neuerer Zeit behandelt hat, iſt Mohl in ſeiner Präventivjuſtiz (§. 11). Mohl hat dabei nach dem Vorgange der ganzen bisherigen Literatur im Paßweſen nichts als ein rein ſicherheitspolizeiliches Inſtitut geſehen, und ſeine Darſtellung iſt daher nichts als eine theoretiſche Paßpolizei; doch hat er die Fremdenbücher wenigſtens mit aufgenommen. Gerſtner iſt in ſeiner Be- völkerungslehre über die Bevölkerungspolitik auch hier nicht hinausgekommen.
I. Das allgemeine Rechtsprincip und Syſtem des Paß- und Fremdenweſens.
(Begriff des öffentlichen Reiſerechts. Doppelter Inhalt. Es enthält zuerſt das Recht auf eventuelles Verbot der örtlichen Bewegung, zweitens die Her- ſtellung der öffentlich rechtlichen Bedingungen der Conſtatirung von Staats- angehörigkeit und Individualität. — Das Syſtem der Mittel für dieſe Verwaltungsaufgabe.)
Offenbar iſt der Wechſel des Aufenthalts zunächſt ein Akt der freien individuellen Selbſtbeſtimmung, und betrifft nur das Intereſſe des Einzelnen. Es iſt daher zunächſt nicht bloß an ſich frei, ſondern ſteht auch in ſo weit in keiner Beziehung zur Thätigkeit der Ver- waltung.
Allein dieſer Wechſel enthält zugleich andere Beziehungen. Er iſt zunächſt das Verlaſſen der örtlichen Beziehungen des Individuums, die
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Smith in die Nationalökonomie hineingezogen ward, fiel es derſelben gar nicht
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ganz bei Seite liegen. Aber auch die Populationiſtik und Statiſtik nahmen es
nicht auf, obwohl ſie den Wechſel der Bevölkerung als wichtige ſtatiſtiſche That-
ſachen anerkannten, und ſich mit Geburts- und Sterbeliſten eifrig beſchäftigten.
Vielleicht wäre es ganz aus der Wiſſenſchaft verſchwunden, wenn es nicht auf
Grundlage von territorialen und zum Theil bundesrechtlichen Vorſchriften noch
eine Heimath im Staatsrecht gefunden hätte, wie bei Klüber und Zachariä,
während die theoretiſche Staatsrechtslehre, wie bei Pölitz, Aretin, Rotteck,
ſich bis zu dieſen rein „polizeilichen“ Maßregeln nicht herabließen, und andere
wie Zöpfl es, wie es ſcheint, einfach vergeſſen haben. Auch im territorialen
Staatsrecht iſt die größte Verſchiedenheit. In den größeren Staaten, wie
Oeſterreich und Preußen, haben die Lehrer des poſitiven Rechts es allerdings
behandelt, wie Kopetz, Stubenrauch, Rönne; in andern wieder nicht, wie
Milhauſer, Weiß; dagegen ſind Pötzl für Bayern, Mohl für Württemberg,
Funke für Sachſen wieder ſehr ausführlich; die meiſten Staaten haben gar
keine Darſtellung gefunden. Daran ſchließen ſich rein praktiſche Darſtellungen
für die ausübende Paßpolizei, wie in Oeſterreich von Mayerhofer, in Preußen
die neueſte Darſtellung von Rauer, citirt bei Rönne, in Sachſen Richters
ſyſtematiſche Darſtellung von 1843; Arbeiten, die natürlich nur einen unmittel-
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Paßweſen in neuerer Zeit behandelt hat, iſt Mohl in ſeiner Präventivjuſtiz
(§. 11). Mohl hat dabei nach dem Vorgange der ganzen bisherigen Literatur
im Paßweſen nichts als ein rein ſicherheitspolizeiliches Inſtitut geſehen, und
ſeine Darſtellung iſt daher nichts als eine theoretiſche Paßpolizei; doch hat er
die Fremdenbücher wenigſtens mit aufgenommen. Gerſtner iſt in ſeiner Be-
völkerungslehre über die Bevölkerungspolitik auch hier nicht hinausgekommen.
I. Das allgemeine Rechtsprincip und Syſtem des Paß- und Fremdenweſens.
(Begriff des öffentlichen Reiſerechts. Doppelter Inhalt. Es enthält zuerſt
das Recht auf eventuelles Verbot der örtlichen Bewegung, zweitens die Her-
ſtellung der öffentlich rechtlichen Bedingungen der Conſtatirung von Staats-
angehörigkeit und Individualität. — Das Syſtem der Mittel für dieſe
Verwaltungsaufgabe.)
Offenbar iſt der Wechſel des Aufenthalts zunächſt ein Akt der
freien individuellen Selbſtbeſtimmung, und betrifft nur das Intereſſe
des Einzelnen. Es iſt daher zunächſt nicht bloß an ſich frei, ſondern
ſteht auch in ſo weit in keiner Beziehung zur Thätigkeit der Ver-
waltung.
Allein dieſer Wechſel enthält zugleich andere Beziehungen. Er iſt
zunächſt das Verlaſſen der örtlichen Beziehungen des Individuums, die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/269>, abgerufen am 21.02.2025.
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